London. Eine spektakuläre zweite Halbzeit sorgte zum Abschluss der Nations League für ein 3:3 zwischen England und Deutschland.

Am Ende stand das ganze Stadion noch einmal auf und applaudierte. Sechs Tore in nur 45 Minuten – so etwas hat man hier schon lange nicht mehr gesehen. 3:3 endete das Spiel zwischen England und Deutschland, über das man wohl noch lange sprechen wird. So laut hat man das Wembley-Stadion jedenfalls schon lange nicht mehr erlebt.

Dabei stellten die gleichen Fans gute 90 Minuten zuvor erst einmal eindrucksvoll unter Beweis, wie leise 78.949 Zuschauer auch sein können. Man hätte die berühmte Nadel im vollen Wembley fallen hören können, als sich das gesamte Stadion zur Schweigeminute für Queen Elisabeth II erhob – nur wenige Sekunden nachdem jeder einzelne voller Inbrunst „God save the King“ zum Besten gegeben hatte.

Flick ändert seine Mannschaft auf vier Positionen

Beides absolut hören- und sehenswert. Dummerweise musste dann aber doch auch Fußball gespielt werden, womit beide Teams derzeit ja so ihre Schwierigkeiten haben. Drei Tage nach dem augenöffnenden 0:1 in Leipzig gegen Ungarn entschied sich Bundestrainer Hansi Flick für vier Änderungen, mit denen aber ein Großteil der 82 Millionen Bundestrainerkollegen in Deutschland ohnehin gerechnet hatte. Dass Jamal Musiala (für Thomas Müller) von Anfang an spielen dürfte, hatte der sonst immer so geheimnisvolle Flick bereits am Vortag preisgegeben. Auch Kai Havertz Nominierung im Sturm (für Timo Werner) kam in etwa so überraschend wie scrambled eggs and baked beans (Rührei und warme weiße Bohnen) zum englischen Frühstück. Thilo Kehrer als Rechtsverteidiger und Nico Schlotterbeck (für den gelbgesperrten Antonio Rüdiger) komplettierten das Quartett der erwarteten Neuen.

Nicht wirklich zu erwarten war allerdings, dass auch die Neulinge das zuletzt so behäbige Spiel der Deutschen spürbar besser machten. Es spielte der Gruppenletzte gegen den Gruppenvorletzten – und genau das machten die 22 Protagonisten aus beiden Mannschaften von der ersten Minute an sehr deutlich. Das doppelte Versprechen, sich 55 Tage vor dem ersten WM-Anpfiff doch noch in weltmeisterliche Stimmung zu versetzten, ging für beide Teams zunächst einmal gar nicht auf.

Wenige Torchancen im ersten Durchgang

Sehenswertes wurde im ersten Durchgang eigentlich nur zwischen der 25. und 27. Minute geboten, als sich immerhin die Three Lions durch Rasheem Sterling und Harry Kane zwei ordentliche Chancen herausspielten. Die beiden Premier-League-Superstars konnten sich kurz vor der Pause gemeinsam sogar noch eine Halbchance herausspielen – genauso wie man auf der Gegenseite fairerweise zwei Viertelchancen Ilkay Gündogan (11.) und Joshua Kimmich (45.) gutschreiben musste. Der Rest war: Nüscht.

Flick sah offenbar Optimierungsbedarf und brachte für Gladbachs Jonas Hofmann Stürmer Timo Werner, Havertz routierte ins zentrale Mittelfeld, Musiala auf den Flügel. Und siehe da: Es dauerte nicht einmal fünf Minuten, ehe Musiala genau von dort in einen verpatzten Ball von Harry Maguire hineinspritzte und nach zwei Übersteigern dann auch noch vom bedauernswerten Maguire sehr rüpelhaft und not very british zu Fall gebracht wurde. Ein klarer Elfmeter, den Schiedsrichter Danny Makkelie nach einem freundlichen Anruf vom Videorichter dann auch einräumte. Manchester-City-Legionär Gündogan schnappte sich den Ball – und traf unten links (52.).

Das überraschende Tor tat dem Spiel der deutschen Mannschaft spürbar gut. Während die englischen Anhänger ähnlich ruhig wurden wie bei der Schweigeminute vor dem Spiel, sangen die mitgereisten deutschen Fans laut und schadenfroh „Football is coming home“.

Havertz sorgt für die vermeintliche Vorentscheidung

Und nur wenig später sollte es im deutschen Block noch einmal richtig laut werden, als neben Gündogan auch England-Legionär Nummer zwei, Kai Havertz, eindrucksvoll zeigte, dass man doch ziemlich beeindruckende Dinge mit dem Ball anstellen kann. Sein Schuss aus rund 20 Metern ins rechte Eck zum 0:2: ein Gedicht (67.).

Wer nun aber dachte, dass 454 Tage nach der bitteren 0:2-Niederlage im EM-Achtelfinale die Wembley-Revanche aus deutscher Sicht bereits geglückt sei, der wurde nur wenig später eines Besseren belehrt. Denn plötzlich wurde aus dem Spiel, das in den ersten 45 Minuten nur schwer zu ertragen war, ein richtig unterhaltsames Fußballspiel. Hauptverantwortlich hierfür waren nun die Engländer, die durch Luke Shaw (72.) und den eingewechselten Mason Mount (75.) innerhalb von nur drei Minuten zum 1:2 und 2:2 trafen – und das zuvor mucksmäuschenstille Wembley in einen Hexenkessel verwandelten.

Kane trifft zur England-Führung, Havertz nutzt Pope-Patzer

Endgültig in Ekstase ließ sich ein Großteil der 85.000 Zuschauer versetzen, als Schiedsrichter Makkelie erneut einen Anruf vom Videorichter erhielt und sich das eindeutige Foul Schlotterbecks gegen BVB-Mannschaftskollege Jude Bellingham noch einmal am Bildschirm anschaute. Den natürlich fälligen Elfmeter vollstreckte – wer sonst? – Kane zum 3:2.

War’s das? Von wegen! Englands Torhüter Nick Pope ließ wenig später einen harmlosen Schuss des eingewechselten Serge Gnabry so abprallen, wie es nur ein englischer Torhüter kann. Havertz bedankte sich erneut und vollendete zum verdienten 3:3. Oh, what a game!