Berlin. Kleine Unternehmen und Selbstständige haben es während der Corona-Pandemie besonders schwer. Was die Corona-Krise für sie bedeutet.

Bernd Stumpf war mal Taxiunternehmer. Zwölf Wagen, 20 Angestellte. Bis sein Geschäft vom einen auf den anderen Tag kollabierte. Er erinnert sich genau: „Am Mittwoch hatte es keinen Sinn mehr, rauszufahren.“ Kaum jemand in der Stadt brauchte noch ein Taxi. Das war der 18. März 2020. In Berlin mussten die meisten Geschäfte wegen Corona schließen, Bars und Restaurants durften kaum noch Gäste bedienen.

Kanzlerin Merkel warnte im Fernsehen: „Es ist ernst, nehmen Sie es auch ernst.“ Sechs Wochen später entschieden Stumpf und sein Mitgesellschafter, alle Wagen zu verkaufen. Die beiden befürchteten, dass ihnen sonst die Fixkosten wie Büromiete und Versicherungen davonlaufen würden, während sie monatelang keine Einnahmen erzielten. 32 Jahre nach dem Start ihres Unternehmens Taxiflott machten sie die GmbH dicht.

Corona: Kleine und große Unternehmen haben Insolvenz angemeldet

Zum Glück gelang es ihnen, ohne Schulden aus der Sache rauszukommen. So gesehen schafften sie einen erträglichen Ausstieg. Im Gegensatz zu zahlreichen der 15.841 Firmen, die nach Angaben des Statistischen Bundesamtes im vergangenen Jahr in Deutschland Insolvenz anmeldeten und wegen Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung einen entsprechenden Antrag beim Amtsgericht stellten.

Viele Leute können ähnliche Beispiele aus ihrer Nachbarschaft oder Stadt nennen: die Friseurin nebenan, die Kneipe in der nächsten Straße, das alteingesessene Textilgeschäft in der Fußgängerzone. Auch größere Unternehmen erwischte es. Aber welche Bedeutung hat diese Entwicklung für die Wirtschaft insgesamt?

Im engen Büro der Taxi-Innung Berlin steht ein großer dunkelbrauner Holztisch, umgeben von ebensolchen Kunstledersesseln. Darunter und daneben stapeln sich Kartons mit gelben Taxileuchten, die eigentlich auf Autodächer montiert gehören. An diesem Vormittag Ende Mai 2021 stattet Bernd Stumpf Leszek Nadolski, dem Chef der Taxi-Innung, einen Besuch ab. Sie unterhalten sich über die Lage: Von den 8200 Taxen, die vor Corona in der Hauptstadt unterwegs waren, fahren jetzt noch 6630. Ein Viertel wurde abgemeldet.

Experten sind sich uneins über die Entwicklung

Einig sind sich die beiden Experten, dass es künftig „noch weiter runtergeht“ – weniger Taxen, mehr Insolvenzen und Firmen-Abschiede. Nicht zuletzt machen sie dafür die Veränderungen in der Arbeitswelt verantwortlich. Wer neuerdings im Homeoffice sitzt und an Online-Konferenzen teilnimmt, bucht seltener einen Wagen als früher.

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© Sophie KirchnerVeröffentlichung NUR nach Absprache! | Sophie Kirchner

Taxiflott ist ein Beispiel der Corona-Insolvenzwelle, über deren Dimension seit einem Jahr gestritten wird. Die Verbände der besonders betroffenen Branchen Handel und Gastronomie setzen dabei teils sehr hohe Zahlen in die Welt. So rechnete der Handelsverband Deutschland (HDE) im April 2020 mit bis zu 50.000 Insolvenzen. Der Verband der Hotels und Gaststätten (Dehoga) sieht es ähnlich. Dort hieß es diesen April, dass ein Viertel der befragten Firmen „konkret eine Betriebsaufgabe in Erwägung zieht“. Das würde bedeuten, dass bis zu 50.000 weitere Betriebe verschwinden.

Tatsächlich ist von solchen Größenordnungen bisher nichts zu sehen. Ohnehin sind die Zahlen der Firmeninsolvenzen seit Jahren rückläufig. Während das Statistische Bundesamt für 2010 gut 30.000 Fälle zählte, waren es 2019 noch 19.000. Im Corona-Jahr 2020 ging die Zahl noch einmal runter, auf knapp 16.000. Und wenn man die Soloselbstständigen und Kleinstfirmen herausrechnet, bleiben nur 11.000 übrig, weiß Steffen Müller, Insolvenzforscher beim Institut für Wirtschaftsforschung (IWH) in Halle. „Das sind historisch niedrige Zahlen.“

Staatliche Corona-Hilfen retten viele Unternehmen

Wo liegen die Gründe für diesen bisher relativ glimpflichen Verlauf? Einen Teil der Antwort können Dirk Zander und Sören Günther geben. An einem Freitagnachmittag vor wenigen Wochen bereiten sie die Terrasse ihres Restaurants Oderquelle im Stadtteil Prenzlauer Berg in Berlin für die Gäste vor. Bis Pfingsten war auch ihr Laden komplett dicht. „Wir haben heute einige Reservierungen“, sagt Zander.

Unter dem Rotdorn am breiten Bürgersteig bieten sie eigentlich 80 Plätze – jetzt vielleicht die Hälfte, wegen der Abstandsregel. Aber immerhin: Etwa die Hälfte des normalen Umsatzes eines Vor-Corona-Tages kommt nun durch eigene Arbeit wieder rein. „Zum Glück halten uns die Stammgäste die Treue“, sagt Günther. Ohne die würde ihr Laden jetzt nicht überleben. Ohne die Corona-Hilfen des Staates allerdings wäre die Oderquelle schon längst versiegt.

Die Bilanz sieht so aus: Etwa 85.000 Euro werden Zander und Günther durch die diversen Hilfsprogramme des Landes und des Bundes am Ende erhalten haben. Ganz klar ist die genaue Summe noch nicht. Zusätzlich haben sie einen Kredit von 50.000 Euro bei ihrer Hausbank aufgenommen. Über den Daumen gepeilt decken diese beiden Posten – vor allem aber die Staatshilfe – die Betriebskosten des Restaurants für die vergangenen 14 Monate.

Corona-Insolvenzwelle wird befürchtet

„Diese Politik war bei Ausbruch der Pandemie und in den Monaten danach richtig“, sagt Ökonom Müller. Und sie hat gewirkt: Sehr viele Firmen wurden so gerettet. Außerdem traf Corona die Wirtschaft am Ende eines langen Booms, der seit dem Abebben der Finanzkrise 2010 andauerte. Vielen Firmen ging es gut, sie hatten Polster angesetzt. Die Krise warf sie zwar zurück, untergrub aber nicht ihre Stabilität.

Und trotzdem steht weiter die Frage im Raum: Kommt doch noch eine größere Insolvenzwelle? „Ja, ich gehe davon aus“, sagt Georg Licht vom Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) in Mannheim. Er hat die Bonitätsbewertungen von knapp drei Millionen Firmen in Deutschland vor Corona ins Verhältnis zu den damaligen Pleiten gesetzt und mit der Entwicklung 2020 verglichen. Ergebnis: „Es fehlen rund 25.000 Firmen, die vermutlich nicht überlebensfähig sind.“ Der Rückstau der Insolvenzen betreffe vor allem finanzschwache und kleine Betriebe mit bis zu zehn Beschäftigten.

Insolvenzwelle könnte auch ausbleiben

Als Ursache dafür sieht Licht auch, dass die Bundesregierung 2020 die Pflicht, einen Insolvenzantrag zu stellen, zeitweise aufhob. Betriebe, die eigentlich zahlungsunfähig oder überschuldet waren, mussten keinen Antrag beim Amtsgericht einreichen, sondern durften erst einmal weitermachen – in der Annahme, dass die Staatshilfen ihnen das langfristige Überleben ermöglichen würden. „Seit dem 1. Mai 2021 gelten die Ausnahmen jedoch nicht mehr“, so Licht, „das haben viele Selbstständige wohl noch nicht mitbekommen.“

Steffen Müller vom IWH in Halle hält dagegen. Trotz der schrittweisen Rücknahme der Ausnahmen hätten die Zahlen der vergangenen Monate keinen starken Anstieg der Firmenpleiten gezeigt. Im Gegenteil: Im April und Mai sanken sie. „Vielleicht kommt es demnächst zu einem leichten Zuwachs, nicht aber zu größeren Verwerfungen oder einem Schock“, sagt Müller. Zur Wahrheit gehört aber auch: Weder Licht noch Müller können die Zukunft voraussagen.