Berlin. Wie Bauern Fleisch und Milch produzieren, ist für Supermarktkunden eine fremde Welt - trotz aller Siegel und Kampagnen. Die Grüne Woche soll Brücken bauen. Doch die Menschen sind auf der Straße.

Deutschlands Bauern in der Offensive: Zum Start der Grünen Woche haben bundesweit erneut Tausende Landwirte gegen strengere Umweltschutzregeln demonstriert. Sie zogen mit ihren Traktoren in die Innenstädte, etwa in Nürnberg, Berlin, Hannover, Bremen, Kiel, Stuttgart und Dresden.

"Sorry. Aber sonst werden wir nicht gehört", stand auf einem Plakat der Bauern. Bundesagrarministerin Julia Klöckner (CDU) rief Kritiker der Landwirtschaft zum Dialog auf. Sie erinnerte die Verbraucher daran, dass sie durch ihren Einkauf mitentschieden, wie Tiere gehalten und Lebensmittel produziert werden.

Zum Auftakt der Agrarmesse Grüne Woche in Berlin erreicht die Ernährungsdebatte damit einen Höhepunkt. Kritiker werfen Landwirten immer wieder vor, auf Kosten von Umwelt, Tieren und Klima zu wirtschaften. Am Samstag wollen in Berlin mindestens 15.000 Menschen unter dem Motto "Wir haben es satt" auf die Straße gehen.

Auf den Plakaten der protestierenden Bauern am Freitag stand: "Mit uns statt gegen uns." Und an die Adresse von Politikern und Städtern: "Sie säen nicht. Sie ernten nicht. Doch sie wissen alles besser." Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller (SPD) sagte: "Es gehört dazu, dass die Bauern ihre Sichtweise und ihren Anspruch deutlich machen. Das muss man auch aushalten."

In den Messehallen am Berliner Funkturm begann der Sturm auf die Häppchen. Messebesucher kosteten Genüsse aus mehr als 70 Ländern. Teilweise kreisten schon am frühen Morgen die Bierkrüge. An den Ständen der mehr als 1800 Aussteller werden bis zum 26. Januar rund 400.000 Besucher erwartet.

Zu den ersten Messe-Gästen zählte Agrarministerin Julia Klöckner. Sie mahnte beim Eröffnungsrundgang: "Das muss bleiben: Freude, Spaß am Essen, Trinken, Natur, Umwelt, aber auch an der Landwirtschaft." Als Wein gereicht wurde, dem ein Berliner Start-up den Alkohol entzogen hatte, bemerkte sie: "Schade um den Wein."

Die traditionelle Häppchentour barg aber auch politische Botschaften. "Es sind gewisse Parallelwelten entstanden", sagte die CDU-Politikerin mit Blick auf Bauern und Ernährungsbranche auf der einen und ihre Kunden und Kritiker auf der anderen. Sie forderte Kompromisse. "Es ist notwendig wie nie zuvor, dass beide Seiten aufeinander zu gehen. Wir müssen Stadt und Land zusammen bringen."

Zu den Kritikern zählt Greenpeace. Die Umweltaktivisten stellten am Freitag eine metergroße Figur eines geschundenen Schweins auf den Messe-Eingang. "Schluss mit der Show", forderten sie. Und: "Billigfleisch stoppen!" Die Ministerin erinnerte daran, dass auch die Verbraucher eine Verantwortung hätten. Mehr Tierwohl sei nur mit teurerem Fleisch möglich. Überschrift des Messestands des Ministeriums: "Du entscheidest."

Die Verbraucherorganisation Foodwatch sprach von "Verbraucherbashing." Nötig sei eine Abkehr von einer Klientelpolitik für die Agrar- und Lebensmittelindustrie, sagte Foodwatch-Geschäftsführer Martin Rücker der dpa. "Mit ihren wohlfeilen Appellen an die Verbraucher kann die Ministerin nicht vom eigenen Versäumnis ablenken", sagte Rücker. Teurere Produkte garantierten keine höhere Qualität. Nach wie vor würden Kunden klare Angaben zur Überprüfung der Qualität vorenthalten und irreführende Werbung mit falschen Qualitätsversprechen zugemutet.

Grünen-Agrarexperte Friedrich Ostendorff mahnte in einer Agrardebatte im Bundestag, die schlechte Stimmung in der Landwirtschaft ernst zu nehmen. "Sonst laufen wir Gefahr, einen Teil der Bauern an die Hetzer des rechten Randes zu verlieren."

SPD-Fraktionsvize Matthias Miersch kritisierte, Probleme mit Nitrat im Grundwasser durch übermäßiges Düngen seien über Jahre verschleppt worden. Er forderte erneut, das von der Bundesregierung geplante staatliche Tierwohlkennzeichen müsse Substanz haben und verbindlich statt freiwillig sein. Das Ministerium verwies darauf, dass ein verpflichtendes Kennzeichen europarechtlich nicht möglich sei.

Für Bauern in ärmeren Ländern und gegen Kinderarbeit verpflichteten sich sieben große Handelsketten auf der Grünen Woche, sich um existenzsichernde Einkommen für Erzeuger in Herkunftsländern zu bemühen. Die Erklärung für mehr Transparenz in ihren Lieferketten unterzeichneten Vertreter von Lidl, Aldi Süd und Nord, Kaufland, Rewe, DM und Tegut zusammen mit Entwicklungsminister Gerd Müller (CSU). Deutschlands größter Lebensmittelhändler Edeka erwägt nach eigenen Angaben, das Papier zu einem späteren Zeitpunkt zu unterschreiben.