München/Berlin. Deutschlands wichtigstes Konjunkturbarometer, der Ifo-Index, sinkt erneut - Lieferengpässe und die vierte Corona-Welle machen den Unternehmen zu schaffen.

Die Lieferprobleme der Industrie und rekordhohe Corona-Infektionszahlen trüben die Stimmung bei deutschen Unternehmen immer stärker ein.

Das wichtigste Konjunkturbarometer für Europas größte Wirtschaft, das Ifo-Geschäftsklima, fiel im November zum fünften Mal in Folge und stärker als von Experten erwartet. Der DIHK warnte, viele kleine Gewerbetreibende und Mittelständler erlebten für ihr Geschäft eher Abbruch als Aufbruch. Die Bundesregierung will wegen der Lage die Wirtschaftshilfen verlängern.

Der Ifo-Geschäftsklimaindex fiel auf 96,5 von 97,7 Punkten im Oktober. Die Unternehmen sind mit ihrer derzeitigen Geschäftslage weniger zufrieden. "Zudem zeigt sich zunehmender Pessimismus bei den Erwartungen. Lieferengpässe und die vierte Coronawelle machen den Unternehmen zu schaffen", sagte Ifo-Chef Clemens Fuest.

Das Geschäftsklima verschlechterte sich in allen untersuchten Wirtschaftszweigen, vor allem aber im Dienstleistungsbereich. Hier spielt die immer bedrohlichere Pandemie-Lage eine wichtige Rolle. Erst am Mittwoch meldete das Robert-Koch-Institut mit 66.884 Corona-Fällen einen Tagesrekord. "Die vierte Infektionswelle hat die Erwartungen insbesondere im Tourismussektor und dem Gastgewerbe einbrechen lassen", sagte Fuest.

DIHK schlägt Alarm

Gaststätten, Hotels, Reiseunternehmen und die Veranstaltungsbranche haben schon in den vorherigen Wellen besonders gelitten. Der Deutsche Industrie- und Handelskammertag schlug nun Alarm. DIHK-Präsident Peter Adrian sagte, mit der Absage von Weihnachtsmärkten und Weihnachtsfeiern und der Stornierung von Übernachtungen erlebten ganze Branchen ein ähnliches Szenario wie 2020.

Es treffe vor allem die, die normalerweise 30 bis 40 Prozent ihres Umsatzes oder mehr in diesen Wochen erzielten. "Höchststände an den Aktienmärkten dürfen nicht darüber hinweg täuschen, dass es weiten Teilen der deutschen Wirtschaft schon wieder ziemlich schlecht geht."

Angesichts der Corona-Lage und der Lieferschwierigkeiten verlängerte das Bundeskabinett für Firmen und Beschäftigte den erleichterten Zugang zur Kurzarbeit. Mit der Verordnung des geschäftsführenden Bundesarbeitsministers Hubertus Heil (SPD) wird die maximale Bezugsdauer von zwei Jahren für weitere drei Monate bis zum 31. März verlängert. "Für viele Betriebe ist nicht absehbar, wann sie das Vorkrisenniveau wieder erreichen können", sagte Heil.

Der scheidende Wirtschaftsminister Peter Altmaier kündigte an, die Betreiber von Weihnachtsmärkten stärker zu unterstützen. Dabei gehe es etwa um einen erleichterten Zugang zu Eigenkapitalzuschüssen. Wegen der Infektionszahlen hatten mehrere Länder Weihnachtsmärkte abgesagt, darunter den Nürnberger Christkindlesmarkt und den Dresdner Striezelmarkt, die normalerweise Millionen Besucher anziehen.

Bereits bekannt ist, dass die bisher bis Jahresende befristete Überbrückungshilfe als wichtiges Kriseninstrument bis Ende März verlängert wird. Verlängert werden soll auch die Neustarthilfe für Soloselbstständige.

Altmaier bezeichnete die Corona-Lage als außergewöhnlich ernst. "Wir haben in den letzten Monaten viel über Lockerungen geredet, obwohl wir eigentlich über weitere Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie hätten sprechen müssen." Der Aufschwung werde 2022 an Fahrt gewinnen. Es gehe darum, für den Winter den "Sicherheitsgurt" für Firmen und Beschäftigte anzulegen.

Stehen die Zeichen auf ein Schrumpfen der Wirtschaft?

Die wirtschaftlichen Auswirkungen der Pandemie dürften auch für die neue Bundesregierung ein wichtiges Thema sein. Volkswirte gehen davon aus, dass die Wirtschaft in diesem Quartal bestenfalls stagniert und vielleicht sogar schrumpft, nachdem im Sommer noch ein Wachstum von 1,8 Prozent erzielt wurde. Thomas Gitzel, Chefvolkswirt der VP Bank, sagte mit Blick auf das Schlussquartal, ein Rückgang des Bruttoinlandsprodukts sei wahrscheinlich. Auch Commerzbank-Chefökonom Jörg Krämer äußerte sich pessimistisch: "Die deutsche Wirtschaft dürfte im Winterhalbjahr bestenfalls stagnieren."

Damit gerät die Erholung der Wirtschaft vom Corona-Schock ins Stocken. So lag die Wirtschaftsleistung in diesem Sommer immer noch unter der im vierten Quartal 2019 - dem letzten Quartal vor der Pandemie. Der Sachverständigenrat aus fünf Ökonomen, die die Bundesregierung beraten, hatte Anfang November seine Konjunkturprognose für 2021 auf 2,7 Prozent von zuvor 3,1 Prozent gesenkt. Für 2022 rechnen die als Wirtschaftsweisen bekannten Experten mit einem Wachstum von 4,6 Prozent. Allerdings warnten sie schon vor zwei Wochen vor Lieferkettenproblemen und Pandemie-Risiken.

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