Berlin. Sinkende Exporte und die angespannte Situation im Welthandel drücken die Stimmung der deutschen Industrie. 2020 verspricht Besserung.

Die Arbeitslosigkeit in Deutschland ist auf dem niedrigsten Stand seit der Wiedervereinigung, die private Kaufkraft steigt und die Baubranche brummt derart, dass sie ihre Kapazitätsgrenzen erreicht hat. In vielen Bereichen floriert die deutsche Wirtschaft.

Dennoch sind die Sorgenfalten der Ökonomen tief: Institutsübergreifend herrscht Einigkeit, dass das Wachstum des Bruttoinlandsprodukt (BIP) in diesem Jahr den niedrigsten Wert seit sechs Jahren erreichen wird. Dieser Prognose schloss sich am Dienstag auch das Münchener Ifo-Institut an, das für 2019 ein Wachstum des BIPs von 0,6 Prozent vorhersagt.

Damit liegt Ifo zwar 0,1 Prozent über den Erwartungen der Bundesregierung, dennoch urteilt der Leiter der Ifo-Konjunkturprognosen Timo Wollmershäuser: „Die deutsche Wirtschaft geht ohne Schwung in das kommende Jahr.“

Das Wichtigste in Kürze:

  • Wirtschaftsinstitute sagen für 2019 ein geringes Wachstum voraus
  • Schuld sind die geringen Exporte und die internationalen Konflikt-Risiken
  • Die hohe private Kaufkraft wird einen Abschwung wohl verhindern
  • 2020 wird ein deutlich höheres Wachstum erwartet
  • Ökonomen fordern staatliche Investitionen mit Bedacht

Risiken für Abschwung nehmen zu

Steuert die deutsche Wirtschaft also in eine Rezession? Zumindest mehren sich die Risiken für einen Abschwung. Der sonst zuverlässige Wachstumsmotor der Export-Industrie stottert erheblich. Im Jahresvergleich nahm im April das verarbeitende Gewerbe laut Statistischem Bundesamt 5,3 Prozent weniger Aufträge entgegen als noch 2018.

Noch schwerwiegender könnten aber die internationalen Risiken sein. Der von US-Präsident Donald Trump ausgelöste Handelskonflikt mit China hat die Weltkonjunktur bereits abkühlen lassen. Der schwelende Konflikt im Nahen Osten könnte zu höheren Ölpreisen führen – und damit die Kaufkraft senken.

Im Herbst endet das von Trump gestellte Ultimatum für die Autozölle gegen die EU zum zweiten Mal. Die Abgabe von 25 Prozent würde deutsche Hersteller hart treffen. Hinzu kommt noch das Szenario eines ungeregelten Austritts Großbritanniens aus der EU. „Wir wissen gar nicht genau, was ein harter Brexit bedeuten würde“, meinte Wollmershäuser.

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    BIP wird zum zehnten Mal in Folge wachsen

    Die Stimmung ist also angespannt, Angst vor der Rezension kommt aber nicht auf. Immerhin sind sich die Wirtschaftsexperten einig, dass das BIP in diesem Jahr zum zehnten Mal in Folge wachsen wird.

    Das Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung ist zuversichtlicher als das Ifo-Institut und erwartet für 2019 ein Wachstum von 1,0 Prozent. Schließlich sei das BIP schon im ersten Vierteljahr stärker gewachsen als angenommen.

    Im ersten Quartal lagen einige Prognosen daneben

    Unter anderem das Kieler Institut für Weltwirtschaft (IfW) ging bereits für das erste Quartal von einem Abschwung aus, Ifo hatte lediglich ein Wachstum von 0,1 Prozent prognostiziert. Am Ende stand ein Wachstum von 0,4 Prozent zu Buche.

    „Das ist ein ziemlich großer Prognosefehler“, gestand Wollmershäuser ein. Unklar ist, wie das in eineinhalb Wochen endende zweite Quartal ausfällt. Ifo hat ein minimales Wachstum von 0,1 Prozent prognostiziert. Ausschläge in beide Richtungen sind aber denkbar.

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    Programme der Regierung könnten Wirkung zeigen

    Spätestens zum Jahresende könnten die Katerstimmung und die Rezessionsbefürchtungen aber ein Ende haben. Die Prognose-Institute sagen eine Erholung der Konjunktur voraus und auch Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) zeigte sich beim Treffen der Bundesregierung mit Sozialpartnern in Meseberg zu Beginn der Woche zuversichtlich, dass „das Ende des Jahres wieder besser werden wird.“

    Ifo erwartet, dass sich die Exporte normalisieren und auf ein Plus von 3,8 Prozent steigen werden. Die Konsumlust der Bürger könnte durchaus stark bleiben, auch dank Fördermaßnahmen des Staates.

    Der Freibetrag bei der Einkommenssteuer wurde in diesem Jahr um 168 Euro auf 9.168 Euro erhöht, seit März gilt die höhere Mütterrente. Zum Juli treten die Erhöhung des Kindergeldes um 10 Euro pro Kind und Monat und die Rentenanpassungen um 3,91 Prozent in den neuen und um 3,18 Prozent in den alten Bundesländern in Kraft.

    Deutliches Wachstum wird im kommenden Jahr erwartet

    „Die Politik tut bereits einiges“, findet Clemens Fuest, Präsident des Ifo-Instituts. Daher sei die Einführung eines weiteren Konjunkturprogramms „nicht sinnvoll“.

    Die Bewertung deckt sich mit den Einschätzungen der Institute: IMK, IfW und die Bundesbank sagen für das kommende Jahr ein Wachstum von 1,6 Prozent voraus, das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) und Ifo prognostizieren 1,7 Prozent. Die Bundesregierung selbst geht von 1,5 Prozent Wachstum aus.

    Begünstigt wird das Wachstum auch dadurch, dass im kommenden Jahr viele Feiertage auf das Wochenende fallen und entsprechend mehr Arbeitstage zur Verfügung stehen.

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    Weiterer Überschuss für die Staatskasse erwartet

    Mit dem erwarteten Wachstum sehen die Ökonomen die Politik in der Pflicht, zu investieren – zumal die Staatskasse gut gefüllt sein sollte. Nach dem Rekordfinanzüberschuss im Vorjahr von 58 Milliarden Euro erwartet Ifo in diesem Jahr ein Plus von 48,7 Milliarden Euro und im kommenden Jahr von 31,7 Milliarden Euro in der Staatskasse.

    Fuest appelliert an die Regierung, schnellstens bei der Energiepolitik nachzujustieren. Bisher gebe es keine überzeugenden Pläne, bei Unternehmen herrsche Unsicherheiten. Auch Silke Tober, Referatsleiterin für Geldpolitik beim IMK, erwartet, dass der Staat beim Strukturwandel der Industrie „eine wichtige Rolle spielt“.

    Vor allem in die digitale Infrastruktur müsse investiert werden. Das sieht auch Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) so. Deutschland müsse weiter auf Wachstum setzen, um die nötige Infrastruktur und Forschung für den digitalen Umbau der deutschen Wirtschaft und Gesellschaft bezahlen zu können, sagte die Kanzlerin in Meseberg.