Berlin. Große Unternehmen müssen ihre Lieferanten besser auswählen. Kinderarbeit und Niedriglöhne sind nicht mehr erlaubt – sonst droht Strafe.

Nach jahrelangen Debatten tritt zum Jahreswechsel das Lieferkettengesetz in Kraft. Im Kern verpflichtet es große deutsche Unternehmen, mehr auf die Einhaltung von Menschenrechten und Umweltschutz bei Zulieferern im Ausland zu achten. Während Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) das Gesetz lobt, regt sich in der Wirtschaft noch Widerstand. Wichtige Fragen und Antworten zu den neuen Regeln.

Welches Ziel verfolgt das Lieferkettengesetz?

Viele große Unternehmen in Deutschland haben weltweit eigene Produktionsstätten und Lieferbeziehungen. Die Regelung soll ab Januar sicherstellen, dass die sozialen und ökologischen Menschenrechte der Beschäftigten und Anwohner bei den Zulieferern gewährleistet werden. Konkret geht es um Kinderarbeit, angemessene Löhne und den Schutz der Gesundheit des Personals oder auch um umweltschützende Maßnahmen gegen Boden- und Gewässerverunreinigungen.

Faire Lieferketten: Für welche Unternehmen gilt das Gesetz?

Ab 2023 gilt das Gesetz für Unternehmen in Deutschland mit mehr als 3000 Mitarbeitern – also für rund 600 Unternehmen. Von 2024 an müssen sich Unternehmen mit mehr als 1000 Beschäftigten daran halten – das sind in Deutschland etwa 4000 Unternehmen. Das Gesetz gilt auch für ausländische Unternehmen mit Zweigniederlassung oder Tochterunternehmen in Deutschland.

Lieferkettengesetz: Was müssen Betriebe unternehmen?

Die hiesigen Betriebe müssen konkret nachweisen, dass sie sich um die Einhaltung des Gesetzes kümmern, etwa indem sie Kontrolleure beauftragen, ihre direkten Lieferanten zu überprüfen. Bei Menschenrechtsverletzungen müssen Beschwerdemöglichkeiten eingerichtet werden. Bei indirekten Zulieferern müssen Unternehmen erst tätig werden, wenn es Hinweise auf Menschenrechtsverletzungen in deren Fabriken gibt – wie Armutslöhne oder Kinderarbeit. Lesen Sie auch: Neues Lieferkettengesetz –Kampf der Kinderarbeit

Was droht bei Verstößen?

Das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle wird Vorwürfen der Ausbeutung oder Kinderarbeit künftig nachgehen und gegebenenfalls Zwangs- und Bußgelder verhängen. Bei Verstößen drohen Bußgelder von bis zu 2 Prozent des Jahresumsatzes. Gewerkschaften und Nichtregierungsorganisationen mit Sitz in Deutschland haben zudem die Möglichkeit, bei Menschenrechtsverletzungen im Ausland vor deutschen Gerichten zu klagen. Eine zivilrechtliche Unternehmenshaftung und damit eine mögliche Entschädigung der Opfer ist nicht vorgesehen.

 Hubertus Heil (SPD), Bundesminister für Arbeit und Soziales, setzt sich seit Jahren für das Lieferkettengesetz ein.
Hubertus Heil (SPD), Bundesminister für Arbeit und Soziales, setzt sich seit Jahren für das Lieferkettengesetz ein. © dpa | Britta Pedersen

Für wen dürfte es schwieriger werden?

Schwieriger könnte es beispielsweise für deutsche Firmen werden, die in der chinesischen Provinz Xinjiang produzieren. Das Menschenrechtsbüro der Vereinten Nationen wirft China vor, dort Uiguren und andere Angehörige muslimischer Minderheiten willkürlich in Haftlagern festzuhalten. Auch Konzerne, die mit Mineralien aus Bürgerkriegsregionen arbeiten wie Coltan, Kobalt, Gold oder Zinn, dürfen künftig nicht mehr wegschauen. Auch die Textilbranche muss bei den Zuständen in asiatischen Fabriken besser hinschauen.

Warum wünscht sich die Regierung das Gesetz?

„Vom Lieferkettengesetz profitieren die Menschen in den Lieferketten, die Unternehmen und auch die Konsumenten“, sagte Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) dieser Redaktion. Denn sie erhielten durch das Gesetz Rechtssicherheit und eine verlässliche Handlungsgrundlage für ein nachhaltiges Lieferkettenmanagement mit einem noch stärkeren Fokus auf faire Herstellungsbedingungen. „Wir dürfen unseren Wohlstand und unsere Handelsbeziehungen nicht auf Kinder- oder Zwangsarbeit aufbauen, das ist auch eine Frage des Anstands.“

Das Gesetz wurde von dem früheren CSU-Entwicklungsminister Gerd Müller (CSU) und Arbeitsminister Heil gegen massiven Widerstand aus der Wirtschaft durchgesetzt.

Lieferkettengesetz: Was kritisieren Unternehmen?

Der Bundesverband Großhandel, Außenhandel, Dienstleistungen (BGA) kritisiert vor allem weitere bürokratische Lasten und fordert ein einheitliches Vorgehen auf europäischer Ebene statt das Vorpreschen Deutschlands. „So lange nicht alle Länder eine gleichsame Lieferketten-Sorgfalt einführen, wird sich wahrscheinlich nur wenig ändern“, kritisiert Markus Jerger, Vorsitzender des Mittelstandsverbands BVMW. „Was Deutschland nicht kauft, wird ein anderes Lohn ohne Lieferketten-Regelung kaufen. Das bleibt die Krux des neuen – sicherlich gut gemeinten – Gesetzes.“

Gleichzeitig sind viele Unternehmen noch schlecht auf die Umsetzung des Gesetzes vorbereitet, obwohl dieses bereits vor 1,5 Jahren vom Bundestag beschlossen wurde. So haben bisher nur 38 Prozent der Unternehmen ein Risikomanagement eingerichtet, wie eine Firmen-Umfrage im Auftrag des Entwicklungsministeriums ergeben hat.

Der Berliner Unternehmensberater Markus Löning sieht darin „Anlass zur Sorge“. Solche Prozesse einzurichten seien aufwendig. Deshalb sei in vielen Fällen zu bezweifeln, ob die Firmen den Anforderungen des Gesetzes bald gerecht werden könnten.

Welche Regelungen plant die Europa?

Auch die Europäische Union (EU) verhandelt über ein eigenes Gesetz zu Lieferketten, das jedoch schärfer ausfallen soll als das deutsche. Die 27 Mitgliedstaaten haben sich schon auf eine Position geeinigt. Das Gesetz würde danach zunächst drei Jahre für Unternehmen mit mehr als 1000 Beschäftigten und einem weltweiten Nettoumsatz von mindestens 300 Millionen Euro gelten.

Hintergrund: NGO-Report: Wie Lobbyisten ein EU-Gesetz verwässern

Nach vier Jahren soll die Schwelle auf 500 Beschäftigte und 150 Millionen sinken. Nach fünf Jahren würden auch Firmen mit mehr als 250 Leuten erfasst, wenn sie einen bestimmten Umsatz in Branchen erzielen, die für Menschenrechtsverletzungen besonders anfällig sind. Dazu gehören unter anderem die Textilindustrie, der Bergbau und die Landwirtschaft.

Endgültig muss darüber noch das EU-Parlament entscheiden. Ein entsprechendes Gesetz soll 2024 in Kraft treten. Danach haben die Mitgliedstaaten zwei Jahre Zeit, es in nationales Recht zu übertragen – also ab 2027. Das dürfte dazu führen, dass wohl auch beim deutschen Gesetz nachgebessert werden muss.