Berlin. Bei der Deutschen Post ist der Tarifkampf eskaliert. Jetzt drohen Streiks. Post-Personalvorstand Thomas Ogilvie gibt einen Ausblick.

Auf Postkunden warten ungemütliche Wochen: Der Tarifkampf zwischen der Gewerkschaft Verdi und der Deutschen Post ist eskaliert. Auch nach der dritten Verhandlungsrunde lehnte Verdi ein Angebot für einen neuen Tarifvertrag ab. Für Kunden heißt das: Es drohen Streiks.

Die Post hatte den rund 160.000 Beschäftigten eine Lohnsteigerung von durchschnittlich 11,5 Prozent in zwei Schritten ab 2024 angeboten. Verdi fordert 15 Prozent mehr Lohn bei einer Laufzeit von 12 Monaten. Der Verhandlungsführer der Post, Personalvorstand Thomas Ogilvie, reagiert im Gespräch mit unserer Redaktion brüskiert auf das Scheitern – und gibt einen Ausblick auf die kommenden Wochen.

Herr Ogilvie, Verdi hat die Tarifverhandlungen für gescheitert erklärt und eine Urabstimmung für Streiks eingeleitet. Was erwarten Sie?

Thomas Ogilvie: Die Tarifverhandlungen hatten das Ziel, das bestmögliche Angebot für Beschäftigte und Unternehmen zu erzielen. Das Umfeld ist schwierig. Die Inflation ist hoch, die Briefpreise sind bis Ende 2024 gesetzlich festgelegt. Wir haben angeboten, dass die Löhne und Gehälter aller Beschäftigten in zwei Stufen um insgesamt 4.420 Euro pro Jahr steigen. Das ist zusammen mit den zusätzlich angebotenen 3.000 Euro Inflationsausgleich das größte Tarifangebot in der Geschichte der Deutschen Post. Viele Beschäftigte haben unser Angebot als fair bewertet. Insofern bin ich gespannt, wie die Urabstimmung ausgehen wird. Verdi hat mit seiner Ablehnung eine historische Chance verspielt. Unser Angebot ist das Maximum dessen, was wir vertreten können, wenn wir auch morgen noch die Post für Deutschland sein wollen, wie wir sie heute kennen.

Müssen sich die Bürgerinnen und Bürger jetzt auf monatelange Streiks bei der Post einstellen?

Ogilvie: Wir müssen das Ergebnis der Urabstimmung abwarten und sehen, wie sich Verdi verhält. Wir haben uns deutlich bewegt und sind mit durchschnittlich 11,5 Prozent über alle Entgeltgruppen an die Grenzen dessen gegangen, was wir vertreten können. Verdi muss sich den weitreichenden Folgen eines Konfliktes bewusst sein.

Verdi beharrt auf seiner Forderung von 15 Prozent mehr Lohn und Gehalt – bei einer Laufzeit von 12 Monaten.

Ogilvie: Unser Angebot fängt die inflationsbedingten Mehrkosten des täglichen Lebens auf. Das Marktforschungsinstitut Prognos hat jüngst ermittelt, dass die Mehrkosten im Durchschnitt über alle Einkommensgruppen zum Beispiel bei Alleinlebenden bei 138 Euro pro Monat liegen. Das, was wir angeboten haben, geht deutlich darüber hinaus.

Sehen Sie noch eine Möglichkeit, den Streit durch ein besseres Angebot zu deeskalieren?

Ogilvie: Wir sehen keine Möglichkeit das Gesamtvolumen des Angebots weiter anzuheben.

Thomas Ogilvie (46) gehört seit 2017 dem Vorstand der Deutschen Post an. Der Diplom-Psychologe und promovierte Wirtschaftswissenschaftler arbeitet bereits seit 2001 für die Deutsche Post DHL Group.
Thomas Ogilvie (46) gehört seit 2017 dem Vorstand der Deutschen Post an. Der Diplom-Psychologe und promovierte Wirtschaftswissenschaftler arbeitet bereits seit 2001 für die Deutsche Post DHL Group. © DPDHL | DPDHL

Die Deutsche Post erwartet in ihrer Prognose für das Jahr 2022 mit 8,4 Milliarden Euro „das beste Ergebnis aller Zeiten“. Warum können Sie da nicht bei den Mitarbeitenden noch eine Schippe drauflegen?

Ogilvie: 15 Prozent mehr Lohn auf 12 Monate bedeuten ein Gesamtvolumen von einer Milliarde Euro. Im Unternehmensbereich Post und Pakete gehen wir in der aktuellen Prognose für 2022 von einem Vorsteuergewinn von 1,3 Milliarden Euro aus. Abzüglich der Steuern und der Lohnforderung würde am Ende eine Null stehen. Wir müssen aber weiterhin massiv in den Strukturwandel investieren. In einem solchen Umfeld sollte die Gewerkschaft das Unternehmen nicht auf die Nulllinie zwingen. Es ist nicht sachgerecht, auf den Konzern und die Gewinne aus dem Ausland zu verweisen. Jeder Unternehmensbereich muss allein wirtschaftlich tragfähig sein.

Verdi stört sich aber an der Laufzeit von 24 Monaten…

Ogilvie: Wir bieten einen deutlichen Gehaltsaufwuchs in drei Schritten an: sofort 150 Euro mehr pro Monat für alle steuerfrei in diesem Jahr. Ab 2024 erhöhen wir auf 250 Euro mehr pro Monat, davon 100 Euro steuerfrei. Und ab Dezember 2024 340 Euro pro Monat mehr Gehalt. Die Laufzeit von zwei Jahren ist für uns zentral: Die aktuell regulatorisch festgelegten Preise im Briefgeschäft gelten bis Ende 2024. Es wäre unredlich, jetzt eine Vereinbarung zu schließen, die 2024 erneut auf den Prüfstand gestellt wird, ohne dass sich die Rahmenbedingungen für uns als Unternehmen geändert haben.

Gefährden die Forderungen die Existenz des Briefgeschäfts?

Ogilvie: Wir haben als Post für Deutschland über viele Jahrzehnte ein Betriebsmodell aufgebaut, das ausschließlich mit eigenen Kräften operiert. Wenn Verdi das jetzt alles vor dem Hintergrund kurzfristiger maximaler Lohnsteigerungen in Frage stellt, werden wir unser Betriebsmodell überdenken müssen.

An welchem Punkt sind Sie in den Verhandlungen gescheitert?

Ogilvie: Verdi hat während der gesamten Verhandlung auf ihrer Maximalforderung beharrt. Die vollständige Verwendung der Inflationsausgleichsprämie von 3000 Euro hat Verdi anfangs gar nicht gefordert, wir bieten sie zusätzlich an – übrigens auch für alle Auszubildenden. Wir bieten für alle 160.000 Beschäftigten dauerhaft deutlich mehr Geld, im Durchschnitt 11,5 Prozent und bis zu 20,3 Prozent für den Einstieg in der untersten Lohngruppe. Wer derzeit weniger verdient, profitiert überproportional – mit unserem Angebot würden zum Beispiel auch unsere Auszubildenden und dualen Hochschulstudenten ein Drittel mehr Geld erhalten. Im Gegenzug benötigen wir Planungssicherheit bis Anfang 2025, bis wir zum ersten Mal wieder aller Voraussicht nach das Briefporto erhöhen können. Der von uns vorgeschlagene Weg wäre kurz- und langfristig gut für die Beschäftigten und das Unternehmen, das sollte auch im gewerkschaftlichen Interesse sein.

Verdi fordert 15 Prozent mehr Gehalt für seine Beschäftigten.
Verdi fordert 15 Prozent mehr Gehalt für seine Beschäftigten. © dpa | Bernd Thissen

Verdi verhandelt parallel im Öffentlichen Dienst. Der Abschluss bei der Post könnte wegweisend sein. Wird an der Post ein Exempel statuiert?

Ogilvie: Das mag ich nicht beurteilen. Wir werden uns als Deutsche Post jedenfalls nicht zu einem Abschluss zwingen lassen, den wir nicht verantworten können. Ein ausgewogener Abschluss bei uns wäre sicherlich auch ein gutes und wichtiges Signal für den Wirtschaftsstandort Deutschland.

Erwarten Sie im Streikfall starke Verzögerungen bei der Brief- und Paketzustellung? Oder können Sie diese durch Subunternehmer abfedern?

Ogilvie: Wir haben Notfallpläne vorbereitet, damit die Beeinträchtigungen für die Kunden so gering wie möglich ausfallen. Es gibt Bereiche, in denen wir mit Drittkräften arbeiten könnten. Bisher haben wir bis Ende Juni die Fremdvergabe der Briefzustellung vertraglich ausgeschlossen. Das steht jetzt auf dem Prüfstand. Für die kommenden Wochen haben wir alle Pläne in der Schublade.

Lesen Sie hier: Post: Briefe kommen nicht an – das können Sie jetzt tun

Was heißt das für die Kunden konkret?

Ogilvie: Das kommt darauf an, was passieren wird. Sicher ist: Wir werden alle Briefe und Pakete, die uns unsere Kunden anvertrauen, zustellen. Und zwar so schnell wie möglich.

Werden Sie wie 2015 wieder neue Hallen anmieten müssen, um die liegengebliebene Post zu lagern?

Ogilvie: Wir sind auf alle Eventualitäten vorbereitet.

Was kostet es Sie am Tag, wenn Verdi die Arbeit niederlegt?

Ogilvie: Die viel wichtigere Frage ist, wie wirkt sich ein Tag Arbeitsniederlegung auf unsere Kunden aus, weil die Briefe und Pakete, die sie uns anvertrauen, den Umsatz bringen, der das Gehalt unserer Beschäftigten bezahlt.

Anfang Februar demonstrierten Mitarbeiter der Deutschen Post in Stuttgart für ihre Forderungen in der Tarifrunde.
Anfang Februar demonstrierten Mitarbeiter der Deutschen Post in Stuttgart für ihre Forderungen in der Tarifrunde. © dpa | Bernd Weißbrod

Sie haben damit gedroht, dass nun Arbeitsplätze verloren gehen. Wie viele Jobs wollen Sie streichen?

Ogilvie: Wir haben nicht gedroht. Wir haben ausgesprochen, was eine logische Konsequenz wäre. Wenn wir nicht mehr ausreichend in neue Betriebsstandorte investieren können, stellt sich die Frage, ob wir diese Standorte weiter selber betreiben können und wollen, oder ob wir sie fremdvergeben. Letztlich muss verdi die Frage beantworten: Wollen sie mit uns gemeinsam das Modell der Deutschen Post mit hoher Eigenbeschäftigung beibehalten oder nicht.

Sie planen also mehr Fremdvergabe?

Ogilvie: Wir würden überhaupt erst in die Fremdvergabe einsteigen. Momentan haben wir sie nicht.

Im Paketbereich schon.

Ogilvie: Im Paketbereich haben wir bei der Zustellung 98 Prozent in der eigenen Wertschöpfung. Betriebs- und Sortierzentren sind im Eigenbetrieb. Die Briefzustellung haben wir komplett im Eigenbetrieb.

Damit laufen Sie Gefahr, dass die Qualität abnimmt und sich noch mehr Verbraucher über die Zustellung beschweren.

Ogilvie: Das glaube ich nicht, weil eine hohe Qualität auch mit zuverlässigen Partnern gewährleistet werden kann. Aber wenn man genauer hinschaut, zeigt sich doch die Absurdität der Verdi-Position. Wir machen ein Angebot, um das etablierte Modell fortführen zu können. Und Verdi stellt sich dagegen, weil sie noch mehr wollen und damit billigend in Kauf nehmen, dass wir dann weniger Kräfte im Haustarifvertrag beschäftigen können – auch das kann nicht im Interesse einer Gewerkschaft liegen.

Wie schwer ist es für die Post, Fachkräfte zu finden?

Ogilvie: Die Deutsche Post ist das einzige Unternehmen im Paketmarkt, das mit einem Haustarifvertrag arbeitet. Nur 2 Prozent der Pakete werden bei uns durch Service-Partner zugestellt. Alle anderen Konkurrenten arbeiten mit bis zu 100 Prozent mit Subunternehmern und entsprechend günstigeren Kosten und höherer Flexibilität. Wenn sich unsere Rahmenbedingungen durch höhere Tariflöhne und Regulierungen weiter verschlechtern, müssen auch wir zwangsläufig auf dieses Modell umschwenken. Ich halte dies zwar für den falschen Weg, sehe aber keine Probleme, verlässliche Partner für uns zu gewinnen.

Damit stehen Sie allein im Reigen der Unternehmer aller Branchen, die alle über Fachkräftemangel klagen.

Ogilvie: Da wir mit die höchsten Löhne in der Branche zahlen, sind wir durchaus im Vorteil. Wir sind aber auch überzeugt, dass sich Deutschland angesichts der Demografie bei der Arbeitskräftezuwanderung weiterentwickeln muss. Ein höheres Maß an Arbeitsmigration ist zwingend erforderlich, um die Leistungsfähigkeit auf Dauer aufrecht zu erhalten.

Inwieweit werden sich die Preise für Postleistungen durch die Lohnerhöhungen verteuern – geht es kräftig nach oben?

Ogilvie: Das Porto für Briefe wird von der Bundesnetzagentur festgelegt, das nächste Mal für 2025. Bei Paketen sind wir bei der Preisfestlegung zwar frei, stehen aber in hartem Wettbewerb. Wenn es gewollt ist, dass Betriebsmodell und Qualität der Deutschen Post, die neben Österreich und der Schweiz zu den drei besten Postunternehmen der Welt gehört, erhalten bleibt, sollte man uns entsprechende Spielräume bei den Preisen geben. Dabei treibt vor allem die rückläufige Briefmenge höhere Stückkosten – ob man einen oder zwei Briefe an einem Hauseingang abgibt, bedingt nahezu den gleichen Aufwand.