Berlin. Die junge Generation übernimmt den Arbeitsmarkt. Mit ihr wird Urlaub immer wichtiger. Warum Betriebe jetzt dringend umdenken müssen.

Viele Streitigkeiten zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern um Urlaubsansprüche von Beschäftigten dürften mit dem aktuellen Urteil des Bundesarbeitsgerichts geklärt sein. Urlaub verjährt nicht automatisch, er verfällt auch nicht zwangsläufig nach einer gewissen Zeit.

Die Richter folgten dem Europäischen Gerichtshof und schrieben den Arbeitgebern erneut Pflichten ins Aufgabenbuch. Sie müssen selbst daran mitwirken, dass ihre Beschäftigten den Anspruch auch wahrnehmen können und sie zum Beispiel von einem Verfall ihrer Ansprüche warnen. Ganz neu ist diese Rechtsauffassung nicht. Aber die Richter haben nun auch bei langer Krankheit für Klarheit gesorgt. Die Entscheidungen sind arbeitnehmerfreundlich.

Das Urteil des Gerichts passt auch in eine Zeit, in der sich die Arbeitswelt wieder einmal ändert, in der sich auch die Machtverhältnisse zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern verschieben. Der Arbeitskräftemangel stärkt tendenziell die Anbieter von Arbeitskraft, also die Beschäftigten.

Wirtschaftskorrespondent Wolfgang Mulke
Wirtschaftskorrespondent Wolfgang Mulke © ZRB

Bessere Work-Life-Balance: Betriebe müssen umdenken

Umfragen in der jüngeren Generation zeigen ein eindeutiges Wunschbild der Arbeitswelt. Der Job soll eine gute Balance zwischen Arbeit und Freizeit, Beruf und Familie ermöglichen. Dazu gehört fraglos auch ein konfliktfreier Umgang mit dem Arbeitgeber beim Urlaub.

Viele Betriebe müssen diesbezüglich umdenken, wenn sie gute Leute halten wollen. Die Erfahrung der älteren Generation bestand häufiger in dem permanenten Druck der Arbeitgeber, Aufträge abzuarbeiten und Urlaubstage deshalb hinausschieben zu müssen. Diese Zeiten sollten vorbei sein in der neuen Arbeitswelt. Es ist weder gesund noch motivierend, wenn Urlaub einfach irgendwann abgefeiert werden muss.

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Der zweite Aspekt ist nicht minder wichtig. Wenn es mehr Arbeit gibt, als Menschen, die sie erledigen können, müssen diese wenigsten so lange wie möglich gesund und leistungsfähig bleiben. Dazu gehört ausreichend Regenerationszeit, also genügend Urlaub.

Wo das nicht gelingt, darf denen, die krank werden, möglichst kein Rechtsnachteil daraus erwachsen. Eine Verjährung von Urlaubsansprüchen ist ein Nachteil, bedeutet sie doch am Ende nach langer Krankheit womöglich auch noch den Verlust von Ausgleichszahlungen. Es ist also richtig und wichtig, dass in dieser Frage eine eindeutige Rechtslage herrscht. Diese hat das Bundesarbeitsgericht nun hergestellt.

Ist Deutschland eine Freizeitrepublik?

Der frühere Bundeskanzler Helmut Kohl hat einmal beklagt, dass Deutschland zur Freizeitrepublik geworden sei. Diese Art zu denken, ist immer noch weit verbreitet. Sie geht dann aus, dass viel Arbeit auch viel Ertrag bringt, dass Urlaub den Wohlstand schmälert und permanenter Einsatz den produktivstes Erwerb ermöglicht.

Falls das jemals galt – heute gilt es nicht mehr. Die Volkswirtschaft muss sich an die demographischen Gegebenheiten anpassen und den Erhalt von Gesundheit und Arbeitskraft in den Mittelpunkt stellen, die Arbeit humaner gestalten. Sonst werden die vielen Herausforderungen einer alternden Gesellschaft nicht zu bewältigen sein.

Dazu gehört auch, dass Urlaub von Arbeitgebern nicht nur als kostspieliges Arbeitnehmerrecht angesehen wird, sondern als Teil einer langfristigen Strategie zur Sicherung von Arbeitskräften. In modernen Unternehmen ist das der Fall, doch längst noch nicht überall in der Wirtschaft. Vor allem in Bereichen, in den wenig verdient wird und Arbeitnehmer scheinbar leicht ersetzbar sind, fehlte diese Einsicht noch. Doch an einem Lernprozess kommt am Ende niemand vorbei.