Berlin. Wer Verpackungen oder Kartons wiederverwertet, kann Geld und Ressourcen sparen. Eine App soll der Idee jetzt zum Durchbruch verhelfen.

Die Baustelle auf der Straße war schuld. Die große Papiertonne des Neunfamilienhauses konnte nicht geleert werden. Der Behälter blieb voll. Die braunen Pappkartons drückten gegen den blauen Deckel und ließen ihn offen stehen. In den Tagen danach sorgte die volle Tonne für Gesprächsstoff in Haus und Whatsapp-Gruppen. Wohin nur mit dem Papier, wohin mit den Kartons?

Rechnet man die Menge an verschickten Paketen auf alle Einwohner Deutschlands herunter, ergibt sich ein Durchschnitt von etwa 49 Paketen pro Person und Jahr, teilt der Bundesverband Paket und Expresslogistik mit. 2021 zählte die Branche hierzulande mehr als vier Milliarden Sendungen.

Jedes Paket bedeutet: Es braucht eine Verpackung und oft auch Füllmaterial. Bereits 2018, vor dem durch Corona beschleunigten Boom im Onlineversandhandel, führte dies zu einem hohen Verbrauch von Pappe und Papier. Das Umweltbundesamt rechnet für das Jahr 2020 mit mehr als 18 Millionen Tonnen – 219 Kilogramm pro Kopf.

Pakete: Papierfasern lassen sich nicht endlos wiederverwerten

Verpackungen aus Papier haben eine hohe Recyclingquote. Sie liegt bei über 70 Prozent. Doch Papierfasern lassen sich im Durchschnitt nur fünf- bis achtmal wiederverwerten. Für den Nachschub an Material braucht es also ständig neue Holzfasern. Für deren Herstellung und Verarbeitung werden Energie und Wasser verbraucht.

Wie kann das kurze Leben von Kartons verlängert werden? Diese Frage stellten sich Martin Beitz und die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Grünen Projektmanufaktur in Aachen. „Wir wollten, dass auf kurzen Wegen Verpackungsmaterial ausgetauscht werden kann. Das Material muss doch nicht nach einmaliger Nutzung in der Tonne verschwinden“, sagt Beitz im Gespräch mit unserer Redaktion. „Unser Anspruch ist, den Onlinehandel nachhaltiger zu machen.“ Lesen Sie auch: Online-Handel: Kommt bald das Aus für kostenlose Retouren?

Mit „Repacket“ hat die Firma eine Möglichkeit geschaffen, alte Päckchen und Pakete erneut auf Reisen zu schicken. Die App – kostenlos für die Betriebssysteme iOS und Android – listet ein Netzwerk aus Geschäften auf, die gebrauchte Kartons, Versandtaschen oder Füllmaterial entgegennehmen, um sie ein weiteres Mal zum Versenden zu benutzen. Die Nutzerinnen und Nutzer müssen sich dafür nicht registrieren. Per Standortsuche lässt sich die Liste der Händler filtern. Per Klick werden deren Adressen und Öffnungszeiten angezeigt.

„Repacket“ – die Karte ist schon gut gefüllt

„Im Moment haben wir in Deutschland und Österreich etwa 200 Abgabestationen oder Händler, bei denen man Verpackungsmaterial abgeben kann“, sagt Beitz. Oft gebe es noch einen Überschuss bei Angebot oder Nachfrage. „Die Karte in der App ist zwar schon recht gut gefüllt, aber Deutschland ist ziemlich groß. In bestimmten Regionen registrieren wir einen Mangel an Abnehmern“, so Beitz weiter.

Mit Papier, Pappe und Kartons übervolle Altpapier-Tonnen sind keine Seltenheit. Der Pro-Kopf-Verbrauch von Papier steigt in Deutschland.
Mit Papier, Pappe und Kartons übervolle Altpapier-Tonnen sind keine Seltenheit. Der Pro-Kopf-Verbrauch von Papier steigt in Deutschland. © dpa | lexandra Schuler

In Zusammenarbeit mit dem In­stitut für Anthropogene Stoffkreisläufe der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule (RWTH) Aachen hat die Grüne Projektmanufaktur analysieren lassen, welche ökologische Wirkung es hat, einen Versandkarton wiederzuverwerten. Dafür wurde die These aufgestellt, dass das Klimaerwärmungspotenzial eines Kartons bei 0,31 Kilogramm CO₂-Äquivalenten liegt. Den größten Anteil daran hat die Herstellung. CO₂-Äquivalente sind eine Maßeinheit zur Vereinheitlichung der Klimawirkung der unterschiedlichen Treibhausgase. Auch interessant: So trifft der Klimawandel Ihre Region

Durch eine Wiederverwendung können der Analyse zufolge 45 Prozent der Treibhausgase eingespart werden, da ein weiterer Herstellungsschritt entfällt. Wird der Karton noch ein weiteres Mal verwendet, liegt die Einsparung bereits bei etwa 60 Prozent. Darüber hinaus berechneten die Studenten, dass durch ein zweites Leben des Kartons etwa neun Liter Wasser und 0,7 Quadratzentimeter Fläche eingespart werden.

Paketkarton: Das Material behält seine schützende Eigenschaft

„Ein Karton kann durchschnittlich bis zu dreimal wiederverwendet werden, ohne dass das Material seine schützenden Eigenschaften verliert. Ist der Karton optisch noch in brauchbarem Zustand, bietet er weiterhin den gleichen Schutz wie ein neu gekaufter“, sagt Beitz.

Wichtig für den ökologischen Nutzen sei, das Material vor der erneuten Nutzung nicht mit dem Auto hin- und herzufahren. Mehr als fünf Kilometer dürfen die Kartons nicht mit dem Wagen transportiert werden, damit die Klimabilanz stimmt.

Zu Beginn hat die Grüne Projektmanufaktur deshalb auch über ein Pfandsystem nachgedacht. Eines, wie es von Flaschen oder Gläsern bekannt ist. „Das wäre durchaus wünschenswert“, sagt Beitz. Um aber so etwas für den gesamten Onlinehandel zu etablieren, brauche es viel Zeit. Repacket sei schneller umsetzbar. Lesen Sie auch: Aldi, Lidl und Co.: Diese Regeln gelten bei der Pfandrückgabe

„Wir sehen, dass es auch aus Kostengründen ein gesteigertes Interesse an unserer Idee gibt“, so Beitz. Die Produktion von Papier sei lange Zeit so günstig gewesen, dass sich eine Aufbereitung oft nicht gelohnt habe. „Jetzt aber steigen die Preise und Wiederverwertung wird wichtiger. Wir hoffen, dass uns das hilft, in weiten Teilen Deutschlands ein echtes Nachbarschaftsnetzwerk aufzubauen.“