Berlin. Die Debatte über Öffnungsschritte ist in vollem Gange. Doch die Verbreitung von BA.2 könnte die Omikron-Welle um Wochen verlängern.

Den Auftrag gibt es schon seit der letzten Bund-Länder-Runde: Für den Moment, heißt es im Beschluss aus der vergangenen Woche, in dem eine Überlastung des Gesundheitssystems durch Corona ausgeschlossen werden kann, sollen die Ministerpräsidenten und -präsidentinnen der Länder eine Öffnungsperspektive entwickeln. Und auch wenn die nächste Spitzenrunde erst Mitte Februar ist, machen manche Länderchefs jetzt schon Druck.

Schon am Wochenende hatte der bayerische Ministerpräsident Markus Söder (CSU) gefordert, für die Zeit nach dem Höhepunkt der Welle zu planen und perspektivisch bestimmte Freiheiten zurückzugeben, etwa in der Gastronomie oder bei Sport- und Kulturveranstaltungen.

Ähnlich klang das am Montag bei Teilen der Ampel-Parteien: Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) sagte, noch sei „kein Anlass für Entwarnung“ gegeben. Aber gerade Branchen wie der Veranstaltungs- oder Kulturbereich bräuchten Vorlauf, um öffnen zu können. Bremens Bürgermeister Andreas Bovenschulte (SPD) nannte den Einzelhandel als möglichen Bereich für Lockerungen.

Handel fordert Ende der 2G-Regelung

Dort stoßen die Überlegungen auf offene Ohren. Mehrere große Supermarktketten forderten am Montag in einem Brief an die Bundesregierung ein Ende der 2G-Regelung im Einzelhandel. Auch der Handelsverband Deutschland (HDE) stellte sich hinter die Forderung: „Die 2G-Regelung beim Einkauf leistet keinen spürbaren Beitrag zur Pandemiebekämpfung. Einkaufen mit Maske, Abstand und Hygienekonzept ist eine sichere Angelegenheit“, sagte HDE-Hauptgeschäftsführer Stefan Genth unserer Redaktion. „Maskenpflicht und Abstandsregel schützen nachgewiesenermaßen sehr effizient vor einer Corona-Infektion.“

Mitten in der Omikron-Welle ist damit eine Debatte über Lockerungen voll im Gang. Doch ab welchem Punkt können wirklich Maßnahmen zurückgenommen werden?

Eine Mitarbeiterin eines Kaufhauses kontrolliert am Eingang mit einem Smartphone nach der gültigen 2G Regel den Impfnachweis einer Kundin.
Eine Mitarbeiterin eines Kaufhauses kontrolliert am Eingang mit einem Smartphone nach der gültigen 2G Regel den Impfnachweis einer Kundin. © dpa | Bernd Weißbrod

Die reinen Infektionszahlen zeichnen derzeit kein Bild, das nach Lockerungen aussieht. Erneut meldete das RKI am Montag einen Höchststand bei der Sieben-Tage-Inzidenz, bundesweit liegt diese inzwischen bei 1176,8. Gemeldet wurden von den Gesundheitsämtern 78.318 Corona-Neuinfektionen, tatsächlich dürften es aber deutlich mehr sein. Experten gehen von einer hohen und weiter steigenden Zahl von Fällen aus, die in den RKI-Daten nicht erfasst sind.

Die Omikron-Variante führt aber zu weniger schweren Verläufen als frühere Formen des Virus. Trotz sehr hoher Inzidenzen ist die Lage auf den Intensivstationen derzeit deshalb unter Kontrolle. Laut RKI ist die Gesamtzahl der Covid-19-Intensivpatienten in der vergangenen Woche sogar gesunken und lag zuletzt bei 2268 Fällen.

Patienten, die sich noch in der Delta-Welle infiziert hatten, verlassen in diesen Tagen die Kliniken genesen, oder sie sterben. Gleichzeitig steigt zwar die Zahl der Neuaufnahmen wegen Omikron, aber noch nicht stark genug, um die Zahl der Entlassungen aufzuwiegen.

Daneben beobachten die Kliniken immer mehr Covid-19-Patienten auf Normalstationen: Die Zahl der coronapositiven Patienten auf Normalstationen sei in den vergangenen Wochen stark gestiegen, „auf deutlich mehr als 10.000 Patienten“, sagte Gerald Gaß, Vorstandsvorsitzender der Deutschen Krankenhausgesellschaft, unserer Redaktion. Insgesamt würden sie über alle Standorte hinweg aber weniger als fünf Prozent ausmachen.

Lauterbach geht davon aus, dass BA.2 sich durchsetzt

Ob die Lage in den Krankenhäusern bis zum Scheitelpunkt der Omikron-Welle so beherrschbar bleibt, ist nicht sicher. Die Unbekannte heißt BA.2 – ein Subtyp der Omikron-Variante des Virus, der als noch infektiöser gilt als der bislang vorherrschende Subtyp BA.1. Im jüngsten RKI-Wochenbericht bewerten die Experten BA.2 als besonders durchsetzungsstark. International werde beobachtet, dass sich BA.2 stärker ausbreitet als BA.1.

Die Folge: „Der Omikron-Subtyp BA.2 wird den Höhepunkt der aktuellen Welle voraussichtlich weiter nach hinten verschieben“, sagte Grünen-Gesundheitsexperte Janosch Dahmen unserer Redaktion. „Alles, was wir bislang über BA.2 wissen, legt nahe, dass die Infektionszahlen möglicherweise noch nicht im Februar zurückgehen werden. Es ist möglich, dass sich die Trendwende um mehrere Wochen verzögern könnte.“

Dabei spielten viele Faktoren eine Rolle. Laut RKI ist bislang noch unklar, ob BA.2 sich auch bei der Krankheitsschwere oder der Wirksamkeit von Impfstoffen von BA.1 unterscheidet. Offen ist zudem, wie gut Personen, die eine Infektion mit dem Omikron-Subtyp BA.1 überstanden haben, gegen BA.2 immunisiert sind.

In Deutschland lag der Anteil von BA.2 in der zweiten Januarwoche laut RKI erst bei 2,3 Prozent, er sei aber gegenüber der Vorwoche leicht gestiegen. Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) geht davon aus, dass sich BA.2 auch hierzulande durchsetzen wird. „Das Virus wird Ende Februar nicht verschwunden sein“, so Dahmen. „Angesichts von BA.2 sind umfassende Lockerungen in den nächsten vier Wochen eher unrealistisch.“