Berlin. Der Gardasee? Ist doch die Badewanne der Deutschen? Nicht in diesem Sommer. Die Italiener sind da. Und schon klingt alles anders.

Meine Haut klebt von der Schutzfaktor-30-Sonnenmilch. Der Wind lässt den Schatten der Olivenzweige auf meinen weißen Beinen tanzen. Und doch: Am Abend sind meine Schultern feuerrot, und da kann ich noch so routiniert meine brav gelernten italienischen Floskeln loswerden, meine deutsche Herkunft leuchtet quasi meinen Urlaubsnachbarn entgegen.

In Corona-Zeiten kann das schon mal ein Alleinstellungsmerkmal sein, denn die Mailänder, die Bozener, die Veroneser (ich meine hier immer Frauen und Männer), die es normalerweise in den Süden des Stiefels zieht, bleiben in der Region, wenn die Virus-Variante lauert. Sie entdecken gerade neu, was eigentlich als südlichster Vorort von München gilt: Il Lago di Garda.

Und so höre ich nicht nur das gestöhnte „Hoiß is“ ein freudiges: „fa molto caldo“ (Hochdeutsch: Es ist heiß). Wer es sich leisten kann, erzählt uns eine Maklerin, deren Aushänge wir aus Neugierde studieren, der suche ein Wochenenddomizil. „Ich habe wahnsinnig viel zu tun“, sagt sie. Big Business am Lago.

Corona-Sommer: Der Sound der schwatzenden Italiener

Der Gardasee hat jetzt, da er von viel weniger Deutschen bevölkert wird, einen ganz anderen Klang. Ob am Pool oder am Ufer oder über die Tische hinweg in den Restaurants: Italiener unterhalten sich unentwegt; und dafür gibt es den herrlichen Ausdruck: „Fare quattro chiacchiere“. Das umfasst alles, was mit Tratsch und Small Talk zu tun hat – und es ist absolut nicht geschlechtsspezifisch.

Der italienische Plaudersound liegt diesmal auch über dem Pool der Appartementanlage. Drei Jugendliche lassen ihr Radio laufen, plötzlich singen alle mit beim Sommerhit: „Un bacio all’improvviso, uoh, oh“.

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© FUNKE Foto Services | Reto Klar

Besonders intensiv verlaufen die Gespräche zwischen Großeltern und Enkeln. Die Kinder rufen unentwegt nach ihrem „Nonno“, ihrer „Nonna“ (also Opa und Oma), die Nonna steht mit der Fünfjährigen im Pool, zeigt im freundlichen Ton die Schwimmzüge, der Vater kommentiert in Schwimmshorts und gegelten Italiener-Locken die Szenerie vom Poolrand aus, unterbrochen von unzähligen Telefonaten.

Die elegante Emanzipation der Signora

Nur die Mutter hält sich raus, sie liegt unbeweglich mit Badekappe auf der Luftmatratze, die sich langsam über das Poolwasser bewegt.

Ich finde das theatralische Entspannen der Signora wunderbar. Sie hat sämtliche Verpflichtungen für dieses Wochenende abgegeben. Für mich ein nachahmenswerter Akt der Emanzipation.

Auf unserer Luftmatratze liegt das Teenie-Kind. Als es aufsteht, um sich was zu trinken zu holen, binde ich meine Haare zusammen, presse aus der Schutzfaktor-50-Tube die letzten Cremereste, verteile sie auf Gesicht und Dekolleté, werfe die Matratze ins Wasser und rolle mich vom Beckenrand ziemlich elegant drauf, stoße mich mit dem Fuß ab und gleite nun selbstverständlich über das Poolwasser.

Hautkrebs!, denke ich. Und: Falten!

Ich schließe die Augen und versuche, mich zu entspannen. Doch die Kraft der Sonne, die sofort meinen Körper aufheizt, lässt meine Sorge vor neuen Verbrennungen wachsen. Hautkrebs! denke ich. Und: Falten! Ich spüre, wie eine Biene über mein Bein krabbelt. Und zähle Sekunden zu Minuten zusammen, wie damals in der Röhre beim MRT. Eine Viertelstunde sollte ich wohl aushalten.

Es sind wohl nur zwei oder drei Minuten, bis ich mit meiner aufgeheizten Haut unter Wasser lande. Das liebe Kind hat mir die Matratze unter dem Rücken weggezogen. Das Getöse ist riesig, Krebsrot mit nassen Haaren tauche ich auf, huste Wasser aus meiner Lunge und schnappe nach Luft.

Noch peinlicher als mein Versuch, „eleganza“ im Pool zu zeigen, sind die anderen Tedeschi, die anderen Deutschen, die am Ende unseres Urlaubs dann doch noch in der Appartement-Anlage auftauchen.

Trinken zu Helene Fischer: Ist das peinlich!

Vier trinkwütige Frauen, 30+, die sich mit vier trinkwütigen Frauen, 50+, verschwestern. Sie singen wie die italienischen Teenies, nur schlechtere Songs und nicht so sauber. Sie sonnen sich wie die Signora – nur ohne Sonnencreme. Sie schleppen Vino vom Ausflug aufs Weingut an – und trinken ihn lauwarm am Pool; mit dem Oberkörper auf der Matratze und den Beinen im Wasser.

Ist ja schlimmer als der Frauenkegelclub im Intercity in Vor-Corona-Zeiten, mit Piccolöchen und Helene Fischer, denke ich.

Mir ist das peinlich, dieses Deutsch-Sein. Wobei das wohl auch wieder typisch deutsch ist, sich für die eigene Herkunft zu schämen statt einfach den Urlaub zu genießen. Abgesehen davon: So schlecht ist Helene Fischer im Urlaub gar nicht. Wahrscheinlich würde sie mir sogar gefallen, würde sie auf italienisch singen.

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