Berlin. Tausende Deutsche verbringen gerade ihren Urlaub in der Türkei. Die Einstufung als Hochrisikogebiet dürfte ihnen den Sommer vermiesen.

Immerhin blieb den Türkei-Reisenden mehr Zeit als denen in Israel und den USA. Als am Freitagnachmittag die Nachricht kam, dass die Bundesregierung alle drei Länder zu Hochrisikogebieten der Pandemie hochstuft, galt das für die ehemaligen Impfvorreiter USA und Israel schon in der Nacht zum Sonntag.

Nur für die Türkei soll der neue Status erst in der Nacht zum Dienstag in Kraft treten. Hintergrund ist die aktuelle Infektionslage im Land. Die Sieben-Tage-Inzidenz lag zuletzt knapp über 200, die Zahl der täglichen Corona-Neuinfektionen war in den vergangenen Wochen stark angestiegen. Die Sorge ist groß, dass Rückkehrer das Infektionsgeschehen auch hierzulande weiter befeuern könnten.

Türkei-Reisen im Sommer: Viele besuchen Verwandte

Die neue Einstufung dürfte die Reisepläne von Tausenden Menschen gehörig durcheinanderwirbeln. Die Türkei mit ihrem türkisblauen Meer und zahlreichen historischen und kulturellen Sehenswürdigkeiten ist nicht nur ein beliebtes Urlaubsziel.

Viele türkischstämmige Menschen, die in Deutschland leben, nutzen den Sommer auch, um im Land Verwandte und Freunde zu besuchen. Allein 170.000 Menschen, schätzt der deutsche Reiseverband, seien derzeit im Rahmen von Pauschalreisen in der Türkei, hinzu kämen viele selbst organisierte Aufenthalte. Alle diese Reisen könnten jetzt jäh abgekürzt werden.

Kinder unter 12 Jahren können Quarantäne nicht umgehen

Denn wer aus einem Hochrisikogebiet kommt und weder eine vollständige Corona-Impfung noch eine überstandene Corona-Erkrankung nachweisen kann, muss bei seiner Rückkehr in Quarantäne. Zehn Tage lang sollen sich Rückkehrer nach Angaben des Auswärtigen Amts isolieren, eine Abkürzung der Quarantäne durch ein negatives Testergebnis ist frühestens nach fünf Tagen möglich. Für Kinder unter 12 Jahren endet die Quarantäne automatisch nach fünf Tagen.

Doch gerade für diese Gruppe gibt es noch keinen zugelassenen Impfstoff – und damit keine Möglichkeit, die Quarantäne ganz zu umgehen, kritisiert der Deutsche Reiseverband (DRV). Insbesondere Familien mit jüngeren Kindern gereiche die aktuelle Regelung deshalb „explizit zum Nachteil“, sagte Verbandspräsident Norbert Fiebig. In den Sommerferien befänden sich viele Familien in der Türkei im Urlaub.

„Wir haben bereits darauf hingewiesen, dass diese Entscheidung der Bundesregierung im Widerspruch zu europäischen Beschlüssen steht. Es wäre wünschenswert, dass hier schnellstmöglich eine Änderung herbeigeführt wird.“ Der EU-Rat hatte vor einigen Wochen empfohlen, Minderjährige, die mit ihren geimpften Eltern oder Begleitpersonen reisen, von der Quarantäne auszunehmen.

Urlaub im Hochrisikogebiet könnte Teilnahme am Schulunterricht gefährden

Problematisch könnte die Situation vor allem für Familien mit Schulkindern werden, die eine Rückkehr erst kurz vor dem Ende der Sommerferien geplant hatten. Schüler und Schülerinnen in Nordrhein-Westfalen, für die am Mittwoch der Unterricht wieder losgeht, haben noch Zeit, rechtzeitig nach Hause zu kommen. Doch in zehn weiteren Bundesländern laufen die Ferien noch.

„Insbesondere in den Fällen, wo die Rückkehr aus der Türkei erst knapp vor dem Schulstart erfolgt, ist die Teilnahme am Präsenzunterricht in den ersten Schultagen gefährdet“, sagte Heinz-Peter Meidinger, Präsident des Deutschen Lehrerverbandes, unserer Redaktion. Der Verband appelliert an die Betroffenen, sich an die Quarantäneregeln zu halten: Da die Einstufung als Hochrisikogebiet so spät erfolgte, seien sie für den eventuell verzögerten Schulstart nicht verantwortlich.

Türkei: Kritik an später Einstufung als Corona-Hochrisikogebiet

Die Opposition kritisierte die Einstufung der Bundesregierung als überstürzt und wenig vorausschauend. „Zu spät, erratisch und zu kurzfristig“ würden die verantwortlichen Minister Jens Spahn und Horst Seehofer reagieren, sagte FDP-Fraktionsvize Michael ­Theurer unserer Redaktion. „Die kurzfristige Einstufung der Türkei als Hochrisikogebiet wird Tausenden Urlaubern wegen der drohenden Quarantäne für Ungeimpfte oder der Stornogebühr den Urlaub vermiesen.“

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Auch Grünen-Gesundheitsexperte Janosch Dahmen wirft der Regierung mangelnde Voraussicht vor. Wie stark die Reisemobilität zum neuerlichen Anstieg und der nun beginnenden vierten Welle beträgt, zeige sich insbesondere zum Ende der Ferien hin, wo beispielsweise in Nordrhein-Westfalen oder Berlin die Sieben-Tage-Inzidenz schon wieder über 50 liege und weiter ansteige.

„Ich halte es für falsch, dass wir bei dem diffusen internationalen Pandemiegeschehen hinsichtlich des Testens überhaupt noch Unterschiede machen“, sagte Dahmen unserer Redaktion. „Sinnvoll wäre, ganz grundsätzlich immer vor Abreise und am fünften Tag zu testen.“