Berlin. Die Ampel-Spitzen treffen sich am heutigen Sonntagabend im Kanzleramt. Was bei dem Krisen-Gipfel herauskommen kann – und wo es hakt.

Was tut man nicht alles, um seine Regierung zu retten: Olaf Scholz (SPD) hat sich angewöhnt, seine beiden wichtigsten Minister auch in der Öffentlichkeit Robert und Christian zu nennen. Als könne solch demonstrative Kumpelhaftigkeit die tiefen Risse kitten, die durch die Ampel-Koalition gehen. Genutzt hat das bislang wenig: Lindner und Habeck kommen an diesem Sonntag mit ihrem Spitzenpersonal zum abendlichen Krisentreffen ins Kanzleramt. Die Streitliste ist lang. Konkrete Beschlüsse? Offen. Immerhin gibt es jetzt in drei Punkten Bewegung – beim Heizungsstreit, beim Autobahnbau und beim Verbrennermotor.

Das Koalitionstreffen fällt zwischen zwei Termine, die das Klima in der Koalition zusätzlich belasten: Die Klausurtagung der Grünen-Bundestagsfraktion vor wenigen Tagen und der FDP-Jahresparteitag in wenigen Wochen. Habeck hatte die grüne Seele massiert, aber ordentlich Ampel-Porzellan zerschlagen, als er erklärte, es könne nicht sein, „dass in einer Fortschrittskoalition nur ein Koalitionspartner für den Fortschritt verantwortlich ist und die anderen für die Verhinderung von Fortschritt“. FDP-Chef Lindner und seine Truppe nerven umgekehrt besonders die Grünen mit ihrem rigiden Kurs bei Haushaltsfragen und der Verkehrspolitik.

Streit in der Ampel: Olaf Scholz hat eine Strategie für heikle Momente

Ob sich die Koalitionsrunde überhaupt auf irgendetwas einigen kann, wird entscheidend auch davon abhängen, wie wirksam die Pendeldiplomatie des Kanzlers diesmal ist: Teilnehmer erzählen, dass Scholz immer dann, wenn sich die Lage heillos verhakt hat, die drei Delegationen in getrennte Räume schickt. Scholz laufe dann hin und her, trage Argumente vom einem zum anderen, bis sich wieder alle in einem Raum versammeln. Der Regierungschef wird nach Lage der Dinge viel pendeln müssen, an diesem Sonntagabend. In den Parteizentralen stellen sie sich schon auf eine lange Nacht ein.

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Zuletzt gab es immerhin Signale, dass sich beim Streit um das Einbauverbot neuer Gas- und Ölheizungen ab 2024 eine Einigung erzielen lassen könnte. Die Grundidee ist in der Koalition eigentlich längst vereinbart: Ab kommendem Jahr sollen nur noch solche Heizungen neu eingebaut werden, die zu mindestens 65 Prozent mit erneuerbaren Energien betrieben werden. De facto bedeutet das ein Aus für konventionelle Öl- und Gasheizungen. Habeck goss das in einen Gesetzentwurf, der vorzeitig durchsickerte und auf empörte Reaktionen stieß. SPD und FDP betonen beide, Hausbesitzer und Mieter dürften nicht überfordert werden. Das sieht auch Habeck im Prinzip so.

Christian Lindner (FDP), Bundesminister der Finanzen, (l-r) sitzt neben Robert Habeck (Bündnis 90/Die Grünen), Bundesminister für Wirtschaft und Klimaschutz, und Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) auf der Regierungsbank im Bundestag.
Christian Lindner (FDP), Bundesminister der Finanzen, (l-r) sitzt neben Robert Habeck (Bündnis 90/Die Grünen), Bundesminister für Wirtschaft und Klimaschutz, und Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) auf der Regierungsbank im Bundestag. © dpa | Michael Kappeler

Auf Ebene der Staatssekretäre soll nun ein Weg ausgehandelt worden sein, der die Interessen der Verbraucher berücksichtigt. Dabei geht es dem Vernehmen nach um Härtefallregelungen, längere Übergangszeiten und Abschreibungsmöglichkeiten. Laut einem Bericht des „Spiegel“ sei zudem im Gespräch, die Hilfen in Form einer Abwrackprämie für alte Heizkessel auszuzahlen.

Eine Lösung rückt offenbar auch beim strittigen Punkt näher, welche Heizungsarten künftig noch erlaubt sein sollen. Nach dem Willen der FDP soll es auch bei einem Neubau möglich sein, eine Gasheizung einzubauen, solange diese zu 65 Prozent mit klimaneutralem Brennstoff wie grünem Wasserstoff oder Biomethan betrieben wird. Aus Sicht von FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai ist „eine zeitnahe Einigung realistisch“.

Autobahnen: Bekommt Deutschland eine To-Do-Liste?

Beim Streit um die Frage, ob nur Bahnstrecken und Brücken schneller gebaut werden sollen oder auch Autobahnen (was die FDP verlangt), könnte am Sonntag ebenfalls ein Kompromiss gelingen: Die Ampel könnte sich auf ausgewählte Projekte verständigen, die bevorzugt behandelt werden sollen – etwa Strecken, die schon jetzt so überlastet sind, dass es ständig Stau gibt.

Auch FDP-Verkehrsminister Volker Wissing wird am Sonntag vor Ort sein. Er hatte eine Liste mit 144 dieser Engpass-Projekte vorgelegt. Die SPD schlägt nun offenbar vor, diese Liste noch einmal zu kürzen. Die Grünen kritisierten zuletzt, mit der Sanierung von Autobahnen binde man wichtiges Personal, das dann bei der Arbeit an Schienen und Brücken fehle. Ob bereits am Sonntag eine für alle gesichtswahrende Lösung gefunden wird, hängt möglicherweise auch damit zusammen, ob die Grünen etwa an anderer Stelle Punkte machen können.

FDP-Fraktionsvize kritisiert „ungezügelte Ausgabensucht“ von SPD und Grünen

Im Streit um die Zukunft des Verbrennermotors scheint unterdessen der Knoten durchschlagen zu sein: Die Bundesregierung hat sich nach wochenlangem Ringen um die Zukunft von Autos mit Verbrennungsmotor mit der EU-Kommission geeinigt. „Damit ist der Weg frei, dass Fahrzeuge mit Verbrennungsmotor, die ausschließlich CO2-neutrale Kraftstoffe tanken, auch nach 2035 neu zugelassen werden können“, sagte Verkehrsminister Volker Wissing am Samstag in Berlin. Auch EU-Kommissionsvize Frans Timmermans schrieb auf Twitter, man habe eine Einigung mit Deutschland über die künftige Verwendung der sogenannten E-Fuels in Autos erzielt.

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Neben den konkreten Streitpunkten bleibt weiterhin der Megastreit um den Bundeshaushalt. An eine schnelle Lösung am Sonntagabend glaubt niemand – es wäre schon viel, wenn sich die Koalition auf ein Verfahren einigen könnte, wie die Selbstblockade gelöst werden soll. FDP-Vizefraktionschef Christoph Meyer verschärfte unterdessen noch einmal den Ton gegenüber SPD und Grünen. Er warf den Koalitionspartnern „ungezügelte Ausgabensucht“ vor und kündigte ihnen einen „kalten Entzug“ an: „Manchmal muss man dem Alkoholkranken die Flasche Schnaps vom Mund schlagen.“