Berlin. Bei einer Sondersitzung des Bundestags traten die Kanzlerkandidaten auf. Auch Kanzlerin Merkel ergriff zum Unmut der Anwesenden Partei.

Die Ankündigung auf der Tagesordnung liest sich lapidar: Eine „Debatte zur „Situation in Deutschland“ ist da eingeplant für die 239. und wahrscheinlich letzte Sitzung des Bundestags in der laufenden Wahlperiode. Das Parlament kommt am Dienstag noch einmal zusammen, um zu entscheiden, was noch zu entscheiden ist. Der Ganztagsanspruch für Grundschulkinder soll beschlossen werden, neue Corona-Regeln und der Aufbaufonds für die Flutgebiete.

Doch von einem einmütigen Abarbeiten der Aufgaben, vielleicht sogar einem versöhnlichen Abschluss der Legislatur, ist an diesem Tag wenig zu sehen. Denn vor den Sachthemen steht der Wahlkampf. Den Auftakt macht die Amtsinhaberin: Bundeskanzlerin Angela Merkel nutzt ihren wohl letzten Auftritt im Plenum, zunächst, um noch einmal hervorzuheben, was aus ihrer Sicht die Erfolge der letzten vier Jahre waren.

Den Kohleausstieg nennt die Kanzlerin, den Digitalpakt Schule, das Bemühen um gleichwertige Lebensverhältnisse und die Fortschritte in der Digitalisierung insgesamt – wofür sie Lacher erntet von der Opposition.

Bundestagswahl: Merkel warnt vor Linksbündnis

Vor allem aber macht Merkel Wahlkampf für ihre in den Umfragen zuletzt tief gesunkene Partei – und nutzt das Rednerpult, um wie zahlreiche andere Unionspolitiker in den vergangenen Tagen vor einer Regierungsbeteiligung der Linkspartei in einem Mitte-Links-Bündnis zu warnen. Die kommende Wahl sei eine Richtungswahl, sagt die Kanzlerin: „Es ist nicht egal, wer dieses Land regiert.“

Die Bürgerinnen und Bürger hätten die Wahl zwischen SPD und Grünen, die die Unterstützung der Linkspartei in Kauf nähmen oder zumindest sie nicht ausschließen würden, oder eine von CDU und CSU geführte Bundesregierung unter einem Kanzler Armin Laschet. Und diese sei „der beste Weg für unser Land“.

Merkel: „Meine Güte, was eine Aufregung“

Im Plenum ist die Empörung groß über die Wahlkampfrede der Kanzlerin. Und die reagiert unerwartet deutlich: „Meine Güte, was für eine Aufregung“, sagt Merkel. „Ich bin seit über 30 Jahren Mitglied dieses Deutschen Bundestages und ich weiß nicht, wo, wenn nicht hier, solche Fragen diskutiert werden müssen.“

Der Ton für die Debatte ist mit Merkels Rede an diesem Tag gesetzt: Das Rednerpult im Bundestag wird zu einer der vielen Wahlkampfbühnen, die es derzeit im Land gibt.

Auf die Kanzlerin folgt zunächst AfD-Spitzenkandidatin Alice Weidel, bevor der Mann das Wort ergreift, den Merkel als Nachfolger offenbar verhindern will. Vizekanzler, Bundesfinanzminister und SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz gibt sich zunächst staatsmännisch und lobt den gemeinsamen Kampf gegen die Corona-Pandemie, im Land, aber auch in der Regierung. „Einen schönen Dank für die Zusammenarbeit, auch an Sie, Frau Bundeskanzlerin“, sagt Scholz.

Dann schaltet auch er in den Wahlkampf-Modus. Scholz' Themen an diesem Tag sind der Zusammenhalt und wie er ihn fördern will, nämlich mit klassisch sozialdemokratischen Themen: Bekämpfung der Kinderarmut durch eine Kindergrundsicherung, ein Ausbildungsplatz-Garantie, ein Moratorium für Mieterhöhungen und 400.000 neue Wohnungen im Jahr sowie sichere, stabile Renten.

Scholz sieht Klimaschutz als Industriepolitik

Zu den größten Herausforderungen der nächsten Jahre gehöre zudem der Klimaschutz. „Klimaschutz, das ist jetzt Industriepolitik“, sagt Scholz und wirft der Union eine Blockade-Haltung vor. Vier weitere Jahre unter CDU und CSU, das wäre „eine Bedrohung für den Wirtschaftsstandort Deutschland.“

Mehr und besseren Klimaschutz, das sieht auch Annalena Baerbock als zentrale Aufgabe der kommenden Regierung. Und weil ihre Partei, anders als Union und SPD, aktuell nicht regiert, ist Baerbock frei, den Mitbewerbern die Versäumnisse der vergangenen Jahre bei diesem und allen anderen Themen in deutlichen Worten vorzuwerfen.

Der Klimawandel sei „das größte Risiko unserer Zeit und deswegen die zentrale Aufgabe für unsere Generation“, sagt Baerbock. Dass die Mitbewerber am Kohleausstieg 2038 festhalten, hält sie für fatal. Die Bundesregierung habe es „vermasselt“, den Weg zur Klimaneutralität einzuschlagen.

Armin Laschet ist der letzte der drei Bewerber ums Kanzleramt, der an diesem Tag reden darf. Er dankt der Bundeskanzlerin für die Unterstützung, indem er die letzten vier Legislaturperioden unter ihrer Führung lobt. Es seien „16 gute Jahre für Deutschland“ gewesen, sagt der Unions-Kandidat.

Laschet attackiert Scholz

Dass ausgerechnet Olaf Scholz in der Wahrnehmung vieler Menschen offenbar am ehesten in der Lage ist, Merkels Erbe anzutreten, ist ein Problem für den CDU-Politiker.

Und so versucht auch Laschet, den Vizekanzler darzustellen, als einen, der sich als Regierungschef prompt als linkes U-Boot entpuppen würde: „Man kann nicht mit der Raute durch die Gegend laufen und reden wie Saskia Esken, das passt einfach nicht zusammen“, wirft Laschet Scholz vor, und fordert ihn erneut auf, ein Bündnis mit der Linkspartei auszuschließen.

Einigkeit besteht immerhin in einem Punkt: Die kommende Wahl, das sagen die Kanzlerin und alle, die ihr nachfolgen wollen, sei eine Richtungswahl.