Berlin. Klimaschutz, Corona und mehr: In der ZDF-Sendung “Klartext“ stellte sich Annalena Baerbock 90 Minuten lang den Fragen der Gäste.

Die Sendung ist fast vorbei, da schaut Annalena Baerbock etwas verdutzt. Der Moderator will wissen, wem sie mehr vertraue ­­– Olaf Scholz oder Armin Laschet. Ein "klarer Aufbruch" sei nur mit ihrer Partei möglich, doch für mehr Eigenwerbung ist dann keine Zeit mehr. Davor hatte Baerbock 90 Minuten lang die Chance, die Zuschauer im Studio und vor den Fernsehgeräten von ihrer politischen Agenda zu überzeugen.

Als letzte der drei Bewerber um das Kanzleramt ist die Politikerin zu Gast im ZDF-"Klartext". Bei dem Townhall-Format kommen die Fragen von den Zuschauerinnen und Zuschauern im Fernsehstudio.

Zuletzt wirkte Baerbock bei ihren Auftritten deutlich weniger verkrampft. In den Umfragen kommen die Grünen aber nicht voran, die Partei verharrt zwischen 15 und 17 Prozent. Für Baerbock rückt das mächtigste Amt der Bundesrepublik zehn Tage vor der Wahl in weite Ferne.

Gleich zum Anfang der Sendung wollen die Moderatoren Bettina Schausten und Peter Frey wissen, ob die grüne Spitzenkandidatin "noch auf Sieg"spiele. Baerbock gibt sich kämpferisch, verfängt sich aber schnell in gewohnten Phrasen. Die Wähler können zwischen einem "Weiter so" (die GroKo) oder einem "echten Aufbruch" (die Grünen) entscheiden. Anschließend geht es kreuz und quer durch die Politikfelder. Auch interessant: Hartz IV: Olaf Scholz macht im ZDF klares Versprechen

Baerbock bei "Klartext": Die Themen

Mit Klima- und Energiepolitik fängt die Fragerunde an, das ist Baerbocks Spezialgebiet. Sie will eine gemeinsame transatlantische Klima-Allianz mit den USA bilden. Die Fläche für Windparks sollen in Deutschland gerechter aufgeteilt werden, auch in Bundesländern wie Bayern oder NRW (kleiner Seitenhieb an Kontrahent Laschet) müssten mehr Ökostrom-Anlagen aufgestellt werden.

Eine junge Zuschauerin will wissen, wie die Grünen das 1,5-Grad-Ziel einhalten möchten. Baerbock gibt sich optimistisch, erklärt, wie sie den Ausbau der erneuerbaren Energien vorantreiben möchte, mahnt aber auch: Bis 2030 könne man nur aus der Kohle aussteigen, wenn es genug Strom aus sauberen Energiequellen gäbe.

Es folgt ein heikler Moment für Baerbock. Moderatorin Schausten hakt zu den Ungenauigkeiten in ihrem Lebenslauf und den Plagiatsvorwürfen in ihrem Buch "Jetzt! Wie wir unser Land verändern" nach. Hat sich die Kanzlerkandidatin bewusst bedeutender gemacht? "Nein", erwidert Baerbock, spricht aber bei den fehlenden Quellenangaben von einem "großen Fehler."

Corona-Pandemie: Baerbock zeigt Mitgefühl

Um Corona geht es auch. Ein Lehrer klagt, dass Schulen noch immer unzureichend ausgestattet seien. Stichwort Luftfilter. Aber auch die chronische Unterfinanzierung und mangelhafte Digitalisierung der Schulen gehören zu seinen Anliegen. Baerbock zeigt Mitgefühl. Als Mutter zweier Kinder könne sie nachempfinden, wie herausfordernd die Pandemie für Schüler, Lehrer und Eltern sei. Sie fordert mehr Entscheidungskraft auf Bundesebene und "es braucht eine dauerhafte Finanzierung." Bildung soll mehr als "sozialpolitische Aufgabe" gesehen werden.

Unter den Zuschauern sitzt jemand, der an Long-Covid leidet. Einen Platz in der Reha hat er bis heute nicht bekommen. Die Politikerin spricht sich dafür aus, dass mehr Gelder in die Behandlung von Patienten fließen müssen, die von den Spätfolgen betroffen sind.

Ein Klubbetreiber aus Frankfurt moniert, dass die 2G-Regelung "auf den Rücken der Gastronomen und Betreiber ausgetragen" werde. Auch hier reagiert Baerbock souverän. Man müsse alles tun, um einen weiteren Lockdown zu verhindern. Schulen dürften nicht wieder geschlossen werden. Deshalb "impfen, impfen, impfen."

ZDF-Sendung: Baerbock zu Gendern und Migration

Es geht auch um Gleichberechtigung. "Gleiche Löhne für gleiche Arbeit", fordert Baerbock. Gendergerechte Sprache sei für sie nicht ausschlaggebend. Nächstes Thema: Migration. Es entwickelt sich eine interessante Diskussion zwischen der Politikerin und einer jungen Zuschauerin, die Mitglied bei der AfD ist.

Sie habe selbst einen Migrationshintergrund und grundsätzlich nichts gegen Einwanderung, erklärt aber auch, dass sie sich vor einer ungeordneten Einwanderung aus Afghanistan und Gewalt von Geflüchteten gegen Frauen fürchte. Baerbock kontert: "Die größte Gefahr in unserem Land ist, dass eine Frau von ihrem Ehemann oder ihrem Partner getötet wird." Jeden dritten Tag würde das passieren. Frauen müssten besser geschützt werden. Bei der Verurteilung der Straftäter sei die Herkunft ganz egal.

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Die Kanzlerkandidatin tritt außerdem für einen konsequenten Abschiebestopp nach Afghanistan ein. "Es gibt ein Völkerrecht, und Menschenrechte sind unteilbar." Droht Menschen die Todesstrafe, dürfe man sie gar nicht abschieben.

Baerbock nutzt den Moment, um gegen die AfD im Bundestag auszuteilen. Die Partei würde bei der Beurteilung von Menschenrechten zwischen Deutschen und Nicht-Deutschen unterscheiden.

Die Sendung wird von einer Frage der Moderatoren abgerundet. Könne sich Baerbock auch mit der möglichen Rolle als Vizekanzlerin anfreunden? Die Politikerin weicht mit einer sportlichen Metapher aus. "Wir sind kurz vor Ende der zweiten Halbzeit und da zerbreche ich mir nicht den Kopf darüber, wenn es am Ende nicht klappt" und weiter: "Ich gebe jetzt alles, dass wir die Erneuerungen in unserem Land mit den Grünen an der Spitze schaffen."

Das Fazit

Die meisten Zuschauerinnen und Zuschauer hakten bei ihren Fragen nach, das machte es für Baerbock durchaus nicht einfach. Trotzdem schlug sie sich über weite Strecken mehr als passabel, was auch daran lag, dass sie gut vorbereitet wirkte. Ob dieser Auftritt aber eine Trendwende in den Umfragen einläutet, bleibt ungewiss.