Berlin. Wieder erlebt die Bundeswehr eine Material-Blamage. Auch der neuen Ministerin gelingt es bisher nicht, die Truppe fit zu machen.
Der Posten im Verteidigungsministerium hat einen besonderen Spitznamen: Schleudersitz. Es ist nicht der angenehmste Stuhl im Kabinett der Regierung. Immer wieder mussten Minister zurücktreten, konnten sich in der Truppe nicht durchsetzen, verstrickten sich in Fehlinvestitionen – oder waren selbst schuld, etwa als Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg wegen seines Plagiats der Doktorarbeit abtrat.
Das Verteidigungsministerium ist ein Ort, den Politiker selten ohne Blessuren überstehen. Weil die Bundeswehr ein „Laden“ mit mehr als 250.000 Soldatinnen und Soldaten sowie zivilen Mitarbeitenden ist. Und weil dieser Laden über viele Jahre kaputtgespart wurde, die Regale leer sind. Die Kriegsgeräte der Bundeswehr heißen Marder, Gepard und Puma. Das Militär aber ist über Jahrzehnte zu einem trägen Koloss gewachsen.
Das galt schon im Frieden. Jetzt ist Krieg. Und der Schleudersitz von Amtsinhaberin Christine Lambrecht (SPD) steht kurz vor dem Auslöser. Die Bundeswehr rast in den nächsten Material-Crash. In einem Schreiben schlägt der Kommandeur der 10. Panzerdivision Alarm. Der Schützenpanzer Puma sei bei einer Übung ausgefallen. Nicht nur einer, sondern alle 18.
Defekte Schützentürme, schwere Kabelbrände. Was der Kommandeur beschreibt, überrascht nicht. Es ist trauriger deutscher Soldaten-Alltag.
Das alles in einem Jahrzehnt, in dem Verteidigung nie wichtiger war. Das russische Militär konnte auch deshalb so viel Gelände in der Ukraine gewinnen, weil viele westliche Industriestaaten dem angegriffenen Land nicht helfen wollten. Nicht konnten. Allen voran: Deutschland.
Die besonders bittere Pointe: Die nun betroffene Brigade soll sich ab 2023 federführend an der Schnellen Eingreiftruppe der Nato beteiligen – der Speerspitze des Militärbündnisses. Nun wohl erstmal ohne die „Pumas“.
Aufträge der deutschen Rüstungsfirmen voll
Die Bundeswehr erdrückt eine riesige Erblast der Vernachlässigung durch die Politik. Kasernen wurden zusammengelegt, die Truppe geschrumpft, zu wenige Ersatzteile und Spezialwerkzeuge beschafft, vieles wurde ausgelagert, etwa die wichtige Arbeit der Instanthaltung des Kriegsgeräts.
Heute sind die Aufträge der deutschen Rüstungsfirmen voll – allerdings nicht mit Aufträgen der Bundesregierung, wie Verbände der Industrie anmerken. Vor allem das Ausland bestellt fleißig Kriegstechnik beim Exportweltmeister Deutschland, während in deutschen Panzern die Kabel brennen.
Über die Jahre ist Desinteresse, teilweise Misstrauen, gewachsen zwischen der Rüstungsindustrie und der Politik. Die Regierungen nach dem Ende des Kalten Krieges waren vor allem mit der Demontage der Truppe befasst, Krieg, so glaubte man fälschlicherweise, werde ohnehin weitestgehend mit Cyberwaffen geführt. Nicht mit Panzern und Raketenwerfern.
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Der Krieg in der Ukraine hat die Politik mit einer neuen, alten Realität konfrontiert: der konventionellen Kriegsführung, die Russland in der Ukraine durchzieht. Glücklicherweise dilettantisch, aber mit Brutalität. Und vor allem mit einer Materialschlacht. Die Nato ist dem bisher gewachsen, vor allem dank der Investitionen der USA.
Mehr eigene Expertise bei Sanierung und Wartung des Materials
Deutschland aber muss mehr leisten. Geld, etwa die 100 Milliarden Euro Sondervermögen für die Bundeswehr, ist wichtig. Vor allem aber braucht die Truppe Reformen: mehr eigene Expertise bei Sanierung und Wartung des Materials, schnellere Auftragsvergabe für Waffen und Munition, mehr Dienstleistungsdenken – gerade mit Blick auf die wichtige Arbeit der eigenen Soldatinnen und Soldaten.