Berlin. Städtetagspräsident Markus Lewe über die Not der Kommunen seit Kriegsbeginn – und wie sie den Flüchtlingszustrom meistern können.

Es kommen annähernd so viele Menschen nach Deutschland wie in der Flüchtlingskrise 2015 – und die Kommunen schlagen Alarm. Der Präsident des Deutschen Städtetages, Markus Lewe (CDU), warnt vor schwindender Solidarität in der Bevölkerung. Und er sagt, welche Hilfen er vom Bund erwartet.

Herr Lewe, wiederholt sich 2015?

Markus Lewe: Die Lage ist anders. Die Zahl der Menschen, die nach Deutschland fliehen, ist zwar vergleichbar. Doch wir sind inzwischen erfahrener. Trotzdem haben viele Städte kaum noch freie Plätze in Notunterkünften. Und Geflüchtete in Messehallen und Zeltstädten unterzubringen kann keine Dauerlösung sein. Wir brauchen mehr Wohnungen, Kita- und Schulplätze. Denn aus der Ukraine kommen hauptsächlich Frauen und Kinder. Das ist eine Riesenherausforderung und muss finanziert werden. Hier müssen Bund und Länder viel mehr unterstützen und bis Ostern konkrete, auch finanzielle Hilfe zusichern. Wir erleben weiter eine überwältigende Solidarität, obwohl der Krieg in der Ukraine schon ein Jahr wütet. Noch ist die Bereitschaft zu helfen in der Bevölkerung groß. Damit das so bleibt, muss schnelle Hilfe kommen.

Markus Lewe ist Präsident des Deutschen Städtetages.
Markus Lewe ist Präsident des Deutschen Städtetages. © IMAGO / Christian Ditsch

Wie viele Flüchtlinge können die Kommunen noch verkraften?

Lewe: Schon über eine Million Menschen sind aus der Ukraine nach Deutschland geflohen. Auch aus anderen Krisengebieten, aus Syrien, der Erdbebenregion in der Türkei, aus Afghanistan und Iran kommen deutlich mehr Menschen nach Deutschland. Die Lage wird sich absehbar nicht entspannen. Wenn die Entwicklung anhält, könnten in diesem Jahr vielleicht 350.000 Menschen einen Erstantrag auf Asyl stellen, das wären rund 65 Prozent mehr als im Vorjahr. Für diese humanitäre Aufgabe brauchen wir ein atmendes Aufnahmesystem mit mehr Unterbringungsmöglichkeiten der Länder, aber auch vom Bund, um Engpässe abzupuffern. Und die Verfahren müssen vereinfacht werden. Unsere Vorschläge dafür liegen auf dem Tisch.

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Welche Hilfe erwarten Sie konkret?

Lewe: Der Flüchtlingsgipfel brachte kaum mehr als nichts. Es fehlt an vielem, nicht nur am Geld. Wir brauchen Personal für Kitas und Schulen. Wir brauchen Plätze, um unbegleitete Minderjährige zu betreuen. Wir brauchen deutlich mehr Unterkünfte. Wir können nicht andauernd im Notmodus laufen, sondern brauchen Planungssicherheit. Der Bund muss seine finanzielle Unterstützung dynamisch an die tatsächliche Zahl der Geflüchteten anpassen. Und bei den Integrationskosten darf der Bund uns nicht im Regen stehen lassen. Von den Ländern erwarten wir, dass sie die Bundesmittel an die Kommunen weitergeben. Die Menschen gut zu integrieren, bleibt eine Daueraufgabe von Bund, Ländern und Städten.

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Vermissen Sie europäische Solidarität?

Lewe: Ja, hier kommen wir bisher nicht aus der Sackgasse. Polen und Deutschland haben etwa die Hälfte der ukrainischen Geflüchteten in der EU aufgenommen. Eine gleichmäßige Verteilung aller Geflüchteter innerhalb der EU wäre notwendig. Hier muss die Bundesregierung weiter auf eine Lösung dringen. Zumindest der politische Willen dazu ist in Berlin da, hier müssen sich auch andere Länder bewegen.

Welchen Beitrag leisten die Kommunen, um den geflüchteten Ukrainerinnen und Ukrainern die Rückkehr in ihre Heimat zu erleichtern?

Lewe: Erstmal geht es darum, jetzt den Menschen vor Ort den Alltag zu ermöglichen, um ihnen eine Flucht aus ihrer Heimat zu ersparen. Viele Städte helfen unmittelbar ukrainischen Städten, um die Not zu lindern. Sie liefern Baumaterial, Laptops für Schulen, Feuerwehrfahrzeuge, aber auch Generatoren oder medizinische Geräte. Das Bundesprogramm „Kommunale Direkthilfe mit der Ukraine“ wurde gerade aufgestockt und 60 Städte können mitmachen. Das kommunale Engagement unterstützt auch Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier nach Kräften. Rund 130 deutsch-ukrainische Partnerschaften zwischen Kommunen sind ein lebendiges Netzwerk, das weiter wachsen soll.