Berlin. Eine Fotoausstellung im Berliner Hauptbahnhof erzählt die Geschichten der ukrainischen „Eisenleute“ – und zeigt ihren Alltag im Krieg.

Sie reparieren Gleise, die von Bomben der Russen zerstört wurden. Sie befördern Flüchtlinge, steuern Locks, begleiten Züge, bewachen Bahnübergänge, beladen Waggons mit Getreide fürs Ausland – und riskieren dabei ihr eigenes Leben: die ukrainischen Eisenbahnerinnen und Eisenbahner im Krieg.

Ihrer Arbeit, ihrem Mut und unermüdlichen Einsatz widmet die Deutsche Bahn gemeinsam mit der Funke Mediengruppe jetzt die Ausstellung „Lebensader Bahn“ mit Fotos und Texten aus und über ihren Alltag, die im Berliner Hauptbahnhof am Montag im Beisein des ukrainischen Botschafters eröffnet wurde. Sie gelten als Heldinnen und Helden der Schiene.

Hintergrund: Wie lange kann die Bahn der Ukraine noch helfen, Herr Lutz?

Zu sehen sind Frauen und Männer, die verantwortungsbewusst, stolz, engagiert, selbstbewusst und unverdrossen ihre Arbeit verrichten – trotz aller Bedrohungen. Da sind Installateure, Hafenarbeiter, eine Bahnhofsvorsteherin, ein ehemaliger Bahnchef, der heute zum Minister aufgestiegen ist. Aber auch eine typische Familie auf der Flucht, Ärzte ohne Grenzen in einem zum Krankenzimmer umgebauten Sanitärswaggon und der sehnsuchtsvolle Abschiedskuss eines jungen Paares auf dem Bahnsteig.

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Ukraine-Krieg: Eisenbahn ist ein Symbol des Widerstands

Die 19 eindrucksvollen überlebensgroßen Fotografien stammen vom Funke-Cheffotografen Reto Klar, der gemeinsam mit dem Krisenreporter Jan Jessen seit Kriegsbeginn bereits 13 Mal in der Ukraine war, um über die Ereignisse und Erlebnisse seiner Bewohner zu berichten. Die Ausstellung ist in Berlin noch bis zum 10. September zu sehen. Danach wird sie noch bis Januar 2024 in Essen, Hamburg-Altona, Leipzig, Braunschweig und Nürnberg gezeigt.

Julia Becker, Verlegerin der Funke-Mediengruppe bei der Eröffnung der Fotoausstellung „Lebensader Bahn“ im Berliner Hauptbahnhof.
Julia Becker, Verlegerin der Funke-Mediengruppe bei der Eröffnung der Fotoausstellung „Lebensader Bahn“ im Berliner Hauptbahnhof. © FUNKE Foto Services | Sergej Glanze

Die Eisenbahn ist im Krieg zu einem zentralen Symbol des Widerstandes geworden, stellte Richard Lutz, Vorstandschef der Deutschen Bahn, bei der Eröffnung fest. Die Eisenbahn sei unverzichtbar. „Sie sichert Versorgung, bringt Hilfe und ermöglicht Flucht – und ist damit Lebensader für Millionen von Menschen.” Gleichzeitig sei die ukrainische Bahn Ukrzaliznytsia zu einem wichtigen Teil der europäischen Eisenbahnfamilie geworden.

Die Bahn werde auch bei Wiederaufbau wieder ein wichtiges Element darstellen. Die Deutsche Bahn werde alles tun, um zu helfen und an der Seite der Eisenbahnerkollegen in der Ukraine stehen, versicherte Lutz. Auch die Staatssekretärin im Bundesministerium für Digitales und Verkehr, Susanne Henckel, stellte sich hinter das angegriffene Land: “Wir werden die Ukraine so lange wie nötig unterstützen.“

Ukraine: Funke-Verlegerin für unabhängigen Journalismus

„Die Ukrainische Eisenbahn wurde zur Straße des Lebens”, hob der ukrainische Botschafter, Oleksii Makeiev, hervor. Die Evakuierungszüge seien zur Lebensader für Millionen von Menschen geworden. „Während der russischen Großoffensive gegen die Ukraine evakuierte die Ukrainische Eisenbahn 3,8 Millionen Menschen, darunter Kinder, 100.000 Tiere und transportierte mehr als 200.000 Tonnen humanitäre Hilfsgüter durch das Land.“

Ukraine-Krieg – Hintergründe und Erklärungen zum Konflikt

Vieles wurde auf die Bahn verlagert. Während früher die Städte Berlin und Kiew innerhalb von zwei Stunden per Flug zu erreichen waren, dauert die Verbindung heute mit der Bahn rund 24 Stunden. Zu verdanken sei dies der Eisenbahner-Belegschaft, die der Botschafter freundlich als die “Eisenleute” bezeichnet. Menschen, die keine Angst hätten, in Zügen zu arbeiten und Züge pünktlich fahren zu lassen, während das ganze Land unter Beschuss sei. “Auf unsere Eisenleute bin ich sehr stolz”, sagte Makeiev.

Das Reporterteam Reto Klar (links) und Jan Jessen mit ihrem Buch zur Ausstellung  - „Leben in einem Albtraum“.
Das Reporterteam Reto Klar (links) und Jan Jessen mit ihrem Buch zur Ausstellung - „Leben in einem Albtraum“. © FUNKE Foto Services | Sergej Glanze

Die Verlegerin der Funke Mediengruppe will sich in Zeiten des Krieges für die Meinungsfreiheit stark machen. „Der russische Angriffskrieg auf die Ukraine ist auch ein Krieg um demokratische Werte und Redefreiheit: Durch nichts dürfen die Menschen von ihrem Grundrecht auf überparteiliche Information abgeschnitten werden“, sagte Julia Becker. Damit Demokratie lebendig bleibe, brauche es eine offene, informierte Gesellschaft.

Reporterteam bald wieder in der Ukraine unterwegs

Die mediale Propaganda sei allgegenwärtig, sagte Becker. „Ich bin davon überzeugt, dass wir heute, angesichts der russischen Aggression auf das ukrainische Volk dringender denn je guten, unabhängigen Journalismus brauchen. Einen Journalismus, der der Wahrheit verpflichtet ist.“ So wie die Eisenbahn Lebensader für die Ukraine sei, „bedeutet unabhängige Berichterstattung Lebenselixier für das freiheitliche Denken”. Ausdrücklich bedankte sich Becker bei ihrem Reporterteam, das regelmäßig aus der Ukraine berichte und dabei „so mutig die demokratischen Werte lebe, für die wir bei FUNKE mit unserer journalistischen Arbeit einstehen“.

Reto Klar (56) und Jan Jessen (51) sind seit Beginn des Krieges in dem Land unterwegs. Die beiden dokumentieren und porträtieren vor Ort den Fortgang des Krieges. Dabei stoßen sie immer wieder auf Menschen, die sie zufällig treffen und sich als Helden des Alltags entpuppen. „Wir wollen die Informationen aus dem Krieg in die Welt hinaustragen, zeigen was in der Ukraine passiert und dass es dort diese wahnsinnig mutigen Menschen gibt”, sagte Reto Klar.

„Ich möchte die Geschichten von Menschen erzählen, wie der Krieg ihr Leben total verändert hat und wie sie damit umgehen. Auch damit Krieg nicht etwas Abstraktes aus Zahlen und politischen Erklärungen bleibt”, ergänzte Jan Jessen. Die beiden Reporter werden bereits in der nächsten Woche wieder in die Ukraine aufbrechen – und neue Berichte und Fotos mitbringen. Und nach dem Ende des Krieges möchten sie mit Ukrainern, die sie kennengelernt haben, in deren Land Urlaub machen.