Berlin. Angst und Symbolik bestimmen die Asyldebatte. Wir müssen aufhören, uns zu belügen. Deutschland wird immer Ziel von Migranten sein.

Es gibt Sätze der Politik, die begleiten uns alle ein halbes Leben. Ein besonderes Exemplar ist dieser hier: „Wir müssen konsequent abschieben.“ Polizeichefinnen fordern dies, Bundesminister, Oppositionspolitikerinnen. Seit Jahren schwebt dieser Satz über die politische Bühne, findet seine Auftritte. Dann verschwindet er hinter der Kulisse, bis zur nächsten Debatte. Dieser Satz ist nichts als ein Symbol. Die Politik will Entschlossenheit und Stärke demonstrieren – und merkt doch, wie machtlos sie ist.

Die Zahl der Abschiebungen stagniert seit vielen Jahren. Nur eines ist konstant: Es kommen Jahr für Jahr mehr Geflüchtete nach Deutschland. Und die Schutzquoten steigen, denn die Konflikte verschärfen sich: in der Ukraine, Afghanistan, Türkei und Syrien, in Teilen Afrikas. Wir leben im Zeitalter der Flucht und Migration.

Die Debatte braucht mehr Ehrlichkeit. Denn in der Symbolpolitik liegen zwei Gefahren: Sie löst das Problem nicht – und sie unterhöhlt das Vertrauen in die Politik. Denn wenn Politikerinnen mehr Abschiebungen ankündigen, und über Jahre passiert nichts – dann bleibt nur Kopfschütteln bei den Bürgern. Und Verdrossenheit.

Funke Medien Gruppe / Mitarbeiter: Christian Unger
Funke Medien Gruppe / Mitarbeiter: Christian Unger © Reto Klar | Reto Klar

Asyl: Mehrere Hunderttausend Illegale in Deutschland?

Nun trafen sich Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) zu einem „Flüchtlingsgipfel“ in Berlin. Wieder ein Gipfel, wieder ein Krisentreffen zwischen Bund und Ländern. Wieder war allerorten von der „Rückführungsoffensive“ die Rede. Wieder blieben die Ergebnisse dünn.

Es ist Zeit für weniger Emotionen. Eine Wahrheit ist: Abschiebungen lassen sich kaum mit Zwang beschleunigen. Auch wenn „Härte“ in der Asylpolitik eine Währung scheint – sie ist es nicht. Wer nicht in Deutschland bleiben darf, der taucht ab. Eine Bremer Forscherin schätzt die Zahl der Illegalen auf mehrere Hunderttausend. Sie finden sich in keinen Statistiken. Gesprochen wird darüber nicht. Und selbst wenn der Mensch für die Behörden zu fassen ist, fehlen Ausweisdokumente, stellen sich Herkunftsländer quer, können Menschen nicht abgeschoben werden, weil in der Heimat Gewalt und Folter droht.

Was hilft, ist nicht „Disziplinierung“ von Migration, sondern Kooperation. Zum einen mit den ausreisepflichtigen Ausländern selbst: Sie brauchen mehr Hilfe bei der Reintegration in ihre Heimat als ein paar Tausend Euro und ein Rückflugticket. Reintegration ist ein Prozess über Jahre, wie die Integration selbst auch. Deutschland muss auch im Herkunftsland helfen, dass sich Menschen dort wieder zurechtfinden. Das ist Teil einer humanitären Außenpolitik.

Kooperation braucht es zum anderen stärker mit anderen Staaten selbst. Migration ist kein innenpolitischer Konflikt, es ist eine globale Herausforderung. Können Menschen nicht nach Syrien oder Afghanistan abgeschoben werden, gibt es vielleicht Drittstaaten in der Region, die helfen wollen. Usbekistan vielleicht, Pakistan, Jordanien. Die Hilfe bei Migration aber wird uns kosten. Es reicht nicht, wenn Deutschland Abschiebefälle beendet, sobald die Flugzeugtür im Charterflieger aufgeht.

Migration: Flucht und Zuwanderung lassen sich nur bedingt steuern

Es braucht weniger Widerwillen und Angst in der Migrationsdebatte: Flucht und Zuwanderung lassen sich nur bedingt steuern. Deutschland ist ein reiches Land. Ein Land ohne Krieg, ein Land mit stabiler Wirtschaft, das sich zugleich humanitär in der Welt engagieren will. Ein Land ohne Erdbebenkatastrophen, ohne Hungersnöte. Deutschland und Europa wird immer Ziel von Migration bleiben. Kein Zaun wird das verhindern.

Zur Ehrlichkeit gehört vielmehr auch das Eingeständnis, dass wir froh sein können, in Wohlstand und Sicherheit zu leben. Unsere Pflicht ist es, Geflüchteten Schutz zu geben. Kriege und Katastrophen weit entfernt sind in einer globalen Welt auch unsere Konflikte. Wir können das ausblenden, ignorieren. Aber das wäre eine weitere Selbstlüge.