Berlin. Regierung plant mehr als 100 zusätzliche Visa-Entscheider. Bundesamt für Auswärtige Angelegenheiten: 100.000 Entscheidungen pro Jahr.

Es sind Menschen in Not, die in Krisengebieten ausharren müssen. Es sind Studierende, die auf einen Universitätsplatz in Deutschland warten, aber nicht reisen können. Es sind Fachkräfte, deren Familien noch im Heimatland festhängen, weil die Innenbehörden den Fall noch immer prüfen.

Deutschland will ein Einwanderungsland sein und Arbeitskräfte anlocken, auch ein Schutzort für Verfolgte – doch die Verfahren für ein Visum nach Deutschland sind oft bürokratisch und langwierig. Gerade beim Familiennachzug sind die Wartezeiten immens, teilweise müssen Menschen länger als ein Jahr Geduld haben.

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Das Auswärtige Amt mit Annalena Baerbock (Grüne) an der Spitze will die Visaverfahren nun deutlich beschleunigen und digitalisieren sowie die Stellen zur Bearbeitung von Visumsanträgen in den zuständigen Behörden ausbauen. Dafür positioniert sich das Außenministerium nun mit einem internen Arbeitspapier, das unserer Redaktion vorliegt.

„Es ist klar, dass wir über 100 zusätzliche Visa-Entscheiderinnen und Visa-Entscheider sowie lokale Beschäftigte an den Auslandsvertretungen brauchen, wenn wir bei den Fachkräftevisa pro Jahr 50.000 bis 100.000 mehr Visaanträge bearbeiten wollen“, heißt es in dem vier Seiten langen Dokument mit dem Titel „Aktionsplan Visabeschleunigung“, das einen besonderen Fokus auf Fachkräfteeinwanderung legt.

In Indien warb Außenministerin Annalena Baerbock um Fachkräfte für Deutschland. Jetzt will sie das Visaverfahren deutlich beschleunigen.
In Indien warb Außenministerin Annalena Baerbock um Fachkräfte für Deutschland. Jetzt will sie das Visaverfahren deutlich beschleunigen. © dpa | Carsten Koall

Das Auswärtige Amt wirbt in dem Papier dafür, gesamte Visaverfahren „von Antragsentgegennahme über Bearbeitung und Kommunikation zwischen den beteiligten Behörden bis zur Erteilung digital ausgestaltet sein“. Bisher erfolge die Antragstellung in fast allen Fällen in Papierform, das sei „ineffizient“.

Um dem Ziel der vollständigen Digitalisierung der Visaverfahren näher zu kommen, will das Außenministerium 2023 das Auslandsportal zur Online-Antragstellung für Fachkräftevisa ausweiten und an den „wichtigsten Auslandsvertretungen ausrollen“. Damit das Ministerium mit dem digitalen Visaverfahren Erfolg hat, sind allerdings auch andere Behörden gefordert, etwa die Ausländerbehörden. Das fällt in die Verantwortung der Länder und Kommunen – nicht in den Bund.

Zudem soll das Bundesamt für Auswärtige Angelegenheiten (BfAA) nach Wunsch des Auswärtigen Amtes personell gestärkt und besser mit den Innenbehörden vernetzen werden. „Unser Ziel ist es, bis Ende 2024 circa 100.000 an im BfAA entschiedenen Visa jährlich zu erreichen und damit die dort bearbeiteten Anträge innerhalb von vier Jahren zu vervierfachen“, heißt es in dem „Aktionsplan“. Für den personellen Zuwachs braucht das Außenministerium allerdings noch die entsprechenden Stellen in den kommenden Haushaltsplanungen.

Arbeitsmarkt: Deutschland benötigt „bis zu 400.000 zusätzliche Fachkräfte jährlich“

Insgesamt sieben Punkte umfasst das Arbeitspapier, mit dem das Außenministerium ein „zeitgemäßes und unbürokratisches Visumverfahren“ aufbauen will. Ausbauen will das Auswärtige Amt etwa Deutschkurse im Ausland sowie die Zusammenarbeit zwischen den Behörden in Deutschland und den Auslandsvertretungen.

In dem „Aktionsplan“ heißt es: „Visa dienen Menschen, daher wollen wir ein besonderes Augenmerk auf Familiennachzug legen. Er muss im Sinne der Bedarfe von Familien ausgerichtet sein.“ Das Auswärtige Amt beruft sich auf Prognosen, nach denen Deutschland „bis zu 400.000 zusätzliche Fachkräfte jährlich“ benötige. Viele dieser Arbeitskräfte und ihre Familien brauchen vor der Einreise demnach ein Visum für den Aufenthalt in Deutschland.

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Um die Visaverfahren für Fachkräfte und deren Familienangehörige zu beschleunigen, schlägt das Auswärtige Amt in dem „Aktionsplan“ vor, für weitere „ausgewählte visumsbefreite Länder“ die visumfreie Einreise „zur unmittelbaren Arbeitsaufnahme“ möglich zu machen.

Das Auswärtige Amt will zudem „effektive Instrumente“ für humanitäre Aufnahmen aus Kriegs- und Krisengebieten nach Deutschland durchsetzen. Zugleich hebt das Außenministerium hervor: „Gleichzeitig wissen wir: Visa können missbraucht werden. Wir brauchen weiterhin Sicherungen, die Missbrauch verhindern und terroristische Gefahren eindämmen.“

Afghanistan, Kabul: Eine afghanische Frauenfußballmannschaft posieren für ein Foto. Die Menschenrechtslage ist nach der Machtergreifung der Taliban katastrophal. Viele Afghaninnen und Afghanen konnte Deutschland bereits retten – doch viele in Gefahr harren auch noch in dem Taliban-Staat aus.
Afghanistan, Kabul: Eine afghanische Frauenfußballmannschaft posieren für ein Foto. Die Menschenrechtslage ist nach der Machtergreifung der Taliban katastrophal. Viele Afghaninnen und Afghanen konnte Deutschland bereits retten – doch viele in Gefahr harren auch noch in dem Taliban-Staat aus. © dpa | Ebrahim Noroozi

Seit Jahren gibt es scharfe Kritik von Menschenrechtsorganisationen, dass die Visaverfahren für Fachkräfte und humanitäre Visa zu bürokratisch sind. Oftmals müssen Menschen in Krisenregionen ausharren, während ein Teil der Familie schon in Deutschland lebt. Zugleich heben Wirtschaftsverbände hervor, wie wichtig schnelle Visaverfahren für die Anwerbung von Fachkräften notwendig sind. Laut Statistiken sinkt die Zahl der Menschen, die Unternehmen auf dem deutschen Arbeitsmarkt bereitstehen pro Jahr um 150.000.

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Bereits im Koalitionsvertrag hatten SPD, Grüne und FDP 2021 angekündigt, die Visavergabe zu beschleunigen und stärker zu digitalisieren. Erst vor wenigen Wochen hatte das Kabinett Eckpunkte für eine leichtere Einwanderung von Fachkräften beschlossen. Die Bundesregierung plant etwa ein Punktesystem für den Zuzug zum deutschen Arbeitsmarkt.