Ankara. Außenministerin Annalena Baerbock wollte auf ihrer Türkei-Reise Brücken bauen – und löste ausgerechnet heftige Gegenreaktionen aus.

Der Tag beginnt mit ernster Symbolik. Annalena Baerbock geht mit langsamen Schritten auf einer Straße, die mit Löwenskulpturen gesäumt ist. Soldaten stehen am Rand, die Maschinenpistole über die Schulter gestützt. Dann schreitet die Außenministerin die Treppe zum Atatürk-Mausoleum hoch, der Gedenkstätte für den Staatsgründer Kemal Atatürk mitten in Ankara. In der Säulenhalle legt sie ein rot-weißes Blumengebinde auf eine Marmorplatte.

Die Zeremonie am Sonnabend ist eine Geste der Reverenz an die Türkei. Und es ist eine Verbeugung vor ihrem ersten Präsidenten, der das Land in eine säkulare Republik überführt hatte. Doch die heutige Türkei unter Staatschef Recep Tayyip Erdoğan hat nur noch wenig mit den Idealen Atatürks zu tun.

Erdoğan regiert autoritär und hat einen Streit um die Souveränität von griechischen Inseln in der Ägäis angezettelt, der im schlimmsten Fall in einen Krieg zwischen zwei Nato-Partnern münden könnte. Baerbock reiste drei Tage lang nach Athen und Ankara, in das Spannungsgebiet im östlichen Mittelmeer.

Baerbock: Vom Konflikt Türkei-Griechenland profitiert nur Putin

Die Grünenpolitikerin kam mit der Erkenntnis: Die Welt hat sich mit dem russischen Einmarsch in die Ukraine am 24. Februar komplett geändert. Der Moralismus der "wertegeleiteten Außenpolitik", die die Ampelregierung in ihren Koalitionsvertrag geschrieben hat, ist nur noch begrenzt anwendbar.

Die Eindämmung Russlands steht für Baerbock an erster Stelle. "Nie kam es mehr auf den Zusammenhalt zwischen Nato-Verbündeten und europäischen Partnern an", betonte die Ministerin. Vom Konflikt zwischen der Türkei und Griechenland würde nur der russische Präsident Wladimir Putin profitieren. Es gelte, Reibungsflächen zu minimieren, Kompromissspielräume ausloten, die diplomatische Front gegen Russland zu organisieren, lautete die Devise der Außenministerin.

Damit stellt sich die Frage: Können Autokraten wie Erdoğan dem Westen nützlich sein? Muss man Abstriche bei den Erwartungen an Ankara machen? Die Reise Baerbocks war auch der Versuch einer Neuvermessung der deutschen Außenpolitik. Und ein Realitäts-Check in der "Zeitenwende" der internationalen Politik.

Baerbocks Positionierung sorgt für Wortgefecht bei Pressekonferenz

Die Ministerin verfolgte in Ankara einen Balanceakt aus Werbe-Tour und klarer Benennung von Differenzen. Sie hob mehrfach die Verdienste der Türkei beim Aushandeln des Getreide-Deals zwischen Russland und der Ukraine hervor. Und sie würdigte die Lieferung von türkischen Bayraktar-Kampfdrohnen an die Regierung in Kiew.

Doch bei der gemeinsamen Pressekonferenz mit ihrem Amtskollegen Mevlüt Çavuşoğlu in Istanbul musste Baerbock die Grenzen ihres auf Ausgleich bedachten Kurses erkennen. Es kam zu heftigen Wortgefechten. Auslöser war eine klare Positionierung der Außenministerin am Vortag in Athen.

Sie hatte sich dort im Streit um griechische Inseln wie Rhodos, Kos und Lesbos im östlichen Mittelmeer klar an die Seite Griechenlands gestellt. Die türkische Regierung zieht die Souveränität Athens über diese Inseln in Zweifel und fordert den Abzug aller griechischen Truppen. "Griechische Inseln sind griechisches Territorium und niemand hat das Recht, das infrage zu stellen", erklärte die deutsche Chefdiplomatin.

Bei der Pressekonferenz von Annalena Baerbock und Mevlüt Çavuşoğlu kam es zur Konfrontation
Bei der Pressekonferenz von Annalena Baerbock und Mevlüt Çavuşoğlu kam es zur Konfrontation © Annette Riedl/dpa

Türkei-Außenminister: Deutschland unter Merkel ehrlicher

Çavuşoğlu reagierte gereizt. Bei solchen Streitigkeiten müsse Deutschland lösungsorientiert sein wie unter Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), forderte er. "Frau Merkel hat das getan. Um die Wahrheit zu sagen, war Deutschland in dieser Zeit ein ehrlicher Vermittler", so Çavuşoğlu. In letzter Zeit sehe er, "dass diese Ausgewogenheit leider verloren geht".

Auch beim Thema Syrien gerieten die beiden aneinander. Baerbock warnte Çavuşoğlu vor einer neuen Offensive im Norden des Nachbarlandes. Ankara will dort die von der Regierung als Terrororganisation angesehene Kurdenmiliz YPG bekämpfen.

Natürlich gelte das Recht auf Selbstverteidigung für alle, betonte Baerbock. Zu diesem Recht gehörten jedoch "weder Vergeltung noch abstrakte Präventivangriffe". Deutschland werde daher keine Waffen liefern, die bei derartigen Militäraktionen eingesetzt werden könnten.

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Initiative gegen Erdogan: Baerbock traf Oppositions-Politiker

Wesentlich entspannter verlief das Treffen Baerbocks mit führenden Politikern der türkischen Opposition am Sonnabend. Im Juni 2023 finden Parlaments- und Präsidentschaftswahlen statt. Sechs Parteien planen eine gemeinsame Plattform, um die regierende AKP zu schlagen und Staatschef Erdoğan aus dem Amt zu hieven.

Mithat Sancar, Co-Vorsitzender der pro-kurdischen Partei HDP, der ein Verbotsverfahren droht, lobte Baerbocks Auftritt bei der Pressekonferenz: "Es ist fast das erste Mal, dass der türkische Außenminister so direkte Antworten bekam."

Mit Blick auf Nordsyrien und den Inselstreit mit Griechenland warnte Sancar vor den "Kriegsspielen" der türkischen Regierung. Sie benutze diese als "wichtige Instrumente der Innenpolitik" vor den Wahlen im nächsten Jahr. Von der Bundesregierung wünschte sich der HDP-Chef "mehr Engagement für Rechtsstaatlichkeit, Demokratie und Menschenrechte in Europa und in der Welt". Es klang wie ein Appell für eine "wertegeleitete Außenpolitik", wie sie im Koalitionsvertrag verankert wurde.

Baerbock in Ankara: Die richtige Strategie für Erdogan?

Baerbock hat diesen Werte-Ansatz um einen kräftigen Schuss Pragmatismus und Realpolitik angereichert. In Ankara hatte sie damit allerdings nur begrenzten Erfolg. Sie wollte der Erdoğan-Regierung Brücken bauen, um sie in den westlichen Schulterschluss gegen Putin einzureihen. Doch mit ihrer Klartext-Sprache löste sie heftige Gegenreaktionen aus.

Die Frage, wie viel Dialog und wie viel Härte im Umgang mit autoritären Regimen am besten zum Ziel führt, bleibt offen.

Dieser Artikel erschien zuerst auf morgenpost.de.