Berlin. Der Verkehr verfehlt die Klimaziele und der Rechnungshof rügt die Bahn. Und Verkehrsminister Wissing? Er sieht sich auf gutem Weg.

„Wenn dich einer auf die rechte Wange schlägt, dann halte ihm auch die andere hin“, heißt es in der Bibel. Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) ist bekennender Christ, die doppelte Ohrfeige am Mittwoch hätte er sich aber sicher trotzdem gerne erspart.

Erst strafte das Umweltbundesamt den Verkehrssektor ab, der im vergangenen Jahr seine Klimaziele krachend verfehlte. Nur eine halbe Stunde später legte der Bundesrechnungshof einen bemerkenswerten Bericht vor, in dem die Bonner Behörde die Deutsche Bahn als „Sanierungsfall“ bezeichnete, die in einer „Dauerkrise“ feststecke und „wirkungslose Worthülsen“ präsentiere.

Und Wissing? Der Verkehrsminister lässt die Watschen an sich abperlen und bleibt seiner Rolle treu. Nachdem er am Wochenende vom „Klima-Blabla“ gesprochen hatte, findet er nun, dass der Verkehrssektor auf einem guten Weg sei.

Bei der Elektromobilität gehe es voran, bei den Ladesäulen ebenso. Eine Einschätzung, die nicht nur bei Umweltverbänden, sondern selbst bei der Autoindustrie und dem Automobilclub ADAC für irritiertes Stirnrunzeln sorgt. Sie weisen seit geraumer Zeit darauf hin, dass es beim Ladesäulenausbau viel zu langsam vorangeht, um das Ziel von 15 Millionen Elektro-Autos bis 2030 zu erreichen.

Wissing ist beim Klimaschutz gefordert

Als einziger Sektor verfehlte der Verkehr gleichzeitig sein Klimaziel und schraubte die Emissionswerte im Vorjahresvergleich noch in die Höhe. Natürlich hat Wissing recht, wenn er findet: Mehr Verkehr könne auch für eine höhere wirtschaftliche Aktivität stehen.

Nur war das Wirtschaftswachstum mit 1,9 Prozent verhältnismäßig moderat, wenn man die Nachholeffekte aus der Corona-Pandemie berücksichtigt. Und gerade ein FDP-Politiker sollte Lösungen präsentieren, wie Wirtschaftswachstum und Klimaschutz vereinbar sind. Denn Klimaschutz funktioniert dann am besten, wenn er die Menschen mitnimmt, wenn gleichzeitig Wohlstand erhalten und ein Umbau hin zum nachhaltigeren Wirtschaften möglich wird.

Reformen sind eine Frage des Willens

Tobias Kisling, Wirtschaftskorrespondent
Tobias Kisling, Wirtschaftskorrespondent © FUNKE Foto Services | Reto Klar

Wie schnell die Stimmung kippen kann, wenn dieser Faktor aus dem Blick geraten zu droht, erlebt derzeit Wissings Kabinettskollege Robert Habeck (Grüne). Der Bundeswirtschaftsminister stößt mit seinen Plänen zum Verbot neuer Öl- und Gasheizungen auf Widerstand. Die Maßnahme ist bei vielen Menschen unpopulär, obwohl Habeck milliardenschwere Unterstützung ankündigte. Das zeigt aber auch: Reformen erzeugen immer Gegenwind. Es ist eine Frage des Wollens, ob man sie trotzdem angeht.

Dieser Wille scheint Wissing abhandengekommen zu sein. Seine Vorschläge für mehr Klimaschutz im Verkehr quittierte der vom Bund beauftrage Expertenrat für Klimafragen im vergangenen Jahr als ambitions- und anspruchslos.

Wissings Prioritäten liegen nicht auf dem Klimaschutz

Wissing aber hält seine Schuldigkeit für getan. Wird er darauf angesprochen, warum das Klimaschutzsofortprogramm nicht kommt, verweist er an Habeck. Dessen Aufgabe. Der wiederum sieht Wissing in der Pflicht, im Verkehrsbereich nachzubessern. Davon will der Verkehrsminister nichts wissen. Ebenso wenig wie von einem Tempolimit oder der Abschaffung des Dienstwagenprivilegs. Leidenschaftlich hingegen kämpft er für den beschleunigten Neubau von Autobahnen und stemmt sich gegen das Verbrenneraus, solange es keine Ausnahme für E-Fuels gibt.

Kurzfristig werden diese beiden Punkte sicher nicht helfen, die Emissionen zu senken. Dass ausgerechnet das Deutschlandticket Wissings größter Beitrag für die Klimaziele im Verkehr ist, spricht Bände. Zwar hat Wissing den Nachfolger des 9-Euro-Tickets gegenüber seinem Parteichef Christian Lindner verteidigt. Ein Herzensthema aber ist es für Wissing noch lange nicht. Offenbar ebenso wenig wie die Klimabilanz im Verkehr.