Berlin. Nicht nur im Kanzleramt sitzt bald ein neues Gesicht. Neue Abgeordnete werden auch im Bundestag sitzen. Auf wen man achten sollte.

Nach jeder Wahl tauscht der Bundestag bis zu einem Drittel seiner Mitglieder aus. Manche Abgeordnete hören auf, andere Volksvertreter werden nicht gewählt. Zeit für einen Wach- und Generationenwechsel.

Das nächste Parlament dürfte größer, vermutlich auch jünger und vor allem weiblicher werden. Dass die Grünen mit Annalena Baerbock eine Kanzlerkandidatin aufstellten, ist ein Statement. Ihre männlichen Konkurrenten Olaf Scholz (SPD) und Armin Laschet (Union) versprechen ihrerseits ein paritätisch besetztes Bundeskabinett.

Politisch werden nach der Wahl die Karten neu verteilt, einmal zwischen den Fraktionen im Bundestag, sodann innerhalb der Parteien. Unsere Redaktion hat sich hinter den Kulissen umgehört und Ausschau gehalten nach den Politikern, die in den Startlöchern sitzen.

Wer drängt nach vorn, wer kommt nach der Bundestagswahl am 26. September groß (größer) raus oder sogar in die Bundesregierung?

Silvia Breher (48), CDU-Politikerin

Jünger, moderner, weiblicher – so überzeugte sie erst die CDU in Cloppenburg, dann Kanzlerkandidat Armin Laschet. In seinem Team vertritt sie zwar die Familienpolitik, aber Breher ist auch in der Agrarwirtschaft zu Hause, buchstäblich: Sie wuchs auf einem Bauernhof auf. Der Kirche fiel die Katholikin auf, weil sie im Kampf um die Schwangerenkonfliktberatung zu einer gesetzlichen Neuregelung Nein sagte und für die Homo-Ehe ist. Eine Frau, ein Wort.

Dorothee Bär (43), CSU-Politikerin

Sie ist jung, böse Stimmen sagen: das ewige Talent der CSU. Wie Breher fällt sie durch ihre Gegensätze auf, einerseits konservativ, andererseits modern, wie ihr Hauptprofilierungsfeld nahelegt: die Digitalisierung. Sie ist eine engagierte Frauenpolitikerin und ließ aufhorchen, als sie ihre Mitgliedschaft in der Ludwig-Erhard-Stiftung kündigte. Grund war eine Publikation mit „frauenverachtenden und in höchstem Ausmaß sexistischen Äußerungen“.

Marco Wanderwitz (45), CDU-Politiker

Er ist der Ost-Versteher der CDU. Mehrfach hat sich der Ostbeauftragte der Bundesregierung mit der AfD angelegt und auch Ultrakonservative in der eigenen Partei kritisiert. Wanderwitz steht für einen vorwärtsgewandten Osten und hat Erfolg. Sein moderater, Merkel-freundlicher Kurs hat dem 45-jährigen Innenstaatssekretär vor vier Jahren gute Ergebnisse in seinem sächsischen Wahlkreis eingebracht.

Lars Klingbeil (43), SPD-Politiker

Lars Klingbeil ist für die SPD mehr General als Sekretär. Der Generalsekretär hat mit dem niedersächsischen Verband eine starke Hausmacht und wirkt unverbraucht, obwohl er schon 2005 im Bundestag saß. Klingbeil gehört die Zukunft, sei es in der Opposition, sei es in einem SPD-Kabinett. Der Sohn eines Soldaten verbrachte seine Kindheit am Bundeswehrstandort Munster. Im Parlament zog es ihn in den Verteidigungsausschuss. Ein Mann für die Truppe. Lesen Sie auch: Bundestagswahl: Das planen die Parteien für die Wirtschaft

Karl Lauterbach (58), SPD-Politiker

Laut, lauter, Lauterbach. Originell, unabhängig und so verhasst wie geschätzt. Die Zahl der Neider in der SPD-Fraktion ist imposant. Es ist kein Zufall, dass er auf der Landesliste nicht gut gesichert ist. Die größte Hürde ist für ihn, den Wahlkreis Leverkusen gegen die in der Laschet-CDU hoch gehandelte Serap Güler zu holen. Stellt die SPD die Regierung, ist er eine Option als Gesundheitsminister. Keiner kann so eloquent Pandemie buchstabieren wie er.

Christine Lambrecht (56), SPD-Politikerin

Viele haben sie abgeschrieben, weil die Justizministerin nicht wieder für den Bundestag kandidiert. Aber hinter den Kulissen gibt es Bestrebungen, die allseits respektierte Politikerin für ein Kabinett Scholz zu gewinnen. Falls die SPD das Innenministerium besetzt, wäre sie eine Alternative zu Boris Pistorius aus Hannover. Eine kompetente Frau, die den Regionalproporz ausbalanciert, da sie nicht aus dem starken Niedersachsen-Verband kommt.

Bettina Stark-Watzinger (53), FDP-Politikerin

Sie könnte nach der Bundestagswahl einen gewaltigen Karrieresprung machen. Der Grund: Regiert die FDP mit, wird sie es sich kaum leisten können, ausschließlich männliche Minister zu stellen. In der Spitzenriege aber sind kaum noch bekannte Frauen an Bord. Das wäre die große Chance der FDP-Landeschefin aus Hessen. Viele in der Partei können sich die politikerfahrene Volkswirtin als künftige Ministerin für Digitales vorstellen. Auch interessant: So fies reagiert Laschet auf die Fragen von Kinder-Reportern

Volker Wissing (51), FDP-Politiker

Er wurde Generalsekretär der FDP – und es ging wieder bergauf. So könnte man die Entwicklung der Umfragen lesen, seit der ehemalige Wirtschaftsminister aus Rheinland-Pfalz vor genau einem Jahr den Parteijob übernahm. In Mainz hatte Wissing eine Ampelkoalition mit SPD und Grünen geschmiedet – er gilt als einer, der keine parteipolitischen Scheuklappen hat. Sollte die FDP demnächst im Bund mitregieren, könnte er Wirtschaftsminister werden.

Matthias Höhn (46), Linken-Politiker

Er hat sich zuletzt nicht eben beliebt gemacht. Lange bevor Olaf Scholz von der Linken ein Bekenntnis zur Nato forderte, hat der Vorsitzende des Bundestagsunterausschusses für Abrüstung Vorschläge für eine neue Außenpolitik gemacht. Die Resonanz in seiner Partei: durchwachsen. Wenn die Linke sich an dieser Stelle bewegen will, dann kann der Mann aus Sachsen-Anhalt zum Wegbereiter für Rot-Grün-Rot werden.

Susanne Hennig-Wellsow (43), Linken-Politikerin

Sie kennt aus eigener Erfahrung in Thüringen all die Spannungen, die eine Zusammenarbeit mit SPD und Grünen mit sich bringt. Die neue Parteichefin ist eine Pragmatikerin. Ihr geht es darum, Inhalte umzusetzen. Dass die Mutter eines Grundschulkinds ein Ministeramt in Berlin anstreben würde, gilt zwar als unwahrscheinlich. R2G setzt aber Akteure voraus, die eine Koalition zusammenhalten. So wie Susanne Hennig-Wellsow.

Irene Mihalic (44), Grünen-Politikerin

Sie erfüllt alle geschriebenen und ungeschriebenen Quoten. Sachkundig, politisch erfahren, erwiesen telegen (machte in einer Reality-Serie mit) und eine Frau mit Migrationshintergrund. Wäre sie eine Schauspielerin, würde man von einer Besetzung gegen das Rollenklischee sprechen. Denn Mihalic machte eine Ausbildung als Polizistin und studierte Kriminologie. Untypisch für die Grünen, aber vielleicht eine Empfehlung für eine Aufgabe in der nächsten Regierung.

Oliver Krischer (52), Grünen-Politiker

Oliver Krischer kennt sich im Biotop der Politik aus. Seit 30 Jahren ist er bei den Grünen aktiv, von der Kommunal- über die Landes- bis zur Bundespolitik. Der Biologe ist der Verkehrs- und Klimapolitiker der Fraktion. Das ist das Identitätsthema der Partei. Das sichert ihm Einfluss, aber nicht zwingend einen Posten neben Annalena Baerbock im Kabinett – im Wege könnte ihm der Regionalproporz stehen, denn aus NRW kommen viele andere Hoffnungsträger der Grünen.