Berlin. Norwegen ist zum wichtigsten Energielieferanten Deutschlands aufgestiegen. Das soll auch auf dem Weg zur Klimaneutralität so bleiben.

Als Reiseziel für deutsche Politikerinnen und Politiker hat Norwegen im vergangenen Jahr eine steile Karriere hingelegt. Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) ist dieser Woche schon zum zweiten Mal da, Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) war auch schon in Oslo, Grünen-Chefin Ricarda Lang verschlug es im Rahmen ihrer Sommerreise in das Land.

Mit der landschaftlichen Schönheit der Fjorde oder den Sehenswürdigkeiten der norwegischen Hauptstadt hat diese Entwicklung allerdings nichts zu tun. Vielmehr ist die neue Norwegen-Affinität ein Zeichen dafür, wie viel wichtiger die Beziehung zum Königreich für Deutschland innerhalb kurzer Zeit geworden ist. Denn mit dem Wegfall der russischen Gaslieferungen ist Norwegen zum wichtigsten Energielieferanten für Deutschland aufgestiegen.

Gas: Norwegen hat die Lieferungen deutlich aufgestockt

Als sich abzeichnete, dass Europa auf die russischen Gaslieferungen nicht länger bauen konnte, reagierte die norwegische Regierung zügig auf die Notlage der Nachbarn. Das Land erhöhte die Förderkapazitäten von Erdgas um acht Prozent im vergangenen Jahr, so viel wie es in der Kürze der Zeit ging.

Dafür bedankte der deutsche Wirtschafts- und Klimaschutzminister sich ausdrücklich am Donnerstag bei einem Treffen mit dem norwegischen Ministerpräsidenten Jonas Gahr Støre. „Das Schlimmste, was drohte im Sommer, haben wir bisher verhindert“, sagte Habeck. Eine Kernschmelze der deutschen und europäischen Industrie sei vorerst abgewendet.

Norwegen ist zuverlässig – trotzdem gibt es ein Risiko

Der Grünen-Politiker ist in Oslo, um in Gesprächen mit Støre und mehreren norwegischen Ministern die Zusammenarbeit zu vertiefen. Es ist auf vielen Ebenen eine Partnerschaft, wie Deutschland sie sich wünscht. Norwegen ist Nato-Mitglied und obwohl kein EU-Land der Union eng verbunden. Dass das Königreich so kapriziös mit Lieferzusagen umgeht wie andere Energielieferanten das zum Teil tun, ist nicht zu erwarten. Und doch gibt es Sorge, dass auch diese Quelle gestört werden könnte. Die Sabotage-Akte an den Nordstream-Pipelines im vergangenen Jahr haben deutlich gemacht, wie verwundbar die Infrastruktur ist, über die Energie in Europa transportiert wird.

Rund 9000 Kilometer Pipeline verteilen das norwegische Gas und Öl in die Welt, über weite Strecken verlaufen sie am Meeresboden. Derart lange Verbindungen zu schützen, das sei „fast so, als würde man versuchen, auf der gesamten A7 zwischen Flensburg und Kempten Polizeiautos zur Verkehrsüberwachung einsetzen“, sagt Sebastian Bruns, Experte für Maritime Sicherheit von der Universität Kiel. Zwar gebe es technische Wege, die Pipelines zu überwachen, etwa zu beobachten, ob es zu einem plötzlichen Druckabfall kommt. Doch am Ende, sagt er, sei es „schwer bis unmöglich, diese kritische Infrastruktur effektiv zu schützen“.

Man habe, sagte der norwegische Ministerpräsident Støre am Donnerstag, die Wachsamkeit erhöht, um ununterbrochene Lieferungen zu garantieren. Ende des Monats soll eine Pipeline-Kommission tagen, in der die Länder Erkenntnisse und Maßnahmen zur Sicherung der Infrastruktur austauschen wollen.

An den Gaspipelines Nordstream traten Lecks auf. Später stellte sich heraus, dass es sich um Sabotage handelte.
An den Gaspipelines Nordstream traten Lecks auf. Später stellte sich heraus, dass es sich um Sabotage handelte. © dpa | -

Das Öl- und Gas-Land Norwegen will auch nach der fossilen Zeit Energie liefern

Doch die Regierungen beider Länder blicken über die akute Krise hinaus: Norwegen, das reich geworden ist mit dem Verkauf von fossilen Brennstoffen, soll nach den Plänen des Wirtschaftsministeriums auch dann noch ein wichtiger Partner sein, wenn das Zeitalter von Öl und Gas endgültig vorbei ist – dann als Lieferant von Wasserstoff.

Grüner Wasserstoff, hergestellt durch die Elektrolyse von Wasser unter Verwendung von erneuerbarer Energie, gilt als Hoffnungsträger der Energiewende: In Industrieprozessen, die sich nicht elektrifizieren lassen, soll er der klimaneutrale Ersatz für fossile Brennstoffe sein, in der Stromproduktion sollen Wasserstoffkraftwerke perspektivisch einspringen an Tagen, an denen erneuerbare Energien nicht ausreichend Strom liefern. So setzt die Bundesregierung darauf, dass es bis Mitte des nächsten Jahrzehnts Kraftwerke gibt, die zu 100 Prozent mit grünem Wasserstoff laufen. Doch der Energiehunger der deutschen Industrie groß, und das Angebot bis jetzt knapp. Innerhalb weniger Jahre müssen deshalb eine funktionierende Wertschöpfungskette und ein Markt entstehen.

Deutschland und Norwegen haben jetzt eine Kooperationen vereinbart, die diesen Prozess beschleunigen soll. Bis 2030 soll eine Pipeline entstehen, die Wasserstoff von Norwegen nach Deutschland bringen soll. Eine Machbarkeitsstudie dazu soll noch in diesem Frühjahr fertig werden.

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Habeck verteidigt blauen Wasserstoff als Übergangslösung

Zunächst allerdings soll es sogenannter blauer Wasserstoff sein, der über diese Pipeline ankommt, gewonnen aus Erdgas und unter Abscheidung von CO2. Später soll grüner Wasserstoff laut Habeck direkt in Offshore-Windpark produziert und in die Pipeline eingespeist werden. Umgesetzt werden die Pläne unter anderem von RWE und dem norwegischen Energiekonzern Equinor. Bis 2038 will Equinor Kapazitäten für die Produktion von bis zu 10 Gigawatt blauem Wasserstoff schaffen, RWE soll zu den Abnehmern gehören.

Den Aufbau der gesamten Infrastruktur für die Produktion, den Transport und die Nutzung von Wasserstoff sei auch „eine Einladung“ für den deutschen Maschinenbau, sagte der Wirtschaftsminister. Habeck verteidigte die Verwendung von blauem Wasserstoff als notwendige Übergangslösung, bis ausreichend grüner Wasserstoff zur Verfügung stehe. Deutschland sei nicht in der Position, wählerisch zu sein. Norwegen dürfte in der deutschen Politik als Reiseziel absehbar beliebt bleiben.