Berlin. Erneuerbare Energien sollen Deutschland in den nächsten Jahren unabhängiger und klimaneutral machen. Doch es hakt an vielen Stellen.

Kürzlich ist Markus Söder nach Niederbayern gereist, genauer: Nach Wiesenfelden, in den Waxenberger Forst. Bei der Einweihung einer Windkraftanlage war der bayerische Ministerpräsident dort dabei, lobte die „Heimatenergie“ und hielt kleine, bunte Windräder in die Kameras.

Es waren Bilder, die einen gewissen Überraschungswert hatten. Denn das Windrad, das Söder an diesem Tag besuchte, ist laut Medienberichten eines von gerade einmal sechs, die in diesem Jahr in Bayern ans Netz gingen. Diese Bilanz ist kein Zufall, im Freistaat war man stolz auf die 10H-Regel, die als härteste Abstandsregel für Windkraftanlagen die verfügbaren Flächen dramatisch geschrumpft hatte.

Bayern steht damit besonders schlecht da, was Windkraft angeht, aber bei weitem nicht allein. Der Ausbau von erneuerbaren Energien stockt in vielen Teilen des Landes.

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Erneuerbare sollen nicht nur das Klima schützen, sondern auch unabhängiger machen

Das Umweltbundesamt formuliert es in seinem jüngsten Bericht von Anfang Dezember diplomatisch: Es gebe „unterschiedlich dynamische Entwicklungen“ beim Ausbau verschiedener erneuerbarer Energieformen, heißt es da. So würden unter dem Strich am Ende des Jahres rund 7.200 Megawatt neue Kapazitäten von Solaranlagen stehen, fast so viele „wie in den bisherigen Rekordjahren 2010 bis 2012“. Bei Windenergie an Land dagegen bleibe das Niveau niedrig, nur 2.000 Megawatt seien netto dazugekommen. Immerhin: Auf See wurden im dritten Quartal 2022 zum ersten Mal seit eineinhalb Jahren überhaupt wieder Anlagen ans Netz genommen.

Von einer Zuwachsrate, wie man sie für den Plan, bis 2030 auf 80 Prozent erneuerbaren Strom zu kommen, braucht, sind diese Steigerungen weit entfernt. Doch das ist das erklärte Ziel der Ampel-Koalition, zwei große Gesetzespakete hatte Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) dafür eingebracht. 2035 soll die Stromversorgung in Deutschland fast vollständig aus erneuerbaren Energien gedeckt werden. Mit dem Ukraine-Krieg hat das Projekt, das ursprünglich vor allem dem Klimaschutz dienen sollte, noch an Dringlichkeit gewonnen.

Die Ampel sei sehr ambitioniert gestartet, sagt Simone Peter, Präsidentin des Bundesverbands für Erneuerbaren Energien. „Es ist viel passiert, aber es muss noch eine Schippe drauf, um ab nächstem Jahr die Erneuerbaren zu entfesseln und die selbst gesteckten Ziele zu erreichen.“ In diesem Jahr etwa, rechnet Peter vor, sei im Schnitt eine Windanlage pro Tag dazu gekommen. „Das muss ab Januar auf sechs Anlagen pro Tag im Schnitt bis 2030 hoch.“

Ein Problem, vor allem bei Windkraft, bleiben die Flächen, auf denen die Anlagen stehen sollen. Das „Wind-an-Land“-Gesetz der Bundesregierung, das zum Februar in Kraft tritt, sieht vor, dass die Länder dieses Ziel bis 2032 erfüllt haben müssen. Als Zwischenschritt sind 1,4 Prozent bis 2027 vorgesehen.

Das Zwei-Prozent-Ziel bringt Bewegung in die Landespolitik

Noch allerdings sind die meisten Länder davon weit entfernt. Ein Bericht des Bund-Länder-Kooperationsausschusses aus dem Oktober stellte fest, dass derzeit nur Schleswig-Holstein und Hessen dieses Ziel ganz oder annähernd erfüllen – und in Hessen werden 100 Prozent der ausgewiesenen Flächen beklagt.

Doch das Bundesgesetz hat Dinge in Bewegung gebracht, einige Länder wollen sich jetzt auf den Weg machen. Die neue Landesregierung in Niedersachsen etwa hat im Koalitionsvertrag festgehalten, „so schnell wie möglich“ 2,2 Prozent der Landesfläche als Windenergiegebiete auszuweisen, innerhalb des ersten Jahres der Regierung soll es einen detaillierten Plan geben. Nordrhein-Westfalen will noch in diesem Jahr eine 1000-Meter-Abstandsregel teilweise kippen und arbeitet an einem Landesentwicklungsplan, der mehr Flächen für Windkraft zur Verfügung stellen soll. In Brandenburg beendete das Bundesgesetz ein Windkraft-Moratorium. Selbst Bayern, wo im nächsten Jahr eine Landtagswahl ansteht, hat die 10H-Regel gelockert.

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Doch die Flächen sind nicht die einzige Schwierigkeit. Nach wie vor ist der Weg von der Projektidee zum tatsächlich produzierten Strom weit. Bei einer Windkraftanlage, erklärt Peter, seien etwa 24 Monate bis zur Genehmigung üblich. Sind die Genehmigungen erteilt, müssen Betreiber bei einer Ausschreibung der Bundesnetzagentur teilnehmen, um Förderung zu bekommen, anschließend würden im Schnitt etwa 27 Monate für die Umsetzung folgen. „Damit landen wir bei fünf bis sieben Jahren, bis eine Anlage läuft“, sagt Peter. „Das ist immer noch viel zu lange. Wir brauchen dringend Gesetzesanpassungen zur Beschleunigung von Genehmigungsverfahren und zur schnelleren Bereitstellung von Flächen.“

Die Kommunen sehen eine neue Akzeptanz für erneuerbaren Strom

Die Ausschreibungen waren zuletzt immer wieder unterzeichnet, es bewarben sich also nicht genügend Projekt-Betreiber um einen Zuschlag. Neben langen Genehmigungszeiten, sagt Peter, läge das auch an steigenden Material- und Finanzierungskosten, die durch die Vergütung nicht gedeckt würden. „Wir gehen von rund 30 bis 35 Prozent Kostensteigerung bei Windenergieprojekten aus, bis zu 65 Prozent in der Photovoltaik.“ Bei Bioenergie könne der Wert sogar noch höher liegen. Im Rahmen des parlamentarischen Verfahrens zu den Energiepreisbremsen wurde jetzt festgelegt, dass die Bundesnetzagentur die Vergütung für eingespeisten Strom in Eigenregie um 25 Prozent erhöhen kann. So sollen wieder mehr Gebote kommen.

Doch trotz aller bestehenden Hindernisse beobachtet Peter auch eine Dynamik. Bürgerinnen und Bürger, sagt sie, wären jetzt bereit, sich Photovoltaikanlagen aufs Dach zu setzen und Wärmepumpen und Batteriespeicher zu installieren. „Die Akzeptanz steigt.“ Jetzt brauche es noch mehr gezielte Förderung, damit sich das alle leisten könnten.

Windkraft: 139 Anträge, wo es früher 13 waren

Den Eindruck eines Stimmungsumschwungs teilt man auch dort, wo die Anlagen am Ende tatsächlich entstehen müssen: Bei den Kommunen. Die Widerstände, die es vor allem früher gegen Windkraft gegeben habe, hätten deutlich abgenommen, sagt Gerd Landsberg, Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städte- und Gemeindebunds (DStGB). „Wenn wir früher 100 Leute hatten, die Proteste organisiert haben, sind es heute 10.“ Im Bewusstsein der Bürgerinnen und Bürger sei die Dringlichkeit eindeutig angekommen, in der Kommunalpolitik sowieso. Einen regelrechten „Run“ beobachtet er dort.

Kürzlich, sagt Landsberg, sei er in einem Kreis in Nordrhein-Westfalen unterwegs gewesen, der im vergangenen Jahr 13 Anträge hatte für Windkraftprojekte. „Jetzt haben sie 139.“

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Doch die neue Popularität von erneuerbaren Energien stellt die Behörden auch vor Schwierigkeiten. Bei den Behörden, die die Projekte am Ende genehmigen müssten, „ist einfach kein Personal da“, sagt Landsberg, „und die Leute wachsen ja auch nicht auf den Bäumen.“

Auch Landsberg fordert jetzt einen „Genehmigungsturbo“ – und hat dabei auch ein Vorbild im Blick. „Es ist uns innerhalb kürzester Zeit gelungen, die Verfahren für die LNG-Terminals so zu verändern, dass jetzt das erste in Betrieb geht“, sagt er. Das müsse jetzt auch für die erneuerbaren gehen.