Berlin. Neid unter Nachbarn: Die polnischen Gasspeicher sind voll. Die Aufregung im Netz ist groß – ein Mix aus Halbwahrheiten und Populismus.

Polens Gasspeicher sind zu fast 100 Prozent voll. In den sozialen Netzwerken – vor allem auf facebook – fragen sich viele vor dem Hintergrund des Ukraine-Krieges, wie das trotz Sanktionen möglich ist. "Und auf deutsche Kosten", empört sich ein AfD-Ortsverband. Die Anatomie einer Halbwahrheit.

Über den jeweiligen Füllstand kann man sich auf der Internetseite Gas Infrastructure Europe informieren. In Polen beträgt er derzeit 98,6 Prozent, in Deutschland 67,4 Prozent. Noch enger sieht es in Bulgarien (45,6 Prozent), Kroatien und Ungarn (50 Prozent) oder Österreich (52 Prozent) aus.

Besser als in Deutschland stehen Tschechien (78,4 Prozent), Dänemark (86 Prozent) oder Schweden (90 Prozent) da. Auch große Volkswirtschaften wie Italien und Frankreich weisen Füllstände von über 70 Prozent aus.

Gasspeicher: In Polen ist der "Ernstfall" längst da

Besser als Polen steht in der EU nur Portugal da. Füllstand: 100 Prozent. Das ist irrelevant. Das kleine Land im Südwesten ist an keine Pipeline aus Russland angebunden und setzt seit jeher auf Flüssiggas.

Die andere Hälfte der Wahrheit ist, dass Polen maximal 36,41Terawattstunden Gas speichern kann, Deutschland fast das Siebenfache, 242,99 Terawattstunden. Da ist es klar, dass der kleinere Speicher schneller voll ist.

Gasspeicher: Deutschland oft nur Transitland

Hinzu kommt, dass in Polen der Ernstfall längst eingetreten ist: Im April stoppte der russische Konzern Gazprom alle Lieferungen. Seither kaufen die Polen, wo und was sie nur können. Auch in Deutschland. Wieviel ist unklar.

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Zur Wahrheit gehört, dass es sich meist nicht um in Deutschland gefördertes Gas geht. Manchmal wird damit hierzulande gehandelt, manchmal sind wir nur Transitland für den Rohstoff aus Holland, aus Norwegen. Und noch Deutschland den Rohstoff über die 4.200 Kilometer lange Jamal-Pipeline aus Russland. Die ironische Pointe: ausgerechnet via Polen.

Gasspeicher: Habeck rechnet mit dem Schlimmsten

Um den Handel zu unterbinden, müsste die Bundesregierung einen Lieferstopp verhängen. Das würde dem Grundprinzip des europäischen Freihandels widersprechen. Tobias Federico, Geschäftsführer der Beratungsagentur Energy Brainpool, sagte den ZDF, "wir sind in Europa eine Solidargemeinschaft und werden bei der sich anbahnenden Gas-Krise auf Unterstützung angewiesen sein. Jetzt alle Gaslieferungen mit Verboten zu unterbinden, wäre das ganz falsche Signal." Stattdessen haben EU-Staaten in dieser Woche vereinbart, gemeinsam den Verbrauch um mindestens 15 Prozent zu senken.

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Allerdings sind deutsche Unternehmen seit Mai verpflichtet, in ihren Speichern bestimmte Mengen an Gas vorzuhalten, zum Oktober zu 80 Prozent, zum November zu 90 Prozent. Ob die Zielmarken erreichbar sind, hängt gerade davon ob, ob Gazprom seinen vertraglichen Verpflichtungen nachkommt; oder Kremlchef Wladimir Putin das Gas wie eine Waffe einsetzt. Wirtschaftsminister Robert Habeck von den Grünen rechnet mit dem Schlimmsten.

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Dieser Artikel erschien zuerst auf morgenpost.de.