Três Unidos. Habeck und Özdemir machen sich im Amazonas-Gebiet für den Waldschutz stark – und für ein Abkommen, das diesen Wald bedrohen könnte.

Das Dickicht beginnt direkt hinter den Häusern. Meterhoch, fast undurchdringlich ragt der Regenwald hier auf, kaum zwei Armlängen von den letzten Dächern entfernt. Wenn ein Luftzug durch die Bäume streicht, fallen sanft Blätter zu Boden, doch der Wind tut nichts, um ein bisschen Kühlung zu verschaffen in der drückenden Hitze. Auf der anderen Seite des Dorfes liegt der Rio Negro, ein Zufluss des Amazonas, ein träger, breiter Strom.

Auf den wenigen Metern sandigen Bodens dazwischen, rund 300 Kilometer vom Äquator entfernt, finden sich am Dienstag zwei grüne Bundesminister. Robert Habeck und Cem Özdemir sind auf ihrer Südamerika-Reise ins brasilianische Amazonas-Gebiet gereist, um sich anzuschauen, ob sich vermeintlich Gegensätzliches vereinbaren lässt – im Wald leben und wirtschaften und ihn dabei zu schützen. Das Dorf Três Unidos, mit dem Schnellboot über den Rio Negro gut eine Stunde von Manaus entfernt, soll dafür ein Beispiel sein.

Grüne Minister in Amazonien: „Ich bin Robert, und das ist Cem“

„Ich bin Robert, und das ist Cem“, stellt Habeck die Besucher vor, in sehr einfachen Hauptsätzen. Sie seien Minister der deutschen Regierung – „das ist so etwas wie euer Häuptling“ – und sie seien gekommen, um zu lernen und zu verstehen, wie die Menschen hier leben. Landwirtschaftsminister Özdemir erinnert sich an seine Schulzeit, in der er zum ersten Mal vom Amazonas-Regenwald gehört habe. „Ich hätte mir nie träumen lassen, dass ich einmal hier sein würde.“

Rund 150 Menschen von der indigenen Gruppe der Kambeba leben in der kleinen Siedlung, in bunten Holzhäusern, auf deren Wellblechdächern Solarzellen Energie sammeln. Ein Restaurant gibt es, auch ein kleines Hotel, an dessen Eingang ein Schild selbstironisch erklärt, es sei kein Luxus, „aber es hat Wifi“. In einem der drei Klassenzimmer der Schule läuft auf einem Bildschirm eine Videokonferenz – Digitalunterricht funktioniert im Regenwald per Satelliteninternet.

Unterstützt wird das Dorf von der Stiftung für ein nachhaltiges Amazonien. Wo die Menschen Bildung und wirtschaftliche Möglichkeiten haben, so der Gedanke, sind sie nicht gezwungen, in die Städte zu gehen. Es ist der Versuch, wirtschaftliche Möglichkeiten zu schaffen, ohne dafür den Wald zu opfern.

Experten fürchten, dass sich der Regenwald einem Kipppunkt nähert

Beides zu vereinen, ist dringend nötig. Denn der Amazonas-Regenwald ist bedroht. Rund 18 Prozent des Ökosystems, das für ein stabiles Weltklima unverzichtbar ist, sind bereits gerodet. In Brasilien, auf dessen Staatsgebiet 60 Prozent des Waldes liegen, hatte die Entwaldung unter der Regierung des vorherigen Präsidenten Jair Bolsonaro drastisch zugenommen – unter Bolsonaro geschwächte Umweltbehörden hatten illegaler Rodung und Landnahme wenig entgegenzusetzen, der Wald fiel illegalen Goldminen zum Opfer, wurde zu Anbau- und Weidefläche gemacht.

So große Teile sind inzwischen abgeholzt, dass Forscherinnen und Forscher befürchten, der Wald sei dem Punkt nahe, wo er sich von Belastungen wie Bränden oder Trockenheit nicht mehr erholen kann und immer weiter schrumpft. Die Folgen für die Niederschläge in Südamerika, aber auch das globale Klima wären gravierend.

In Deutschland war deshalb die Freude groß, dass die neue Regierung unter Präsident Luiz Inácio Lula da Silva den Stopp illegaler Abholzung zu einem ihrer zentralen Anliegen erklärt hat. Zu seinem Besuch bei Lulas Amtseinführung im Januar brachte Bundespräsident Steinmeier die Nachricht mit, dass bis dahin eingefrorene 35 Millionen Euro für den Amazonas-Fonds freigegeben wurden. Und Habeck erklärte am Dienstag, dass Deutschland über die Internationale Klimaschutzinitiative (IKI) weitere 30 bis 50 Millionen Euro für Projekte wie in Três Unidos zur Verfügung stellen will.

Mercosur: „Ein Alptraum für die Natur“

Doch gleichzeitig treibt die Bundesregierung ein Projekt voran, dass die Umweltorganisation Greenpeace als „Alptraum für die Natur“ bezeichnet: Das Handelsabkommen der EU mit dem südamerikanischen Wirtschaftsbund Mercosur, dem auch Brasilien angehört.

Das Abkommen, das eine Handelszone mit insgesamt mehr als 700 Millionen Menschen schaffen würde, ist ein Langzeitprojekt – die Verhandlungen, die 1999 begannen, wurden 2019 eigentlich abgeschlossen. Doch das Interesse, sich enger mit dem Hardliner Bolsonaro zu verbinden, war in Europa sehr begrenzt. Und so lag der Vertrag bis zur Wahl von Lula auf Eis.

Jetzt allerdings soll es schnell gehen – Lula selbst will das Abkommen noch im ersten Halbjahr 2023 finalisieren. Auf deutscher Seite hat man zwar Zweifel, ob das realistisch ist, drängt aber auch zur Eile. Denn die Europäer sind nicht die Einzigen, die mit den südamerikanischen Staaten handeln wollen. Auch China, schon jetzt größter Handelspartner Brasiliens, steht ebenfalls vor der Tür. Schon Ende März wird Präsident Lula in Peking zu Gast sein.

Wenn Robert Habeck auf dieser Reise für einen zügigen Abschluss des Abkommens wirbt, hat das deshalb vor allem auch geostrategische Gründe.

Die Bundesregierung hätte gern mehr Waldschutz im Mercosur-Abkommen

Doch es gibt noch Gesprächsbedarf. Nicht nur die Umweltverbände haben Sorgen, dass mehr Handel mit Europa, vor allem von Agrarprodukten, auch mehr Abholzung bedeuten wird. Innerhalb der Grünen gibt es ebenfalls Widerstände, und auch der Deutsche Bauernverband hat sich vehement gegen den Abschluss in dieser Form ausgesprochen. Und auch, wenn man ein ums andere Mal beteuert, dass man Lulas Regierung beim Schutz des Waldes vertraut – ein paar mehr Sicherheiten hätte man auch in der Bundesregierung gern. Aktuell laufen Gespräche zwischen der EU-Kommission und den Mercosur-Staaten über eine Zusatzvereinbarung, die die Ansprüche noch einmal erhöhen soll.

Das Abkommen könnten grünen Standards in Brasilien mehr Gewicht verleihen, sagt Virgilio Viana, Vorsitzender der Stiftung für ein nachhaltiges Amazonien. Aufgaben wie die Nachverfolgung, dass Soja oder Rindfleisch tatsächlich produziert wurden ohne Entwaldung voranzutreiben, seien schwierig, aber „machbar“. Und sollte die nächste Regierung dem Schutz des Waldes wieder distanzierter gegenüberstehen als diese, „dann gibt es wenigstens etwas schriftliches“.

Auch der Wirtschaftsminister nimmt in Brasilien eine andere Einstellung zum Vertrag auch unter Umweltschützern wahr. In Deutschland gebe es die Sorge, „dass durch mehr Handel mehr Zerstörung passiert“, sagte Habeck in Três Unidos. Doch die meisten seiner Gesprächspartner in Brasilien – Menschen, „die wirklich ihr Leben dem Schutz des Regenwalds verpflichtet haben“ – sähen das anders. Sie würden argumentieren, dass mit einem funktionierenden Markt für nachhaltige Wirtschaftsarten nicht nachhaltige Wirtschaftsformen zurückgedrängt würden.

Kurz darauf steigen Habeck und Özdemir wieder in die Schnellboote, die sie zurück nach Manaus bringen. Die Zeit zum Lernen war an diesem Tag knapp.