Berlin. Die Ampel muss endlich zeigen, dass sie eine Koalition des Fortschritts ist. Denn nur dafür sei sie gewählt worden, sagt unser Autor.

Wer in der Politik nicht mehr weiter weiß, der gründet einen Arbeitskreis. Wenn eine Bundesregierung mehr Fragen als Antworten hat, dann zieht sie sich zu einer Klausur zurück. Und zwar bevorzugt nach Schloss Meseberg, rund 60 Kilometer nördlich von Berlin-Mitte im brandenburgischen Sand gelegen. Fernab des hauptstädtischen Trubels versucht das Kabinett dann, durchzuatmen und Schwung zu holen. Stets ist das mit der Hoffnung verbunden, dass sich die Minister im ländlichen Ambiente auch persönlich näherkommen.

Die Ampel-Koalition trifft sich in diesen Tagen zum zweiten Mal zu einer Klausur auf Schloss Meseberg. Man kann es nicht anders sagen: Die Stimmung im rot-grün-gelben Regierungsbündnis von SPD-Kanzler Olaf Scholz ist miserabel, es knirscht an allen Ecken und Enden. Die Partner streiten über Geld und Autobahnen, über Familienförderung und Verbrennungsmotoren, Gasheizungen und den richtigen Auftritt in der Außenpolitik.

Als größter Unruheherd gilt intern die FDP von Parteichef und Finanzminister Christian Lindner. Die Liberalen kämpfen nach einer Reihe von Wahlniederlagen ums politische Überleben, weshalb sie unter besonderem Profilierungszwang stehen. Als Gegner haben sie sich insbesondere die Grünen von Vizekanzler und Wirtschaftsminister Robert Habeck ausgesucht.

Thorsten Knuf, Politik-Korrespondent.
Thorsten Knuf, Politik-Korrespondent. © Reto Klar | Reto Klar

Ampel-Koalition befindet sich in kritischer Phase

Seit 15 Monaten ist die Bundesregierung im Amt – und sie befindet sich ohne Zweifel in einer kritischen Phase. Von der Aufbruchstimmung des Dezembers 2021 ist nicht mehr viel übrig. Mit „Mehr Fortschritt wagen“ hatten die Partner einst ihren Koalitionsvertrag unterschrieben. Die Zeit danach stand aber nicht im Zeichen der dringend notwendigen Modernisierung des Landes, sondern im Zeichen des Krisenmanagements.

Man muss der Ampel zugutehalten, dass sie dies unterm Strich gut hinbekommen hat: Die Schockwellen, die Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine weltweit auslöste, haben Deutschland zwar getroffen, aber nicht erschüttert. Der Absturz der Wirtschaft blieb aus, die Energieversorgung stabil und das Gemeinwesen intakt. Mindestens genauso wichtig ist, dass das Bündnis der westlichen Demokratien so stark ist wie seit Jahrzehnten nicht mehr.

Das ist gut und das ist wichtig. Doch ist die Ampel dafür nicht angetreten. Und dafür sind die drei Parteien, die sie tragen, auch nicht gewählt worden.

Bundesregierung muss Zeit bis zur Bundestagswahl nutzen

Es wird Zeit, dass die Koalition ihrer eigenen Ankündigung Taten folgen lässt und vom Krisen- endlich in den Gestaltungsmodus übergeht. Die anstehenden Aufgaben hat sie selbst gründlich analysiert. Es sind die vielen Dinge, die in 16 Merkel-Jahren sträflich vernachlässigt oder allenfalls halbherzig vorangetrieben wurden: Energiewende und Klimaschutz, die ökologische Transformation der Industrie, Digitalisierung, schnellere Planungs- und Genehmigungsverfahren, eine moderne Gesellschaftspolitik. Auch die Stärkung der Bundeswehr gehört dazu.

Mit der geplanten Reform des Zuwanderungs- und des Staatsbürgerschaftsrechts hat die Ampel zwei gesellschaftspolitische Projekte in Vorbereitung, mit denen sie zeigen kann, dass sie tatsächlich eine Koalition des Fortschritts ist. Zumindest bei der Zuwanderung sendet die oppositionelle Union sehr konstruktive Signale, das sollte die Dinge erleichtern. Gut zweieinhalb Jahre bleiben der Ampel bis zur nächsten Bundestagswahl, sie muss die Zeit für Reformen auf breiter Front nutzen. Die selbstbezogenen Debatten und die Ego-Trips einzelner Partner sollten endlich ein Ende haben.