Hamburg. Deutschlands Klimadiplomatin Jennifer Morgan über Aktivisten, Seitenwechsel in die Politik und nächsten Schritte beim Klimaschutz.

Erst ein paar Tage ist Jennifer Morgan zurück von ihrem ersten großen internationalen Auftritt als Deutschlands oberste Klimadiplomatin. Sie ist zurück von der Weltklimakonferenz im ägyptischen Scharm el-Scheich, deren Ergebnisse gefeiert, aber auch scharf kritisiert wurde. Morgan war einige Jahre Klimaaktivistin bei Greenpeace, jetzt ist sie Staatssekretärin im Auswärtigen Amt. Ein Gespräch über ihren Seitenwechsel in die deutsche Politik, die Ergebnisse der Klimakonferenz im Ägypten und Tempo 100.

Sie haben einen spektakulären Seitenwechsel vorgenommen: von der Greenpeace-Chefin zur Klima-Diplomatin. Wie haben Sie Ihre Feuertaufe bei der Klimakonferenz in Scharm el-Scheich (COP) erlebt?

Jennifer Morgan: Es war eine sehr intensive Zeit. Ich habe es als große Ehre empfunden, bei dieser Klimakonferenz als Teil der deutschen Regierung die Delegation mitzuführen, und Verantwortung für Entscheidungen zu übernehmen und diese konkret mitzugestalten.

Wie offen konnten Sie als Diplomatin reden?

Morgan: Es kommt darauf an, mit wem ich geredet habe. Die EU-Staaten sprechen offen unter sich. Die EU übernimmt in der globalen Klimapolitik eine entscheidende Rolle und war auch ein zentraler Akteur in Scharm El-Scheich. Wir sehen, was die Klimakrise schon jetzt anrichtet. Überflutungen in Pakistan und Nigeria, Dürren und Brände in Europa und den USA, die Flut im Ahrtal im vergangenen Jahr. Klimaschutzpolitik ist auch Sicherheitspolitik: In der Sahelzone sehen wir schon jetzt, wie stark Menschen durch Dürren zur Migration gezwungen werden, und wie schnell terroristische Gruppen diese Situation ausnutzen und in betroffenen Regionen ihre Macht ausweiten. Noch nie war es deutlicher, dass sich in vielen Regionen Chaos und Unsicherheit ausbreiten werden, wenn wir jetzt nicht handeln. Klimaschutz ist ein Kraftakt, aber wir müssen die Kraft jetzt aufbringen.

Sieht einen Durchbruch bei der Klimakonferenz: Jennifer Morgen, Staatssekretärin im Auswärtigen Amt.
Sieht einen Durchbruch bei der Klimakonferenz: Jennifer Morgen, Staatssekretärin im Auswärtigen Amt. © THORSTEN AHLF / FUNKE FOTO SERVICES | Thorsten Ahlf

Wie würde die Aktivistin Morgan beurteilen, was die Unterhändlerin Morgan bei der Konferenz erreicht hat?

Morgan: Als Staatssekretärin sage ich: Wir haben bei dieser Klimakonferenz einen Durchbruch bei der Klimagerechtigkeit erzielt und einen Fonds für die verletzbarsten Länder geschaffen, der sie bei Klimaschäden unterstützt. Dagegen waren die Beschlüsse bei der Minderung der Emissionen bei weitem nicht genug und es ist uns noch nicht gelungen, die Lücke zur 1,5 Grad Grenze weiter zu schließen – aber wir bleiben dran. In meiner früheren Rolle hätte ich das genauso gesehen – aber vielleicht mit etwas anderen Worten zum Ausdruck gebracht.

Verabschieden Sie sich von dem Ziel, die Erderwärmung auf 1,5 Grab zu begrenzen?

Morgan: Nein. Auch wenn die Ergebnisse bei der Emissionsminderung nicht ausreichend waren hat man in Scharm el-Scheich gesehen, dass die Zeichen der Zeit klar in Richtung globale Energiewende stehen. Dass in den Abschlusstext erstmalig die bedeutende Rolle von erneuerbaren Energien aufgenommen wurde zeigt, dass die große Mehrheit der Staaten weltweit auf erneuerbare Energien setzen – und nicht auf die Fossilen. Eine breite Koalition aus 80 Staaten hat bei der COP einen Ausstieg aus den fossilen Brennstoffen unterstützt. Die Wissenschaft und die Internationale Energie Agentur sagen, dass es technisch noch möglich ist, die 1,5-Grad-Obergrenze einzuhalten. Gemeinsam mit unseren Partnern arbeiten wir daran, die Weichen so zu stellen, dass die Welt auf den 1.5 Grad Pfad gelangt.

Die für den Klimaschutz entscheidenden Staaten wie China wollen diesen Ausstieg nicht.

Morgan: Noch nicht.

Sie kommen vom Treffen China-Time in Hamburg, ein erstes Treffen nach den Verhandlungen in Scharm el-Scheich. Wie viel ist angekommen von den Vereinbarungen bei China?

Morgan: Die Eindämmung der Klimakrise ist für China dringlicher und Chinas Rolle beim globalen Klimaschutz ist prominenter geworden. China ist kein Entwicklungsland mehr, sondern zweitgrößte Volkswirtschaft der Welt und mit Abstand größter Emittent. China trägt daher Verantwortung für den globalen Klimaschutz und muss auch den Klimaschutz weltweit deutlich stärker finanzieren.

China ist für Sie ein Motor beim Klimaschutz?

Morgan: Aktuell nicht. Es kommt darauf an, welche neuen großen und konkreten Schritte China nunmehr unternimmt, die Klimakrise einzudämmen.

China ist jetzt einer der größten Klimasünder, pro Kopf und Jahr der Negativ-Spitzenreiter bei den Emissionen.

Morgan: Ich kritisiere China dafür, dass das Land weiter neue Kohlekraftwerke baut. Doch auch China erlebt die Klimakrise, hat mit Dürren zu kämpfen. Das bringt Instabilität und Probleme für die Ernährungssicherheit. Und wenn China wirklich ein verantwortungsvoller globaler Akteur sein will, dann muss es mehr tun, um die Klimakrise zu bekämpfen.

Ägypten, Scharm el-Scheich: Indigene Umweltschützerinnen aus Brasilien bei der UN-Weltklimakonferenz COP27
Ägypten, Scharm el-Scheich: Indigene Umweltschützerinnen aus Brasilien bei der UN-Weltklimakonferenz COP27 © dpa | Nariman El-Mofty

Fortschritte gibt es bei der Bewältigung der Klimaschäden: Die ärmsten Länder sollen aus einem Fonds unterstützt werden. Aber wer einzahlt, ist offen geblieben …

Morgan: Dieser Fonds ist eine Errungenschaft für die verletzbarsten Länder, die am stärksten von den Auswirkungen der Klimakrise betroffen sind. Wir haben uns lange dafür eingesetzt, eine Allianz für eine Einigung zu schmieden. Das war geopolitisch wichtig. Durch den Fonds werden außerdem über Jahrzehnte bestehende Mauern ein Stück eingerissen. In der Vergangenheit haben allein die Staaten in einen Topf eingezahlt, die nach einer Definition von 1992 als Industriestaaten galten. Doch die Welt hat sich in den letzten 30 Jahren gewandelt. Außerdem fließen in den nun beschlossenen Fonds nicht nur staatliche Gelder. Es könnte z.B. auch eine Steuer für Unternehmen erhoben werden, die mit fossilen Rohstoffen Geld verdienen. Auch dieses Geld könnte dann in den Fonds fließen. Das ist ein Vorschlag des UN-Generalsekretärs Guterres.

Die Menschen fragen sich jetzt, wer wie viel Geld in diesen globalen Klimaschutz-Fonds zahlt. Was sind Ihre Antworten?

Morgan: Deutschland zahlt schon jetzt einen fairen Anteil für den globalen Klimaschutz. Auch die USA geben viel Geld für Klimaanpassungen. Jetzt stehen wir vor einem neuen Start und es wird Zeit, dass auch andere Staaten mehr Verantwortung übernehmen. Das wird nun verhandelt.

Wenn die wichtigen Finanzfragen nicht geklärt sind, wird das Format der Weltklimakonferenz der existenziellen Herausforderung gerecht?

Morgan: Es gibt kein anderes Forum, in denen ein kleiner Inselstaat direkt an einem Tisch mit den großen Industriestaaten verhandelt. Das ist enorm wichtig. Für diese kleinen Länder geht es um die Existenz. Und wegen dieses Dialogs auf Augenhöhe sind auch die Weltklimakonferenzen zentral.

Wenn Deutschland sich als Klimaschutz-Vorreiter versteht, ist es zu verantworten, Atomkraftwerke abzuschalten und Kohlekraftwerke wieder ans Netz zu nehmen?

Morgan: Für die Ampel-Koalition war das jetzt die erste Weltklimakonferenz. Im Namen dieser Bundesregierung haben wir auch international ganz deutlich gemacht, dass wir mehr für den Ausbau der erneuerbaren Energien tun als viele andere Staaten. Bis 2030 soll der Stromverbrauch in Deutschland zu 80 Prozent aus regenerativen Quellen gespeist werden.

Selbst Greta Thunberg sagt: Lieber Atom als Kohle.

Morgan: Wir sagen: Atomausstieg. Atomenergie ist Vergangenheit. Wir arbeiten für eine Zukunft mit erneuerbaren Energien, mit hoher Energieeffizienz und Kreislaufwirtschaft. Dafür arbeitet Deutschland mit vielen Ländern auf der Welt zusammen.

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Die Ampel konnte sich nicht einmal zu einem Tempolimit auf Autobahnen durchringen. Muss sich das ändern?

Morgan: Die Bundesregierung hat viele Fortschritte beim Klimaschutz gemacht. Wir gehen diesen Weg konsequent weiter.

Der Eindruck wächst, dass der Klimaschutz zurückstecken muss, weil der Krieg in der Ukraine tobt.

Morgan: Das sehe ich anders. Deutschland und die EU gehen jetzt entschieden gegen die bisherigen Abhängigkeiten von fossilen Brennstoffen wie Gas und Öl aus Russland vor. Diese Abhängigkeiten waren ein großer Fehler, für die wir jetzt einen hohen Preis zahlen. Jetzt beschleunigen wir die Energiewende. Das ist die Antwort auf den russischen Krieg in der Ukraine.

Berlin: Klimaaktivisten halten Schilder und sitzen auf der Prenzlauer Allee.
Berlin: Klimaaktivisten halten Schilder und sitzen auf der Prenzlauer Allee. © dpa | Carsten Koall

Sie waren einige Jahre bei Greenpeace aktiv. Wir erleben jetzt Straßenblockaden von Klimaschützern. Haben Sie Sympathie für die Bewegung?

Morgan: Ich kann verstehen, wie frustriert junge Menschen über die Klimapolitik sind. Wir sehen, was uns die Wissenschaft sagt. Und zugleich sehen wir, wie weit wir von unseren Zielen etwa bei der Begrenzung der Erderwärmung entfernt sind. Das ist für die jungen Menschen und ihre Zukunft eine Krisensituation. Wir brauchen das Engagement der jungen Menschen und der Zivilgesellschaft. Aber jeder Einsatz für den Klimaschutz muss im Rahmen der Gesetze unserer Demokratie bleiben. Klimaprotest darf keine negativen Folgen für andere Menschen haben.

Dieser Artikel erschien zuerst bei morgenpost.de.