Berlin. Klimaaktivisten träumen von einer eigenen Partei, Sahra Wagenknecht von der Linken auch. Eine Partei gründen: Ist das so einfach?

Fast täglich sind die Aktivisten der "Letzten Generation" in den Schlagzeilen. Wegen Blockaden und Klebeaktionen für mehr Klimaschutz, wegen Verhaftungen und Gerichtsprozessen aufgrund dieser Aktionen – und zuletzt wegen Gerüchten um eine mögliche Parteigründung. Auch die Linken-Abgeordnete Sahra Wagenknecht spielt öffentlich mit dem Gedanken, eine eigene Partei zu gründen. Die Linken-Spitze ist darüber stinksauer und droht mit Partei-Ausschluss.

Doch ist es so einfach, in Deutschland eine Partei zu gründen? Was gehört dazu und wie sind die Erfolgsaussichten? Das erklärt Politikwissenschaftlerin Julia Reuschenbach vom Otto-Suhr-Institut in Berlin.

Parteien in Deutschland: Es braucht zur Gründung nur drei Personen

Parteienforscherin Reuschenbach findet die Vorstellung, dass es bald neue Parteien in Deutschland geben wird, gar nicht so abwegig. "Über Parteien findet die Willensbildung statt, und sie gestalten in den Parlamenten die Gesetze mit", sagt sie. Daher seien Parteien effektiv, um politischen Forderungen Ausdruck zu verleihen.

Für die Gründung einer Partei brauche es nur einen Parteivorstand, bestehend aus drei Personen, ein Programm und eine Satzung, was alles dokumentiert werden müsse, erläutert sie. Dazu den Anspruch, "ernsthaft und nachhaltig den politischen Willensbildungsprozess zu gestalten".

Um in einem zweiten Schritt zu Wahlen antreten zu können, werden dann Unterstützungsunterschriften benötigt - und natürlich Geld, um einen Wahlkampf zu finanzieren. Wie schnell eine junge Partei erfolgreich werden kann, zeige die AfD, so Reuschenbach.

Eine Aktion vom Oktober 2022: Aktivisten bringen Tempo-100-Schilder zum Verkehrsministerium.
Eine Aktion vom Oktober 2022: Aktivisten bringen Tempo-100-Schilder zum Verkehrsministerium. © picture alliance / PIC ONE | Stefan Müller

Dass sich die "Letzte Generation" in naher Zukunft institutionalisiert, hält sie allerdings für nicht wahrscheinlich. "Momentan ist die Gruppierung noch sehr jung und hat mehr Chancen als Protestbewegung", sagt sie. Bei einer Parteigründung würde ein wichtiger Teil der Unterstützer verloren gehen, das sich als kritisches Korrektiv gegenüber der aktuellen Politik verstünde.

Zudem habe die Letzte Generation als Protestbewegung größere Freiheiten in der Wahl der Mittel. "Radikalität erzeugt Aufmerksamkeit", so Reuschenbach. Allerdings sollte die Bewegung ihrer Ansicht nach Ziele definieren: Geht es um Aufmerksamkeit? Um Unterstützer für die eigenen inhaltlichen Vorhaben? Davon abhängig braucht es laut Reuschenbach womöglich weitere konstruktive Maßnahmen, um auch im Parlament Unterstützer zu finden.

Letzte Generation: Ziviler Widerstand für den Klimaschutz

Seit Anfang 2022 blockieren die Klimaschutz-Aktivisten immer wieder Straßen, Autobahnen und Flughäfen, spritzen Farbe auf wertvolle Gemälde oder kleben sich an Gebäuden fest. „Die Regierung ignoriert alle Warnungen und befeuert die Klimakrise“, erklärt die Letzte Generation auf ihrer Webseite. Daher sehe man sich gezwungen, mit Störaktionen zivilen Widerstand zu leisten.

"Klimaterroristen" ist Unwort des Jahres 2022

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    Wegen der kompromisslosen Aktionen häufig als chaotisch und extremistisch beschimpft, wenden sich die Aktivisten mit ihren Forderungen allerdings explizit an die Regierung und wollen auf die Gesetzgebung einwirken. Das fordert die Letzte Generation:

    • ein Tempolimit von 100 km/h auf deutschen Autobahnen
    • ein dauerhaftes 9-Euro-Ticket
    • einen Gesellschaftsrat aus Bürgerinnen und Bürgern. Er soll Maßnahmen erarbeiten, um die Nutzung fossiler Energien wie Öl, Gas und Kohle schnellstmöglich zu beenden, spätestens 2030. Die Maßnahmen sollen in Gesetze münden.

    Bei dieser Aufstellung soll es wohl zunächst auch bleiben. Dass man eine eigene Partei gründen wolle, sei „so nicht ganz richtig“, stellte die Letzte Generation mittlerweile fest. Die politische Bewegung sei im vergangenen Jahr „explosionsartig angewachsen“ und umfasse viele Tausend Menschen. „Die Idee, eine Partei als Organisationsform zu nutzen, kam im zurückliegenden halben Jahr mehrfach auf und wurde bis heute immer wieder verworfen oder auf Eis gelegt“, erklärte ein Sprecher. Vielmehr brauche es „volksnähere Formen demokratischer Beteiligung“, hieß es in einer Mitteilung.

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    Sahra Wagenknecht: Linke-Vorstand droht mit Parteiausschluss

    Anders sieht es bei Sahra Wagenknecht aus. Seit 2009 Abgeordnete der Linkspartei im Bundestag, ist das Verhältnis zu vielen ihrer Parteigenossinnen und -genossen mittlerweile zerrüttet. Bei der nächsten Bundestagswahl 2025 will sie nicht mehr für die Linke antreten, verkündete Wagenknecht Anfang März. Stattdessen will sie bis zum Jahresende über die Gründung einer neuen Partei entscheiden. Das sei „parteischädigend“ und „respektlos“, kritisierte die Linken-Führung. Doch ist es überhaupt realistisch?

    10.000 Menschen bei Wagenknecht-Kundgebung in Berlin

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      Parteienforscherin Julia Reuschenbach traut Wagenknecht eine Parteigründung durchaus zu. "Ich halte es nicht für unwahrscheinlich, dass Wagenknecht den Schritt wagt", sagt sie. "Der Linken böte es auch eine Chance: nämlich dass deren linke Politik-Inhalte wieder in den Vordergrund rücken und nicht die parteiinterne Zerrüttung." Lesen Sie auch: Reizfigur Sahra Wagenknecht: Hauptsache im Mittelpunkt

      Wagenknecht war zuletzt wegen ihrer Haltung zum Ukraine-Krieg angefeindet worden. "Politik macht sie schon lange nicht mehr für die Linke. Sie arbeitet schon lange auf eigene Rechnung. Ihr Geschäftsmodell ist, gegen die Partei zu hetzen", kritisierte Linken-Vizechefin Katina Schubert. Die Parteiführung hat Wagenknecht im Falle einer Partei-Neugründung mit dem Ausschluss gedroht.

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      Politik in Deutschland: Zwei Drittel der Bürger sind unzufrieden

      Fraglich ist, ob neue Parteien in Deutschland Zuspruch fänden. Fest steht: In Deutschland sind viele Bürgerinnen und Bürger von den etablierten Parteien enttäuscht. Nach dem ersten Jahr der Ampel-Koalition erklärten zwei Drittel der Deutschen, unzufrieden mit der Regierung von Kanzler Olaf Scholz zu sein. In einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts YouGov im Dezember 2022 zeigten sich 66 Prozent eher oder sehr unzufrieden mit der Arbeit des Bündnisses von SPD, Grünen und FDP. Zufriedenheit äußerten nur 26 Prozent.

      Noch schlimmer: Viele Bürgerinnen und Bürger haben nicht nur den Eindruck, dass ihre Interessen von den Parteien nicht ausreichend vertreten werden. Sie zweifeln sogar an der Demokratie in Deutschland. Ein Drittel der Deutschen stimmte in einer Umfrage dem Satz zu: „Wir leben in einer Scheindemokratie, in der die Bürger nichts zu sagen haben.“ Durchgeführt hatte die Umfrage das Institut für Demoskopie Allensbach im April 2022.

      "Politik muss besser kommunizieren", konstatiert Politikforscherin Julia Reuschenbach. "Sonst entsteht Raum für Populismus und Verschwörungstheorien."

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