Berlin. Die Kriminalität in Deutschland steigt, darunter auch die Gewaltdelikte. Das ist kein Anlass zur Sorge – aber zum schnellen Handeln.

Es gibt dieses Bild des verängstigen Deutschen vor den Kriminellen. Immer wieder bekommt es Futter durch Krimi-Serien, Dokumentationen über Organisierte Banden und Serienkiller, oder Berichte über schwere Straftaten - wie jüngst den Amoklauf in Hamburg. Dieses Bild ist ein Klischee. Es stimmt nicht.

Ob Diebstahl, Raub oder Körperverletzung – noch nicht einmal jeder Fünfte fürchtet sich davor, Opfer einer Straftat zu werden. Die Versicherung R+V erhebt die Daten zur Angst der Deutschen seit vielen Jahren, es sind wichtige Umfragen, weil sie einen Zeitraum seit Beginn der 1990er-Jahre abdecken.

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Und: Die Angst vor Kriminalität liegt regelmäßig sehr weit hinten. Viel mehr fürchten sich Menschen in Deutschland vor steigenden Lebenshaltungskosten, vor Wohnungen, die sie nicht mehr bezahlen können, vor schlechter Wirtschaftslage und hohen Steuern. Auch krank zu werden, ist eine Angst, die viele umtreibt. Nicht aber der Diebstahl oder Wohnungseinbruch.

Wir müssen das wissen, wenn wir jetzt wieder über gestiegene Kriminalität reden. Am Donnerstag hat Innenministerin Nancy Faeser die Zahlen der Polizeilichen Kriminalstatistik für 2022 vorgestellt. Die Straftaten sind gestiegen – das erste Mal seit mehreren Jahren. Um gut zehn Prozent. Und selbst im Vergleich zur Zeit vor der Pandemie ist ein leichter Anstieg zu erkennen. Auch die Gewalt wächst.

Politischer Redakteur Christian Unger
Politischer Redakteur Christian Unger © Reto Klar | Reto Klar

Die Meldungen von sexuellem Missbrauch gegen Kinder, Anfeindungen und Übergriffe gegen Frauen sind ebenso in die Höhe geschossen wie die registrierten Delikte bei Attacken gegen Feuerwehrbeamte, Rettungskräfte und Polizisten. Diese Trends müssen Polizei und Politik ernstnehmen.

Krisen üben Druck auf Menschen aus – führt das zu Kriminalität?

Die Gründe für einen Anstieg dieser Gewaltkriminalität sind vielfältig. Nicht immer wächst die Zahl der Täter, sondern nur die Zahl der Anzeigen der Betroffenen bei der Polizei. Wir tolerieren Gewalt in unserem Umfeld viel weniger als noch vor zwei, drei Jahrzehnten. Und das ist gut so.

Zugleich: Das Klima in dieser Gesellschaft wird rauer. Weil auch die Weltlage rauer wird: Krieg in der Ukraine, Pandemie, hohe Energiepreise, der Wandel des Klimas. Es gibt keine Studien, die belegen, dass diese Krisen die Kriminalität ansteigen lassen. Doch es ist eine plausible These.

Schärfere Gesetze und höhere Strafen verhindern selten Kriminalität. Was Täter abschreckt, sind dagegen schnelle Urteile der Justiz – nicht erst Jahre nach der Tat. Da muss Deutschland besser werden. Viele Gewalttäter sind jung. Was diesen Menschen hilft, sind Perspektiven: auf dem Arbeitsmarkt, in ihrer Freizeit. Wer tagsüber einen Job hat, abends im Fitnessstudio trainiert, hat keinen Kopf für Raub oder Raufereien. Deutschlands soziale Infrastruktur aber wurde über Jahre abgebaut, kaputtgespart, vernachlässigt.

Deutschland wird langfristig sicherer, Gewalt ist deutlich zurückgegangen

Das rächt sich. Vor allem jetzt, wo immer mehr Menschen hier leben, die aus Krisengebieten und Kriegsregionen geflohen sind. Sie haben oft Gewalt erlebt, Gewalt erlernt. Sie brauchen nicht nur Härte der Justiz, sondern auch Hilfe. Für manche von ihnen ist Kriminalität zur Karriere geworden. Nicht immer wirken Aussteigerangebote. Manche wird Deutschland abschieben müssen.

Die gestiegene Kriminalität muss ein Alarmsignal sein. Aber kein Grund zum Alarmismus. Deutschland ist – im Vergleich zu den Jahren 2000 oder 2010 – sicherer. Die Straftaten sind zurückgegangen, auch die Gewaltdelikte. Angst vor einem Land, das in Kriminalität versinkt, muss niemand haben. Aber wir wissen ja: Die Deutschen haben ganz andere Sorgen.