Berlin. Viele Menschen fliehen derzeit aus der Türkei in die EU. Wer hier abgelehnt wird und zurück in die Türkei kommt, dem kann Haft drohen.

Ein Regime um Präsident Erdogan, das politische Gegner und Aktivisten verfolgt, eine rigorose Flüchtlingspolitik und zugleich eine explodierende Inflationsrate – all das sind offenbar Ursachen dafür, dass immer mehr Menschen aus der Türkei in Richtung Europäische Union fliehen.

Die Zahl der Asylsuchenden aus der Türkei ist in der EU stark angestiegen. Allein im vergangenen November haben nach vorläufigen Angaben der Asylagentur der Europäischen Union (EUAA) 8342 türkische Staatsangehörige in der EU einen Antrag auf Schutz, so viel wie in keinem anderen Monat des vergangenen Jahres. Insgesamt stellten von Januar bis November 2022 demnach mehr als 46.000 Personen Asyl in der EU, teilte die Behörde auf Nachfrage unserer Redaktion mit.

In Deutschland stellten 2022 knapp 24.000 Türken einen Erstantrag auf Asyl

Das sind mehr als doppelt so viele wie im Jahr 2021, in dem es insgesamt gut 22.000 türkische Staatsangehörige waren. Die endgültigen Zahlen der EU-Behörde für 2022 werden derzeit noch ausgewertet.

Ein Mann aus Syrien mit seinen Kindern. Die Regierung um Präsident Erdogan fällt zunehmend mit flüchtlingsfeindlicher Politik auf. Bald stehen Wahlen in dem Land an.
Ein Mann aus Syrien mit seinen Kindern. Die Regierung um Präsident Erdogan fällt zunehmend mit flüchtlingsfeindlicher Politik auf. Bald stehen Wahlen in dem Land an. © AFP | RAMI AL SAYED

Nach Menschen aus Syrien und Afghanistan sind Staatsangehörige aus der Türkei die drittgrößte Gruppe der Antragsteller in der EU. Auch in Deutschland stellten 2022 knapp 24.000 Türkinnen und Türken einen Erstantrag auf Asyl, mehr als dreimal so viel wie 2021. Nur ein Teil der Asylsuchenden bekommt einen Schutztitel, viele sind ausreisepflichtig. EU-weit betrug die Anerkennungsquote für einen internationalen Schutztitel bei türkischen Staatsangehörigen laut EUAA im November 2022 rund 30 Prozent.

Nach Angaben der Bundesregierung verlangen die türkischen Behörden bei Fällen von Personen, die aus Deutschland in die Türkei abgeschoben werden sollen, eine Vielzahl an Dokumenten und Informationen über die jeweiligen Personen.

Linke fordert: „Die Datenübermittlungen müssen sofort gestoppt werden“

Der Bundesregierung ist nach eigenen Angaben bekannt, dass türkische Auslandsvertretungen neben den im Rücknahmeabkommen zwischen EU und Türkei vorgeschriebenen personenbezogenen Daten sowie Gesundheitsdaten und Sicherheitsmaßnahmen „auch Informationen zum Grund der Rückführung (Ausreisepflicht), die Daten der Ersteinreise nach Deutschland sowie der Entscheidung zur Ausreisepflicht“ verlangen würden, heißt es in einer Antwort des Bundesinnenministeriums auf Anfrage der Linksfraktion, die unserer Redaktion vorliegt.

Auch Angaben darüber, ob eine Person in Deutschland in Haft sitzt, würden gegebenenfalls angefragt. Sofern die Weitergabe der Informationen nach dem Aufenthaltsgesetz zulässig ist und der Bund für die Abschiebung zuständig ist, würden solche Informationen den türkischen Behörden auch mitgeteilt. In der Regel sind allerdings die Bundesländer für die Organisation der Abschiebungen zuständig.

Kurden demonstrieren in Paris. In vielen Metropolen Europas suchen Aktivistinnen und Aktivisten Schutz. Auch in Deutschland.
Kurden demonstrieren in Paris. In vielen Metropolen Europas suchen Aktivistinnen und Aktivisten Schutz. Auch in Deutschland. © imago/Le Pictorium | Sadak Souici / Le Pictorium

Die Linksfraktion übt an der Praxis der Informationsweitergabe von deutschen an türkische Behörden scharfe Kritik. „Die genannten Informationen betreffen allein das Verhältnis der ausreisepflichtigen Person zur Bundesrepublik Deutschland – für deren Weitergabe an die türkischen Behörden gibt es keinerlei Rechtsgrundlage“, sagte die fluchtpolitische Sprecherin der Linken, Clara Bünger, unserer Redaktion. „Die Datenübermittlungen müssen daher sofort gestoppt werden.“ Bund und Länder müssten „dafür Sorge tragen, dass in den zuständigen Behörden klar ist, dass sensible Informationen aus dem Asylverfahren nicht in die Hände potenzieller Verfolgerstaaten geraten dürfen“, hob Bünger hervor.

Türkei: „Verschlechterung der Demokratie, des Rechtsstaats und der Grundrechte“

Menschenrechtsorganisationen und linke Politikerinnen und Politiker wiesen in der Vergangenheit immer wieder auf die Gefahr hin, dass türkischen Staatsangehörigen nach ihrer Abschiebung aufgrund von politischen Äußerungen oder Tätigkeit in der Opposition inhaftiert würden. Das betreffe vor allem kurdische Aktivisten. Auch Berichte der EU-Kommission sind besorgt über die „Verschlechterung der Demokratie, des Rechtsstaats und der Grundrechte“ in der Türkei.

Die Bundesregierung hob hervor, dass bestimmte sensible Dokumente nicht durch den Bund an die türkischen Behörden übermittelt würden. „Der Bundesregierung ist nicht bekannt, dass türkische Auslandsvertretungen den vollständigen Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge verlangen. Nach Kenntnis der Bundesregierung verlangen die türkischen Auslandsvertretungen in der Regel keine Gerichtsurteile“, heißt es von Seiten des Bundesinnenministeriums.