Berlin. Ukraine und Russland zählen zu den großen Getreideexporteuren. Die Preise steigen bereits stark. Was das für die Versorgung heißt.

Der Krieg in der Ukraine wirkt sich auch auf die weltweite Versorgung mit Getreide aus. Sollten die Lieferungen aus Russland und der Ukraine ins Stocken geraten, droht vor allem ärmeren Ländern eine Verschärfung der Hungersnot.

Die teure Energie und mögliche Lieferengpässe treiben schon jetzt die Preise in außergewöhnliche Höhen. Alle wichtigen Fragen und Antworten dazu gibt unsere Redaktion.

Wie wichtig sind Russland und die Ukraine als Weizenlieferanten?

Russland produziert rund 10 Prozent, die Ukraine rund 4 Prozent der weltweiten Weizenproduktion. Beide Staaten zählen zu den größten Exporteuren bei Getreide: Russland ist mit einem Anteil von rund 17 Prozent weltweit der größte Weizenexporteur, die Ukraine ist für rund 12 Prozent der Weizenexporte verantwortlich – und damit liefern die beiden Staaten zusammen mehr als ein Viertel des gehandelten Weizens, so das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL).

Durch die Kriegshandlungen sind derzeit die Schwarzmeerhäfen blockiert. Geschätzt 25 Millionen Tonnen Weizen und Mais aus der letzten Ernte können deshalb nicht verschifft werden. „Die Ukraine hat bekannt gegeben, ihre Häfen für die Dauer der russischen Invasion geschlossen zu halten. Man muss davon ausgehen, dass in nächster Zeit kaum nennenswerte Anteile an ukrainischem Weizen exportiert werden können“, sagte Carsten Fritsch, Rohstoffanalyst der Commerzbank, unserer Redaktion.

Wen könnten die hohen Weizenpreise besonders treffen?

Die Hauptimporteure von Weizen sind vor allem die Länder Nordafrikas, die Türkei, sowie asiatische Länder, aber auch Syrien. „Wir gehen davon aus, dass die Einschränkungen der Getreideversorgung aus Russland und der Ukraine zu massiven Engpässen in Nordafrika und Arabien führen werden.“, sagt Bauernpräsident Joachim Rukwied unserer Redaktion. „Wir müssen alles daran setzen, dass andere Regionen, insbesondere auch die EU hier einspringen.“

Ukraine-Krieg: Wie stark steigen die Weizenpreise?

Der Weizenpreis ist zuletzt in die Höhe geschossen. An der Chicagoer Terminbörse CBOT hat sich der Preis seit seinem Tief vor rund einem Jahr mehr als verdoppelt – auf zuletzt knapp 1300 US-Cent je Scheffel (rund 27 Kilogramm). In Paris wurde die Tonne Weizen zuletzt sogar in der Spitze mit mehr als 424 Euro gehandelt – vor einem Jahr lag die Tonne noch unter 230 Euro.

Allerdings könnten die Preise nun ihre vorläufige Spitze erreicht haben. „Die Nachfrage reagiert auf die hohen Preise. Es spricht einiges dafür, dass der Spielraum für weitere Preisanstiege geringer wird“, sagt Rohstoffanalyst Fritsch. Viele Risiken seien mittlerweile eingepreist, glaubt auch Gabor Vogel, Rohstoffanalyst der DZ Bank. Aber: „Mit jeder weiteren Eskalation kann der Preis steigen“, sagte Vogel unserer Redaktion.

Die Ukraine gilt als „Kornkammer Europas“. Hier wird Weizen auf einem Feld nahe der Großstadt Chernihiv gemäht.
Die Ukraine gilt als „Kornkammer Europas“. Hier wird Weizen auf einem Feld nahe der Großstadt Chernihiv gemäht. © AFP | Anatolii Stepanov

Wie versorgen sich Deutschland und die Europäische Union?

Deutschland und die Europäische Union können ihren Weizenbedarf durch die eigene Produktion decken. Der Selbstversorgungsgrad liegt in Deutschland laut BMEL sogar bei über 100 Prozent – bei Weizen lag er im Erntejahr 2020/21 bei 108 Prozent. „Die Versorgung innerhalb der EU ist daher nicht gefährdet“, sagt Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir (Grüne). Die EU ist zugleich auch ein wichtiger Weizenexporteur, vorausgesetzt es stehen im Frühjahr genügend Düngemittel zur Verfügung, meint der Bauernverband.

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Getreide: Wie groß sind die Vorräte?

Deutschland hat staatliche Notvorräte angelegt – auch für Lebensmittel. Dazu zählt auch Getreide wie Weizen, Roggen und Hafer. Im Krisenfall soll aus dieser „Bundesreserve Getreide“ vor allem Mehl für Brot hergestellt werden. Zuständig für die Bevorratung ist die Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung (BLE).

Bislang kam es noch nicht zum Einsatz staatlicher Nahrungsmittelnotvorräte. Insgesamt gibt es 150 Lager in Deutschland, darunter auch zahlreiche Getreidesilos. Die Standorte werden aus Sicherheitsgründen jedoch geheim gehalten.

Müssen auch Verbraucher mit steigenden Preisen rechnen?

Davon ist auszugehen. „In Europa werden sich die Landwirte am Weltmarktpreis orientieren und versuchen, selbst Weizen zu exportieren“, sagt Rohstoffanalyst Vogel. Dadurch müssten Verbraucher auch hierzulande mehr Geld für Getreideprodukte ausgeben.

Doch dabei dürfte es nicht bleiben, auch andere Lebensmittel werden wohl teurer. Die Düngemittelpreise sind nach oben geschnellt, auch Saatgut wird immer teurer. Auch der Bauernverband rechnet daher mit steigenden Preisen.

Droht eine weltweite Hungerkrise?

Bundesentwicklungsministerin Svenja Schulze (SPD) befürchtet neue Hungersnöte im Zuge des Krieges. „Einzelne Länder diskutieren jetzt Exportstopps. Solche zusätzlichen Bedrohungen der weltweiten Agrarmärkte müssen unbedingt vermieden werden, sonst drohen weitere Hungersnöte“, sagte Schulze unserer Redaktion. Die Nahrungsmittelpreise seien schon vor dem Krieg hoch gewesen, nun sei der Markt zusätzlich verunsichert.

Die wichtigsten Abnehmerländer für ukrainischen Weizen sind Ägypten und Indonesien. Viele arme Länder wie etwa der Libanon, Syrien oder Somalia sind ebenfalls auf den Weizen angewiesen. „Das Material geht dorthin, wo der Preis am höchsten ist. Das dürfte in Regionen, in denen man sich diese Preise nicht mehr leisten kann, zu Engpässen führen“, sagt DZ-Bank-Analyst Gabor Vogel.

Diese Engpässe könnten dramatische Folgen haben. „Es ist zu befürchten, dass es in einigen Abnehmerländern, die sich die derzeitigen Preise nicht mehr leisten können, zu Unruhen kommt“, sagte Commerzbank-Analyst Fritsch.

Das Welternährungsprogramm (WFP) der Vereinten Nationen erwartet eine Verschärfung der Hungerkrisen weltweit. Rund 285 Millionen Menschen seien derzeit vom Hunger bedroht, 45 Millionen stünden kurz vor einer Hungersnot, teilte WFP-Direktor David Beasley jüngst mit. Die Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der UN (FAO) warnt vor einer globalen Hungerkrise und vor explodierenden Lebensmittelpreisen im Westen. „Das Menschenrecht auf angemessene Ernährung wird für Millionen Menschen in fahrlässiger Weise bedroht“, warnt die Welthungerhilfe.

Frauen in Syrien verteilen Brotfladen in Schulen.
Frauen in Syrien verteilen Brotfladen in Schulen. © AFP | FADEL SENNA

Wie gefährdet sind die nächsten Ernten, weil derzeit in der Ukraine nicht gesät werden kann?

„In der Ukraine wird es dazu kommen, dass Teile der Ernte verderben oder neuer Weizen gar nicht erst ausgesät wird“, sagt Rohstoffanalyst Vogel. Ukrainische Landwirte könnten keinen Weizen mehr exportieren, zugleich seien die Lagerkapazitäten endlich.

Auch Russland wird Probleme haben, seinen Weizen außerhalb des eigenen Landes zu verkaufen. „Russland wird versuchen, seinen Weizen über China abfließen zu lassen“, meint Vogel. Das russische Agrarunternehmen Sovecon senkte jüngst seine Prognose für die Weizenexporte im laufenden Erntejahr um 800.000 Tonnen, Erwartet wird, dass Russland noch 33,5 Millionen Tonnen Weizen exportieren kann – eine Einschätzung, die wohl zu optimistisch sein dürfte. „Sie beinhaltet kaum eine Beeinträchtigung der russischen Weizenexporte“, sagte Rohstoff-Analyst Carsten Fritsch. „Selbst wenn der Export über das Schwarze Meer wieder möglich ist, ist derzeit kaum ein Schiff bereit, die russischen Häfen anzufahren. Banken weigern sich, die Ladungen zu finanzieren und Versicherungen, diese zu versichern.“ In eine solchen Situation sei mit einer deutlichen Beeinträchtigung des Exports zu rechnen.

Warum sind Dünger so teuer?

Die stark gestiegenen Energiekosten treiben auch die Preise für Düngemittel extrem in die Höhe und haben sie bereits mehr als verdreifacht, da für ihre Produktion auch Gas erforderlich ist, berichtet der Bauernverband. Bei Düngemitteln komme es bereits zu ersten Versorgungsengpässen oder Ausfällen. In beschränktem Maße könnten Landwirte auf Gülle und Gärreste ausweichen, deren Transport jetzt sogar über weitere Entfernungen lohne.

Die G7-Agrarminister planen ein Treffen zur Ernährungssituation – welches sind die Ziele?Die Agrarminister der G7-Industriestaaten treffen sich am Freitag auf Einladung von Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir (Grüne) zu einem außerordentlichen, virtuellen Treffen. Dabei sollen die Folgen des Ukraine-Krieges für die globale Ernährungssicherheit analysiert und Maßnahmen zur Stabilisierung der Märkte erörtert werden. „Putins Krieg gefährdet die Ernährung von Menschen weltweit“, sagte Cem Özdemir.

Die Versorgung mit Lebensmitteln in Deutschland und der EU sei zwar gesichert, „jedoch ist mit größeren Versorgungsengpässen in einigen Ländern außerhalb der EU zu rechnen – vor allem dort, wo heute schon Nahrungsknappheit etwa aufgrund von Dürren herrscht.“ Zu dem Treffen sind auch der ukrainische Landwirtschaftsminister sowie relevante internationalen Organisationen – wie die EU-Kommission, FAO, AMIS, OECD und WFP – eingeladen.

Was fordern Verbände und Organisationen?

Der Deutsche Bauernverband fordert bereits seit Längerem, „Ernährungssicherung und Klimaschutz als Staatsziele ins Grundgesetz aufzunehmen“. Damit sei verbunden, „alles politisch Notwendige zu tun, um zum einen die Selbstversorgung in der EU langfristig sicherzustellen und auch gegebenenfalls Ausfälle in anderen Regionen auszugleichen“. Deutschland und die EU hätten die Möglichkeit, auch Defizite an anderen Stellen in der Welt auszugleichen.