Berlin. Die Wirtschaft stemmt sich weiter gegen das Abschalten der Atomkraftwerke. Doch ihre Argumente werden von Energieexperten widerlegt.

Die deutsche Wirtschaft stemmt sich weiter gegen den bevorstehenden Atomausstieg. "Wir gehören zu den ganz wenigen Nationen in der Welt, die aussteigen, während andere Länder teilweise massiv in die Atomkraft investieren. Da stellt sich die Frage, warum wir gegen jedes Kalkül handeln", sagte Markus Jerger, Vorstand der Bundesvereinigung Der Mittelstand (BVMW) dieser Redaktion.

Da sich Deutschland aus Sicht des Mittelstands immer noch in einem Versorgungsnotstand befinde, "ist der Verzicht auf die Atomkraftreserve nicht sinnvoll". Umso wichtiger sei es jetzt "die Versorgungssicherheit und vor allem Bezahlbarkeit von Strom im Auge zu behalten".

Der Atomstrom war bisher relativ günstig und insbesondere der versorgungssicherste", sagte Jerger. Aktuell habe Deutschland weltweit die höchsten Energiepreise. "Und manche Branchen gehen deshalb auf den Knien. Einige unserer Mitglieder haben die Strompreise bereits in den Ruin getrieben", mahnte der Mittelstandschef.

Kritisiert die vollständige Abkehr von der Atomenergie und warnt vor gravierenden Folgen für den deutschen Mittelstand: Markus Jerger, Bundesgeschäftsführer des Bundesverbands mittelständische Wirtschaft.
Kritisiert die vollständige Abkehr von der Atomenergie und warnt vor gravierenden Folgen für den deutschen Mittelstand: Markus Jerger, Bundesgeschäftsführer des Bundesverbands mittelständische Wirtschaft. © BVMW | C. Kruppa

Atomkraft: "Deutschland kann Werke problemlos abschalten"

Auch die Industrie- und Handelskammer (DIHK) warnt vor Versorgungsengpässen und steigenden Energiepreisen. "Trotz gesunkener Gaspreise bleiben die Energiekosten für die meisten Betriebe in Deutschland hoch", kritisierte DIHK-Präsident Peter Adrian in der "Rheinischen Post".

Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck bezeichnet den geplanten Ausstieg als unumkehrbar. Mit Verweis auf die hohen Füllstände in den Gasspeichern, neue Flüssiggasterminals und erneuerbare Energien versicherte der Grünen-Politiker gegenüber dieser Redaktion, dass die Energieversorgung gewährleistet sei.

Ausstieg aus der Atomkraft: FDP-Vize Kubicki nennt Entscheidung "dramatischen Irrtum"

Ganz anders sieht FDP-Vize Wolfgang Kubicki das Thema. Er verschärft die Kritik seiner Partei zum Atomausstieg zum 15. April 2023 noch einmal. "Die Abschaltung der weltweit modernsten und sichersten Atomkraftwerke in Deutschland ist ein dramatischer Irrtum, der für uns noch schmerzhafte ökonomische und ökologische Konsequenzen haben wird", sagte Kubicki dieser Redaktion. "Wer auf Kohlekraft setzt, während weltweit CO2-arme Atomkraftwerke geplant und gebaut werden, darf sich weder auf die Vernunft noch auf die Wissenschaft berufen."

Die Energieexpertin des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) weist dagegen die Warnungen vor einer Gefährdung der Versorgungssicherheit zurück. "Die derzeit noch laufenden restlichen drei Atomkraftwerke produzieren weniger als fünf Prozent der Stromerzeugung in Deutschland", sagte Claudia Kemfert dieser Redaktion. "Wir können in Deutschland problemlos die restlichen Atomkraftwerke abschalten, ohne dass die Lichter ausgehen."

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Atomkraft: Energieexpertin sieht keine Blackout-Gefahr

Dies wäre auch schon zu Jahresbeginn möglich gewesen, so Kemfert: "Der letzte Winter hat gezeigt, dass die Gefahr eines Blackouts nie bestand." Weder sorge der geringe Beitrag der Stromproduktion durch Atomkraftwerke für sinkende Strompreise noch für sinkende Emissionen, so die Wissenschaftlerin.

Der Neubau von Kraftwerken dauere nicht nur Jahrzehnte, sondern sei enorm teuer und ohne staatliche Subventionen nicht finanzierbar. Auch die nun versprochene angeblich neue Atomtechnik von kleinen Reaktoren entpuppe sich bei näherem Hinsehen als "Fata Morgana".

Für den Ausstieg sprechen ihr zufolge unter anderem die hohen Kosten der Technologie: Rechne man externe Kosten wie Neubau und Endlagerung ein, sei Atomstrom extrem teuer. "Atomenergie macht nur Verluste und muss staatlich subventioniert werden. Erneuerbare Energien und Windstrom sind deutlich billiger." Daher sollte das Kapitel des Betriebs von den restlichen drei Atomkraftwerken endlich geschlossen werden.

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