Hamburg. Dreimal pro Woche spricht Markus Lanz mit seinen Gästen über aktuelle Themen. So erfolgreich lief es für den Moderator nicht immer.

Er gilt als „Deutschlands härtester Talkmaster“: Markus Lanz. Wie wurde der Mann, der unter schwierigsten Verhältnissen in Südtirol aufgewachsen ist, so erfolgreich? Was macht er anders als seine Kolleginnen und Kollegen? Wer ist dieser Markus Lanz?

Lars Haider, Chefredakteur des „Hamburger Abendblatts“, hat für sein Buch „Das Phänomen Markus Lanz“ mit 50 Politikern, Wissenschaftlern, Journalisten und Weggefährten über den Südtiroler gesprochen. Heute startet eine elfteilige Serie mit Einblicken in Lanz’ Leben und Karriere. Teil 1:

Markus Lanz: Wandlung im deutschen Fernsehen

„Markus Lanz ist ein Symptom unserer gesellschaftlichen Verhältnisse: Er kann nicht zwischen wichtig und unwichtig unterscheiden. Aber warum müssen wir ihm dabei zusehen?“ (Frankfurter Allgemeine Zeitung, 2012)

„Im verwirrenden Dauerfeuer der Verlautbarungen und Verordnungen des Corona-Jahres 2020/21 sorgten die abendlichen Gesprächsrunden mit Markus Lanz und seinen Gesprächspartner/-innen für Aufklärung, Einordnung und Orientierung. Ein wichtiger Beitrag zum gesellschaftlichen Diskurs, vor allem in Zeiten des Lockdowns.“ (Jury des Deutschen Fernsehpreises, 2021)

Wenige Wochen nach Beginn der Corona-Pandemie im Frühjahr 2020 beschloss mein Nachbar, später ins Bett zu gehen. Das Licht in seinem Wohnzimmer brannte plötzlich oft bis nach Mitternacht, und der Fernseher lief.

„Was guckst du denn noch so spät?“, fragte ich.

„Ich gucke 'Markus Lanz'“, sagte der Nachbar.

„Du guckst 'Markus Lanz'? Ich dachte, du kannst den nicht ausstehen, weil er seine Gäste nie ausreden lässt und immer so aggressiv auf dem Stuhl hin und her rutscht.“

„Das war früher. Heute ist er der Einzige, der wirklich nachfragt. Der lässt keinen entkommen, und die meisten Leute, die er einlädt, haben wirklich etwas zu sagen. Hast du gestern 'Lanz' gesehen?“

Markus Lanz nach der Aufzeichnung seiner gleichnamigen Talkshow im ZDF.
Markus Lanz nach der Aufzeichnung seiner gleichnamigen Talkshow im ZDF. © IMAGO / APress

Dies ist die Geschichte einer Wandlung, wie es sie im deutschen Fernsehen nicht oft, vielleicht nie gegeben hat. Es geht um einen Mann und seine Sendung, die beide viele Jahre nicht ernst genommen wurden, und das ist höflich formuliert.

Die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“, oben bereits zitiert, schrieb 2013: „Er ist kein Tribun, kein Princeps, er fällt kein Urteil und will am Ende mit allen noch ein Bier trinken können. Keinen Streit, nicht mal eine Kontroverse hält er aus. (...) Dass es mal ungemütlich wird und man wirklich Argumente liefern muss, braucht in seiner Sendung niemand zu fürchten.“

Markus Lanz: Lob und Kritik seiner Lebensbegleiter

Markus Lanz war gerade dabei, „Wetten, dass ...?“, das letzte Lagerfeuer der TV-Nation, auszutreten, seine eigene, nach ihm benannte Talkshow war, nun ja, genau das: eine Talkshow wie viele andere, Unterhaltung halt, man zappte mal rein und dann wieder raus, und niemand wäre auf die Idee gekommen, am nächsten Tag den Arbeitskollegen, die Freundin oder eben den Nachbarn zu fragen, ob sie gestern Markus Lanz gesehen haben.

Ein gutes Jahrzehnt später brennt das Lagerfeuer wieder, und es ist ausgerechnet Markus Lanz, der es angezündet hat. Micky Beisenherz, selbst Moderator, nannte ihn in der „Süddeutschen Zeitung“ „Deutschlands schönste Grillzange“, was alte Vorurteile gegenüber Lanz bediente, aber nett gemeint war. Denn spätestens Ende 2020 war er als Fragesteller bei Politikerinnen und Politikern auf einmal so gefürchtet und geachtet wie Marietta Slomka vom „heute journal“.

Markus Lanz soll mit RTL intensiv über eine Rückkehr zum Privatsender verhandelt haben. (Archivfoto)
Markus Lanz soll mit RTL intensiv über eine Rückkehr zum Privatsender verhandelt haben. (Archivfoto) © Georg Wendt/dpa

„Ich finde, dass Markus Lanz inzwischen die beste politische Talkshow macht. Es gibt keine Gefälligkeitsfloskeln, man geht nicht nett miteinander um, ich muss einen Test bestehen als Politiker. Und das mache ich immer wieder gern“, sagt der SPD-Vorsitzende Lars Klingbeil, obwohl Lanz ihn besonders oft besonders hart befragte.

Auch dafür erhielt der Moderator, der im ZDF mit seiner Sendung nach wie vor im Bereich Unterhaltung geführt wird, 2021 den Deutschen Fernsehpreis – in der Kategorie Information, vor den Magazinen „Frontal“ und „Panorama“. Giovanni di Lorenzo, Chefredakteur der „Zeit“ und selbst Gastgeber der Talkshow „3 nach 9“, sagte drei Wochen vor der Bundestagswahl im September 2021: „Markus Lanz hat die wirkungsvollste politische Bühne, die es im deutschen Fernsehen gibt.“

Der Podcast, den Lanz ebenfalls im September mit dem Philosophen Richard David Precht startete, verdrängte das Coronavirus-Update des Virologen Christian Drosten von Platz 1 der deutschen Charts. Zuvor hatte bei Markus Lanz das Ende der politischen Karriere des späteren CDU-Kanzlerkandidaten Armin Laschet begonnen, genauso wie der Aufstieg des schrägen Karl Lauterbach. Ohne Lanz (und Twitter) wäre der SPD-Politiker niemals Bundesgesundheitsminister geworden.

Richard David Precht und Markus Lanz sprechen wöchentlich in ihrem Podcast.
Richard David Precht und Markus Lanz sprechen wöchentlich in ihrem Podcast. © ZDF/Christian Bruch

Micky Beisenherz: „Interessanteste politische Talkshow im deutschen Fernsehen“

Micky Beisenherz schrieb, dass es „nicht ganz klar ist, wann exakt sich die Sendung des lange unbeliebten, ja verhassten Markus Lanz zur oft interessantesten politischen Talkshow im deutschen Fernsehen entwickelt hat“. Dass das so ist, ist unbestritten.

Wie ist es dazu gekommen? Wie hat Markus Lanz es geschafft, aus seinen viel kritisierten Schwächen („er fällt seinen Gesprächspartnern immer ins Wort“) viel gelobte Stärken („endlich fragt mal einer nach“) zu machen? Wie ist es ihm gelungen, aus einer Unterhaltungssendung die wichtigste politische Talkshow im deutschen Fernsehen werden zu lassen, und das zu unmöglichen und permanent wechselnden Sendezeiten?

Frank Plasberg, Anne Will, Maybrit Illner und Sandra Maischberger, bisher die großen vier des Politiktalks, haben in der Regel lange Feierabend, wenn Markus Lanz beginnt. Normalerweise ist das irgendwann zwischen 22.45 Uhr und Mitternacht. Anne Will bekommt ihre Zuschauerinnen und Zuschauer vom vorher laufenden Tatort serviert, Maybrit Illner startet direkt nach dem „heute journal“, das passt.

Markus Lanz muss sein Publikum selbst mobilisieren, unter denkbar schwierigsten Bedingungen, weil viele Menschen dienstags, mittwochs und donnerstags kurz vor Mitternacht normalerweise etwas anderes tun, als vor dem Fernseher zu sitzen. Sie schlafen.

Markus Lanz: Das Geheimnis des Moderators

Was ist das Geheimnis von Markus Lanz? Wie haben sich Sendung und Gastgeber in all den Jahren verändert? Und was sagt das über den politischen Diskurs, die Gesprächskultur in unserem Land?

Der US-Digitalexperte Jeff Jarvis warnt schon länger vor einer Situation, in der alle sprechen, aber niemand zuhört. Der Hamburger Autor Carsten Brosda, „nebenbei“ auch Kultursenator der Stadt und Vertrauter von Bundeskanzler Olaf Scholz, griff das auf und sagte: „Es scheint oft nur darum zu gehen, wer lauter, wer zugespitzter und pointierter ist, es gelingt uns nicht mehr, ein öffentliches Gespräch herzustellen. Und damit verändern sich die Grundlagen unserer Demokratie, weil kaum noch jemand weiß, worum wir uns alle kümmern müssen.“

Das ist einer der Punkte, an dem Markus Lanz und sein Chefredakteur und Geschäftspartner Markus Heidemanns ansetzen, wenn sie sagen, dass man in die Sendung keine Gäste einlade, „damit es kracht“, im Gegenteil: „Am Ende geht es darum, den Menschen etwas Substanzielles zu erzählen und die Sendezeit zu nutzen.“ Und ja, es geht auch darum, dass alle, die einschalten, verstehen, was die, die dort sitzen, erzählen.

Das ist für Lanz guter Journalismus. Die nahe liegenden Fragen zu stellen, auch wenn sie vielleicht platt wirken, und sich nicht abschütteln zu lassen von Menschen, die trainiert darauf sind, diese Fragen nicht zu beantworten. „Der Zuschauer kann bei und mit Lanz im Idealfall die eigene Politisierung vorantreiben“, schrieb die „taz“.

Dabei will Lanz als Fragesteller nicht zynisch wirken, sondern zugewandt und empathisch bleiben. Er ist ein Getriebener, einer, für den das ganze Leben eine einzige große Gesprächsrunde ist. Das hat nicht nur mit all den bösen Kritiken der Vergangenheit zu tun, sondern auch mit seiner Kindheit in Südtirol, dem Hin und Her zwischen Deutschland und Italien, zwischen privatem und öffentlich-rechtlichem Fernsehen.

Man muss sich Markus Lanz als zerrissenen Menschen vorstellen, der ausgerechnet in und durch die Corona-Krise dort angekommen ist, wo er immer hinwollte. Und der nach dem Ende der Pandemie mit dem Krieg in der Ukraine ein neues Thema bekam, das ihm erlaubte, genauso weiterzumachen.

Markus Lanz: „Es gibt viel zu besprechen“

Als ich durch einen Zufall selbst als Gast bei ihm eingeladen wurde – ich hatte ein Buch über den neuen Bundeskanzler Olaf Scholz geschrieben, das zu dessen Wahl am 8. Dezember 2021 erschien –, war mir endgültig klar, dass ich mich diesem Mann und seiner Sendung nähern wollte, es, nein, er ließ mich nicht mehr los. Ich bin seit Jahren ein Talkshow-Junkie: Montag „Hart, aber fair“, Donnerstag „Maybrit Illner“, Sonntag „Anne Will“, es musste schon viel passieren, dass ich eine der Sendungen verpasste.

Markus Lanz konnte ich lange nicht ertragen, den seltsamen Gästemix von den Geissens über Bushido bis zu Sahra Wagenknecht, die Art der Moderation, die vielen Ungenauigkeiten, dazu die unchristlichen Zeiten. Ich hatte als Hamburger und Chefredakteur des „Hamburger Abendblatts“ ausgerechnet die einzige Hamburger Talkshow mit wachsendem politischen Anspruch etliche Jahre nicht auf dem Schirm. Ich habe deshalb, anders als mein Nachbar, lange nicht bemerkt, wie sich Markus Lanz entwickelt hat.

Vielleicht wäre es mir, wäre es uns allen ohne die Corona-Pandemie nie aufgefallen. Ohne diese Ausnahmesituation, in der man abends niemanden treffen und sich austauschen konnte, es aber so viel zu besprechen und zu verstehen gab, und ohne den Moment, in dem TV-Sendungen mit Zuschauerinnen und Zuschauern im Studio verboten wurden, was Markus Lanz so gutgetan hat wie keiner anderen Talkshow. Wobei man dort auch mit Abstand am meisten daraus gemacht hat. Lanz braucht niemanden, der ihm applaudiert oder der über ihn lacht, das lenkt ihn eher ab. Er braucht jemanden, mit dem er reden, streiten, diskutieren kann, gern lange. „Ich mag das“, sagt er.

Aber gilt das auch in eigener Sache? Wenige Wochen nach meinem Auftritt schrieb ich ihm eine SMS, dass ich ein Buch über ihn und seine Sendung machen wolle, und fragte, ob wir uns mal treffen könnten. Markus Lanz schrieb nur einen Satz zurück: „Gern treffen, es gibt viel zu besprechen.“

Lars Haider, Chefredakteur des
Lars Haider, Chefredakteur des "Hamburger Abendblatts" hat ein neues Buch geschrieben: "Das Phänomen Markus Lanz". © Axel Heimken/dpa

Das gab es wirklich. Ich habe mir monatelang jeden Tag alte und neue Folgen seiner Sendung angesehen und viele Podcasts von Lanz und Precht angehört. Ich habe für dieses Buch mit etwa 50 Weggefährten, Politikerinnen und Politikern, Journalistinnen und Journalisten, Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern gesprochen, die Lanz gut kennen und/oder bei ihm zu Gast waren. Fast alle, die ich angefragt habe, waren schnell zu einem Gespräch bereit – allein aus den Reihen der CDU und der Grünen kamen ein paar Absagen – und hatten einiges zu erzählen.

Nur einem war das Projekt bis zum Schluss nicht ganz geheuer. Aber alles andere hätte auch nicht zu dem gepasst, was ich inzwischen über Markus Lanz gehört und gelesen habe.

Dieser Artikel erschien zuerst bei morgenpost.de.