Hamburg. Die Talkshow lädt wöchentlich verschiedene Gäste ein. Wer zu „Lanz“ eingeladen wird, wer nicht – und wer von sich aus nicht kommt.

Wenn Markus Lanz Geburtstag hat, gehört Christian Lindner gern zu den Ersten, die gratulieren. Die beiden kennen sich seit Langem, der eine hat die Handynummer des anderen, man duzt sich. Persönlich ist also alles in Ordnung. Trotzdem bekommen Markus Lanz und seine Redaktion vom Vorsitzenden der FDP seit Jahren immer dieselbe Antwort, wenn sie fragen, ob er sich vorstellen könne, in einer der nächsten Sendungen zu Gast zu sein.

Die Antwortet lautet „Nein“ und das liegt daran, dass Lindner schlechte Erfahrungen mit seinen Auftritten gemacht hat (und dass er sich als Bundesfinanzminister inzwischen eine Absage leisten kann). Zuletzt war er im Frühjahr 2018 bei Lanz zu Gast, in einer Sendung, die denk- und merkwürdig zugleich war und die den Politiker darin bestätigte, nicht noch einmal einen Auftritt in einer Talkshow zu haben, die ihn zwei Wochen lang mit Aufräumarbeiten beschäftigen sollte.

Polarisierende „Lanz“-Folge: Diese Gäste waren dabei

Alle vier Gäste, die am 4. April 2018 dabei waren, werden diese Folge nicht vergessen. Die Klimaaktivistin Luisa Neubauer nicht, weil es ihr erster Besuch war und weil sie und die jungen Frauen und Männer bei Fridays for Future nicht einschätzen konnten, was ein Auftritt bei Markus Lanz für sie bedeuten würde (nämlich ziemlich viel).

Die Moderatorin Bettina Tietjen nicht, die eigentlich nur in die Sendung gegangen war, um Werbung für ihr neues Buch über Camping zu machen, und zwischendurch befürchten musste, gar nicht mehr zu Wort zu kommen. Der Schauspieler David Hasselhoff nicht, der plötzlich in einer Art und Weise über Politik sprach, die die Sendung an den Rand eines Eklats brachte.

Und Christian Lindner hat all das nicht vergessen, weil er das Gefühl haben musste, nicht nur, wie offensichtlich geplant, von Lanz und Luisa, sondern auch von diesem Baywatch-Typen in die Zange genommen zu werden, unter lautem Johlen des Publikums und ganz gegen die Absprachen, die man vorher mit der Redaktion getroffen hatte.

David Hasselhoff: Schauspieler attackierte Lindner

In dieser denkwürdigen halben Stunde, in der Hasselhoff Lindner stellvertretend für alle anderen Politiker bepöbelte, Lanz sich ziemlich beömmelte und Tietjen überlegte, wann man denn endlich über Camping sprechen könnte, vollzog sich der Bruch.

Lindner fühlte sich von Lanz, dem Moderator, nicht ausreichend vor den Attacken Hasselhoffs geschützt und nahm es ihm übel, dass er zum zweiten Mal in seiner Sendung ein wenig schmeichelhaftes Video aus seiner Jugendzeit zeigte.

„Es ging ziemlich zur Sache, weil der Hasselhoff auf einmal wahnsinnig politisch wurde, damit hatte keiner gerechnet“, sagt Bettina Tietjen. Luisa Neubauer habe wie eine Tennisspielerin zwischen Lindner und Hasselhoff hin und her geguckt, zwischendurch sei der FDP-Vorsitzende ziemlich sprachlos gewesen.

„Lanz“: Politiker ziehen Konsequenzen aus schlechten Erfahrungen

Es war der Anfang vom Ende der Geschichte von Christian Lindner bei Markus Lanz. Der FDP-Chef ist regelmäßig bei Maybrit Illner und Anne Will zu Gast, zu Lanz kommt er nicht mehr und es ist nicht zu erwarten, dass sich das ändert.

Lindner gehört zu den Politikerinnen und Politikern, die aus den schlechten Erfahrungen, die sie in der Sendung gemacht haben, ihre Konsequenzen gezogen haben, so ähnlich wie der ehemalige CDU-Vorsitzende Armin Laschet oder die Co-Vorsitzende der SPD Saskia Esken.

Sie reagieren auf Einladungen so wenig, wie es Bundeskanzlerin Angela Merkel getan hat. „Was ich sehr schade finde“, sagt Markus Heidemanns. Aber er sagt auch, dass „ein Name noch kein Gast ist“.

Markus Lanz’ Talkshow ist ein Dauerbrenner im ZDF.
Markus Lanz’ Talkshow ist ein Dauerbrenner im ZDF. © imago images | FUTURE IMAGE

Talkshow: Viele Politiker kommen immer wieder – andere nie

Heidemanns ist es, der in der Regel entscheidet, wer zu Markus Lanz eingeladen wird, und er trifft dabei auf drei Gruppen von Politikerinnen und Politikern. Zu der ersten gehören diejenigen, die bewusst auf einen Auftritt in der Sendung verzichten oder nur ungern hingehen. Gruppe zwei umfasst jene, die sehnsüchtig darauf warten, eingeladen zu werden, um etwa von einem einfachen (Bundestags-)Abgeordneten zu jemandem zu werden, der vor einem Millionenpublikum etwas zu sagen hat.

Gruppe drei sind schließlich die Politikerinnen und Politiker, die so etwas wie das Gäste-Gerüst bei Markus Lanz bilden. Männer und Frauen, die sich in der Sendung bewährt haben, denen das Publikum zuhört und die Spaß an den Duellen mit dem Moderator haben. Sie kommen gern wieder, sie werden gern wieder eingeladen und so entsteht über Monate und Jahre etwas wie eine Stammbesetzung.

Wer Markus Lanz, wie ich, ein halbes Jahr intensiv verfolgt, trifft immer wieder dieselben Personen: Robert Habeck und Omid Nouripour von den Grünen, Norbert Röttgen von der CDU, Lars Klingbeil, Kevin Kühnert und Ralf Stegner von der SPD, Sahra Wagenknecht und Gregor Gysi von den Linken, Marie-Agnes Strack-Zimmermann und Alexander Graf Lambsdorff von der FDP.

Sie haben etwas, was sowohl Lanz als auch Heidemanns gefällt, nämlich die Fähigkeit, so zu sprechen, dass es alle verstehen. Vor allem sind sie Gegnerinnen und Gegner auf Augenhöhe für den Gastgeber, sie kennen das Spiel und sie gehen es an.

Markus Lanz: Was für eine Partei hat der Moderator gewählt?

Es stellt sich die Frage, ob sich an der Auswahl dieser politischen Gäste etwas über die politische Haltung beziehungsweise Richtung von Markus Lanz ablesen lässt. Grundsätzlich gilt: Eine Sendung, die den Namen ihres Gastgebers trägt, stößt in Sachen Objektivität per se an ihre Grenzen. Lanz’ Missionen sind schnell erkennbar, es geht ihm um Gerechtigkeit, um das Aufzeigen und Beheben der Schwächen und Fehler des deutschen Systems, das er aus der Sicht eines Italieners lange sehr bewundert hat. Aber weiß man deswegen, wie er politisch tickt?

Wenn man diese Frage Politikerinnen und Politikern aus unterschiedlichen Lagern stellt, erhält man unterschiedliche Antworten, die oft eins gemeinsam haben: Die Betroffenen glauben, dass Lanz ihrer Partei zugeneigt ist, zumindest, wenn sie aus der FDP, der CDU oder von den Grünen kommen. Wer dem Moderator das erzählt, entlockt ihm ein Lächeln, es ist genau diese Unberechenbarkeit und Unabhängigkeit, die er ausstrahlen will.

Dabei kann er bestimmte Abneigungen, etwa die gegen einige linke Positionen, genauso wenig verbergen wie bestimmte Vorlieben, etwa für Politiker wie Robert Habeck. Lanz hat es für einen Fehler gehalten, dass die Grünen nicht ihn, sondern Annalena Baerbock als Kanzlerkandidaten aufgestellt haben, ich erwähnte es bereits, er hätte Habeck zugetraut, dem Bundestagswahlkampf 2021 eine andere Richtung zu geben.

Weil Habeck nicht zur Wahl stand, dürfte Markus Lanz, der neben der italienischen auch die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt, Olaf Scholz und die SPD gewählt haben. Denn es ist kaum vorstellbar, dass er der CDU und ihrem Spitzenkandidaten Armin Laschet, den er selbst in seiner Sendung entzaubert hatte, seine Stimme gegeben hat.

Markus Lanz macht Wahlentscheidungen stark von den handelnden Personen abhängig (und hat den Vorteil, dass er viele von ihnen persönlich kennt), gehört grundsätzlich aber eher in das bürgerliche Lager, was auch deshalb passt, weil Markus Heidemanns, ein ehemaliger Punkrocker, eher ein Linker ist. Auch hier sorgt der doppelte Markus für die nötige Ausbalancierung.

Talkshow: Das Geschlechterverhältnis bei „Lanz“

Dabei spielt zunehmend auch das Geschlecht eine Rolle. Die Sendung von Markus Lanz hat den Nachteil, dass der Moderator, anders als bei Will und Illner, schon ein Mann ist. Nicht nur deshalb achtet man sehr darauf, möglichst viele Frauen einzuladen, sondern auch, weil das ZDF das Geschlechterverhältnis regelmäßig einer Überprüfung unterzieht.

Im ersten Halbjahr 2022 waren 46 Prozent der Gäste bei Lanz weiblich, das ist eine Quote, die dem Sender wenig Anlass zu Kritik gibt und die auch deswegen erreicht wurde, weil Markus Lanz aus journalistischen und Expertenkreisen viele Frauen einlud. Interessanterweise war das, als es um den Krieg in der Ukraine ging, viel leichter als während der Corona-Pandemie, in der die für die Debatte entscheidenden Virologen gerade in der Anfangsphase fast alles Männer waren, von Christian Drosten über Hendrik Streeck bis zu Jonas Schmidt-Chanasit.

Um den Krieg zu beurteilen, boten sich deutlich mehr Frauen an, der Evangelische Pressedienst, kurz EPD, schrieb: „Und da saßen, o Wunder, bei Markus Lanz und Maybrit Illner, bei Frank Plasberg, Sandra Maischberger und Anne Will plötzlich lauter Frauen, manchmal sogar in der Überzahl. Nein, diese Frauen waren nicht nur für die Diskussion von Problemen rund um die Unterbringung von Flüchtlingen oder andere eher humanitäre Fragen eingeladen worden, sondern für die ganz harten Debatten über militärische Einschätzungen, über Strategie und Taktik, über Waffenlieferungen und Waffensysteme, über ökonomische Abhängigkeiten und Verflechtungen, über Eskalation, Diplomatie, Welthandel, Lieferketten und Inflation. Es waren Expertinnen, die da saßen, keine weiblichen Menschen mit Meinung, die die Runde aufhübschen sollten.“ Markus Heidemanns hielt von den Expertinnen sowieso mehr als von den Experten, „sie können einfach besser erklären“.

Markus Lanz: Moderator macht Gäste berühmt

Aber auch in dieser Gästegruppe kristallisierten sich schnell jene raus, die wiederkommen durften, und so entstand hier ebenfalls eine Art Stammbesetzung von Markus Lanz. Der Moderator war und ist stolz, wenn Frauen (und Männer), die bei ihm zu Gast waren und sich gut geschlagen haben, Einladungen in andere Talkshows erhalten.

Er weiß, dass er nicht nur Politikerinnen und Politiker groß machen kann, sondern auch Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler. Einer hat er einmal nach der Sendung, in den bereits erwähnten Besprechungen in der Garderobe, gesagt, dass er sie „berühmt gemacht“ hätte. Das klang etwas gönnerhaft, aber es war die Wahrheit und die Talkshows sind dabei ein selbstreferenzielles System.

Weil jeder auf der Suche nach Gästen ist, die gut erklären und formulieren können, werden die, die es in eine Sendung geschafft haben, gern auch von einer anderen eingeladen. „Wenn sie bei Lanz waren, müssen sie damit rechnen, noch in derselben Woche Anfragen von anderen Talkshows zu erhalten“, sagt etwa Hamburgs Bürgermeister Peter Tschentscher.

Robin Alexander war 2021 häufigster Gast bei „Lanz“

Deshalb ist es nicht verwunderlich, dass die beliebtesten Gäste unabhängig vom Talkshow-Format immer dieselben sind. Die Redaktion des Internetportals Meedia erhebt jährlich, welche Personen aus Politik, Journalismus, Wissenschaft etc. am häufigsten in politischen Talkshows zu sehen waren.

Seit 2020 fließen in diese Auswertungen die Gäste von Markus Lanz ein, auch das ein Zeichen dafür, wann die Sendung endgültig den Sprung unter die relevanten Talkshows geschafft hat. In dem Jahr führte der ZDF-Korrespondent Elmar Theveßen das Lanz-Ranking an, gefolgt von Karl Lauterbach und dem Journalisten Robin Alexander. 2021 war Alexander der Gast mit den meisten Auftritten, vor Lauterbach und Alena Buyx, der Vorsitzenden des Deutschen Ethikrates.

Dass der stellvertretende Chefredakteur der "Welt", also einer Zeitung, die in der nationalen Wahrnehmung im Vergleich mit der FAZ, der "Süddeutschen Zeitung", der "Zeit" und dem "Spiegel" eher eine Nebenrolle spielt, im Fernsehen derart wichtig werden könnte, ist erstaunlich und zeigt einmal mehr, welche Macht die Talkshows haben können. Markus Lanz allen voran. (fmg)

Dieser Artikel erschien zuerst auf morgenpost.de.