Berlin. Der Konflikt zwischen Boomern und den Jüngeren spitzt sich zu. Hajo Schumacher fragt: Kann eine Kooperation der Generationen gelingen?

Zigarettenpause bei einem Medienunternehmen in Berlin. Menschen um die 40 lästern über ihren Vorgesetzten, sein affiges Boss-Gehabe, die alten Thesen, sein digitales Analphabetentum. Ohne ihn, findet die Mannschaft, wäre die Firma erfolgreicher. Aber der Chef will trotz des nahen Ruhestands nicht weichen. „Boomer halt“, raunt eine. Alle nicken.

Boomer – die Chiffre für einen Konflikt, der überall im Land schwelt. Boomer beginnen jeden zweiten Satz mit „früher“, melden wie Thomas Gottschalk (72) stolz, dass sie jetzt auch auf Instagram sind und kommandieren das Land. Parteien, Verwaltungen, Medien, Unternehmen – überall regieren die Babyboomer, Vertreter jener geburtenstarken Wirtschaftswunderjahrgänge bis 1969. Zugleich schwillt das Murren der nachwachsenden Generationen an, die Sozialforscher in X (geboren bis Mitte der 1980er), Y bzw. Millennials (geboren bis Mitte der 1990er) und Z (geboren bis 2010) aufgeteilt haben.

Boomer gegen Millennials: Mehr als nur ein paar Jahre Altersunterschied

Es sind weniger ein paar Jahre Altersunterschied als vielmehr die kulturelle Kluft, die sich durchs Land zieht – so tief wie 1968, als die Flowerpower-Kids aufbegehrten. Auch damals ging es um Umwelt, Konsumkritik, Aufbruch, gegen Spießigkeit, Konventionen und Gemächlichkeit. Ein halbes Jahrhundert später kommen neue Brüche hinzu. Repräsentieren die Boomer die letzte analog sozialisierte Generation, wuchsen die folgenden Generationen mit Atari, Wirtschaftskrisen und digital befeuerter Unsicherheit auf. Boomer setzen auf Selbstentfaltung, der Nachwuchs ringt um Selbsterhaltung.

Während Boomer an ewiges Wachstum glauben, sehen sich die Jüngeren mit einer neuen Aufgabe konfrontiert, so der Soziologe Philipp Staab: Anpassung an eine zunehmend unwirtliche Welt. Wies die Wohlstandskurve der meist festangestellten Boomer stets nach oben, verläuft die Kurve für die Jungen andersrum. Sie hatten eine sorglose Jugend, haben aber eine unsichere Zukunft vor sich: Der Krieg ist zurück in Europa, Klima, Energie, Migration, Bildung, Gesundheit, Soziales – Dauerbaustellen, auf denen kaum etwas vorangeht. Überall wird Altes subventioniert und verteidigt.

Die Jungen aber ahnen: Der satte Normalbetrieb ist Geschichte, Dauerkrise der neue Alltag. Doch als wollten sie wichtigen Debatten mit Getöse ausweichen, erregen sich die Älteren hingebungsvoll über Nebensächliches wie Gender-Kram und Winnetou. Ja, früher, als es noch „Zigeunerschnitzel“ gab, da haben die jungen Leute artig „Danke“ gesagt, anstatt sich festzukleben.

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Die Probleme sind lange bekannt, die Lösungen fehlen noch immer

Autor Hajo Schumacher
Autor Hajo Schumacher © FUNKE Foto Services | Sergej Glanze

Danke? Aber wofür? Dass sich altbekannte Probleme wie Packeis stapeln? Vor über 20 Jahren verkündete die damalige Gesundheitsministerin Ulla Schmidt die elektronische Gesundheitskarte, die Süßmuth-Kommission machte vernünftige Vorschläge zu geregelter Einwanderung, der damalige Wirtschaftsminister Brüderle legte eine Digitalstrategie vor. Vor 50 Jahren skizzierte der Club of Rome die „Grenzen des Wachstums“, aber Deutschlands Solarzellenproduktion ging nach China während die Röhren für Nordstream 2 verlegt wurden – aber kaum Glasfaser. Das von Kanzler Scholz bemühte Deutschland-Tempo hat sich nach dem glimpflichen Winter wieder auf gewohnte Bahn-Geschwindigkeit entschleunigt.

Unerbittlich gesellen sich zum Liegengebliebenen zahllose neue Probleme. Zwischen Erbgewinnern und Erbverlierern tut sich eine gewaltige Gerechtigkeitslücke auf. Während die einen von Geburt an nicht arbeiten müssen, können die anderen schuften so viel sie wollen. Dahin das urdeutsche Versprechen, Fleiß bedeute Aufstieg. Leben, Arbeiten, Demokratie in Zeiten der KI? Kein Thema für die Politik. Renten- und Pflegekrise? Bloß nicht anfassen. Sollen die Nachfolger regeln.

Wie 68 haben Alte und Junge nur eines gemeinsam: das Augenrollen. Adenauers Generation waren die Hippies ähnlich suspekt wie den Boomern heute Klimakleber. Wie damals herrscht heute empörte Sprachlosigkeit. Man redet viel über-, aber selten miteinander. Prototypisch für seine Generation übt sich der Kabarettist Dieter Nuhr (62) in Befremden. Greta, Internet, Vegetarismus: „Ich verstehe das nicht mehr.“ Applaus, Applaus. Bleibt die Frage, ob er die Jungen überhaupt verstehen will. Dieter Bohlen, 69, hat bei DSDS übrigens verlängert.

Alt gegen jung: Der Konflikt spitzt sich zu

Bemerkenswert niveaureduziert auch Mime Til Schweiger, 59, der auf seiner Werbetour für einen Abklatsch des Boomer-Epos „Manta, Manta“ Wirtschaftsminister Habeck rät, „lieber Kinderbücher zu schreiben“. Derweil fordern die Jungen Liberalen, das FDP-Urviech Wolfgang Kubicki, 71, aus der Parteispitze zu entfernen. Das wäre allerdings kurzsichtig. Kubicki ist Identitätsfigur der Generation Manta, die Freiheit vor allem individuell definiert und der FDP die fünf Prozent sichert.

Boomer aller Farben sind sich einig: Die Grünschnäbel sollen sich mal schön anstellen. Was haben Kevin oder Ricarda denn bislang geleistet? Eine Studie zum verkorksten Wahlkampf der NRW-SPD hat ergeben, dass junge Kandidierende systematisch benachteiligt worden seien.

Im Podcast der "Berliner Morgenpost": Hajo Schumacher über das Krisenjahr und die junge Generation

Die Boomer haben halt einen fatalen Vorteil: Sie sind die Mehrheit. Die Hälfte der Bundesbürger marschiert im Schnitt auf die 50 zu, über zehn Millionen Deutsche, zwischen 1960 und 1970 geboren, wollen bald Rente. 2050 finanzieren zwei Arbeitende einen Ruheständler, davon etwa sieben Millionen Pflegebedürftige. Jeder im politischen Berlin weiß, dass das derzeitige System nicht zu finanzieren ist. Doch wer die notwendige Rentenreform anspricht, dem ist nur eines sicher: die Abwahl. Politik wird für die Meisten gemacht, und das sind nicht unsere Kinder.

Statt Kulturkampf: Ein gesellschaftlicher Koalitionsvertrag muss her

Das Problem: Beide Gruppen haben nachvollziehbare Interessen. Die einen wollen Stabilität, Gewohntes, wenig Stress, keine Experimente. Wer allerdings noch 50 Jahre auf diesem Planeten zuzubringen hat, wird ungeduldig. Die einen wollen Reformen, die anderen ihre Ruhe. Ein Dilemma mit Ansage.

Andernorts verschärft sich der Ton bereits. „Was neue Ideen betrifft, sind Menschen über 45 Jahre praktisch tot“, sagt Vinod Khosla, Mitgründer der Softwarefirma Sun Microsystems. Und Meta-Chef Zuckerberg findet, dass „junge Menschen einfach klüger“ seien. Boomer-Ikone Madonna keilt zurück: „Wir leben in einer Welt der Altersdiskriminierung.“

Verbeissen sich Ältere und Jüngere in einem neuen Kulturkampf wie 68? Oder gelingt ein gesellschaftlicher Koalitionsvertrag, lassen sich das Wissen der Alten und die Bedürfnisse der Jüngeren zu etwas Gemeinsamem kombinieren? Ein erster Schritt wäre, die Perspektive der Gegenseite zu akzeptieren. Kompromisse brauchen Verständnis, Teilen, Loslassen. Die kostbare Ressource Vertrauen ist ebenso gefragt wie die gute alte Solidarität. Kooperation oder Konfrontation? Ich oder Wir? Das ist die Metafrage des 21. Jahrhunderts.