Berlin. Julia Köhler fängt von jetzt auf gleich an, stark zu kiffen. Die junge Frau entwickelt eine Psychose – und muss in die Psychiatrie.

Gras legalisieren – ja oder nein? Deutschland ist gespalten in der Frage, ob der legale Status von Cannabis mehr Vorteile oder Risiken birgt. Zentrales Argument der Befürworter: Cannabis sei auch nicht gefährlicher als der legale Alkohol. Tatsächlich kann Cannabis für Konsumenten schwerwiegende Folgen haben – und Menschen aus dem Leben reißen. So wie Julia Köhler*.

Als Julia 14 ist, kifft sie das erste Mal. Der Effekt gefällt ihr nicht, sie konsumiert fast zehn Jahre nicht mehr. Mit 23 raucht sie auf einer Party doch noch einmal Cannabis. Da habe sie gemerkt: „Okay, das macht irgendwie Spaß“, erzählt sie.

Von da an konsumiert sie regelmäßig. Die junge Frau führt ein ausgefülltes Leben. Sie studiert Vollzeit, hat zwei Nebenjobs und einen großen Freundeskreis. Das Gras ist für sie Ventil – eine Flucht aus dem anstrengenden Alltag.

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Je mehr Stress Julia hat oder je unzufriedener sie ist, desto mehr braucht sie das Kiffen. „Für mich war Gras damals die Lösung für meine Probleme. Wenn ich bekifft war, konnte ich alles kurz vergessen und Abstand davon nehmen, meinen Kopf freimachen“, erinnert sie sich.

Das Kiffen entwickelt sich zur Abhängigkeit. Julia kifft bald jeden Tag. An freien Tagen fängt sie schon morgens im Bett an zu rauchen, ansonsten nach der Arbeit oder den Vorlesungen. Ihr Umfeld macht sich Sorgen, spricht sie auf ihren Konsum an.

Cannabis-Abhängigkeit: Eine begrenzte Flucht aus dem Alltag

Die Studentin blockt ab, sieht kein Problem. Doch das ändert sich schlagartig: Sie bekommt eine Psychose. Julia hat Wahnvorstellungen. Sie ist überzeugt, dass sie verfolgt wird, dass alle um sie herum ihre Gedanken lesen können. Sie ist eine Gefahr für sich selbst und wird in eine geschlossene Psychiatrie eingewiesen. Zwei weitere Einweisungen sollen folgen.

Cannabis kann Psychosen auslösen. Julia Köhler entwickelt eine – und wird komplett aus dem Leben gerissen.
Cannabis kann Psychosen auslösen. Julia Köhler entwickelt eine – und wird komplett aus dem Leben gerissen. © iStock/Instants | Unbekannt

Es gibt viele solcher Geschichten. In der Legalisierungsdebatte kommen sie häufig zu kurz. Überwiegen sollen die Vorteile der Entkriminalisierung und des „sicheren“ Konsums. Wie hoch das individuelle Risiko ist, eine Psychose zu entwickeln, können Cannabis-Konsumenten aber in der der Regel nicht einschätzen, erklärt Lena Zerbe, Psychotherapeutin und Leiterin des Entzugskrankenhauses „Count Down“ in Berlin. In ihrer Klinik machen Menschen mit Abhängigkeiten von illegalen Substanzen wie Cannabis einen Entzug.

Wie und warum sich eine Sucht nach Gras entwickelt, sei durch mehrere Faktoren bedingt, sagt Zerbe. „Die Gründe für die Entwicklung einer Abhängigkeit sind unterschiedlich, viele nutzen es aber, um mit Anspannung oder Frustration umzugehen“. Auch im „Count Down“ werden Patienten mit drogen-induzierten Psychosen behandelt. Nur hoch akut psychotische oder eigen- und fremdgefährdende Patienten behandle man in der Klinik nicht. In diesen Fällen würde man andere Behandlungsmöglichkeiten in Krankenhäusern empfehlen, so Zerbe.

Julia braucht drei Psychiatrie-Aufenthalte, um zu genesen

Julia Köhler wird – wie bei schweren Psychosen üblich – in einer geschlossenen Psychiatrie versorgt. Ihre ersten Tage in der Klinik verbringt sie ängstlich und extrem verwirrt. „Ich habe am Anfang nicht verstanden, dass ich in einer Psychiatrie bin und was um mich herum passiert. Man musste mich irgendwann sedieren, weil ich so panisch und überfordert war. Das war eine schlimme Erfahrung“. Die junge Frau wird medikamentös behandelt, bekommt Antipsychotika. Sie reagiert gut darauf, kann nach zwei Wochen wieder nach Hause.

Aber sie hat nicht verstanden, dass ihre Psychose durch Cannabis ausgelöst wurde. Sie konsumiert weiter – und bekommt ein paar Monate später den nächsten psychotischen Schub. Dieser Aufenthalt dauert nur wenige Tage. Beim dritten Mal aber verbringt sie über drei Monate in einer Klinik. Erst dort wird ihr klar, dass sie an einer psychotischen Störung leidet, die durch ihren Cannabis-Konsum ausgelöst wurde.

Ärztin Lena Zerbe warnt davor, Cannabis zu verharmlosen.
Ärztin Lena Zerbe warnt davor, Cannabis zu verharmlosen. © Unbekannt | Unbekannt

Tatsächlich birgt Cannabis eine ernstzunehmende Gefahr. Vor allem bei regelmäßigem Konsum von hochpotentem Cannabis (THC-Gehalt über zehn Prozent) steigt das Risiko einer Psychose laut diverser Studien deutlich an. „Es gibt unterschiedliche Inhaltsstoffe in Cannabis", erklärt Fachärztin Zerbe. "Sehr vereinfacht erklärt, wirkt das enthaltende Cannabidiol (CDB) eher beruhigend, der Stoff Tetrahydrocannabinol (THC) ist eher Psychose-fördernd“.

"Ich wünschte mir, ich hätte vorher von den Risiken gewusst"

In der Fachwelt gebe es immer wieder Diskussionen darüber, inwieweit Gras bei Patienten zur Selbstmedikation genutzt wird oder mitauslösender Faktor für das Auftreten von Psychosen ist. „Manchmal ist es am Anfang schwer zu differenzieren, ob psychotische Symptome durch den Konsum bedingt sind oder ob eine eigenständige psychotische Erkrankung vorliegt. Oft muss man bei einer Behandlung schauen, was nach einer längeren Zeit Abstinenz übrig bleibt.“

Für Julia war die Diagnose ein Schock. Noch nie zuvor hatte sie von ihrer Erkrankung gehört, sie schon gar nicht mit Gras in Verbindung gebracht. Aufklärung hätte ihr damals geholfen, sagt sie. „Ob es legal ist oder nicht – es muss darüber gesprochen werden, dass Gras nicht ungefährlich ist. Ich habe den Eindruck, dass man immer nur den Vergleich zu Alkohol zieht, der ja viel gefährlicher sei. Dass aber auch bei Gras etwas passieren kann, darüber wird zu wenig gesprochen. Ich wünschte mir, ich hätte vorher von den Risiken gewusst, statt die Folgen mit so einer Intensität zwei Jahre am eigenen Leib erfahren zu müssen“.

In der Berliner Entzugsklinik „Count Down“ blickt man ambivalent auf die Legalisierung. Der legale Status einer Substanz habe keinen Einfluss darauf, ob man sie problematisch konsumiere – zumal die Legalisierung unter Umständen daran geknüpft werden könnte, dass eine Cannabis-Abhängigkeit weniger behandlungsbedürftig sei. „Menschen sind abhängig, egal ob eine Substanz legal ist oder nicht", sagt Zerbe. "Für Menschen mit einer Abhängigkeit müssen die Hilfestrukturen erhalten bleiben, auch wenn sich der Legalisierungstatus ändert.“ Schon jetzt sei es teilweise schwer, eine stationäre Behandlung bei Cannabis-Abhängigkeit vor den Krankenkassen zu rechtfertigen. Ob es zu einer Zunahme an Fällen kommt, will man in der Entzugsklinik aber nicht beurteilen.

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Julia ist inzwischen gesund, studiert wieder und führt ein zufriedenes Leben. Auch wenn der Weg dahin ein paar Anläufe brauchte. „Bei psychotischen Schüben hat man viele, sehr intensive Emotionen. Es ist normal, dass darauf eine depressive Verstimmung folgt. Es ging mir also danach nicht immer gut. Mittlerweile bin ich aber wieder auf der geraden Spur.“ Auf die Zeit in der Klinik blickt sie ungern zurück. Die Erfahrungen dort würde sie gerne vergessen, sagt sie. Cannabis hat sie hinter sich gelassen. „Und damit bin ich sehr glücklich“.

*Name von der Redaktion geändert