Berlin. Nach dem Ausfall der Puma-Panzer bei einer Übung wachsen die Zweifel, wie machbar die „Zeitenwende“ ist. Blicke ins System Bundeswehr.

Christine Lambrecht zieht die Reißleine. Wieder einmal. Die Bundeswehr kauft keine Schützenpanzer vom Typ Puma ein, vorerst. Die Truppe muss weiter darauf warten, dass sie neue Panzer dieser Art erhält. Die Soldaten setzen derweil auf den Schützenpanzer vom Typ Marder. In Betrieb seit 1971. Aus einer Epoche, in der in Deutschland der VW-Käfer seine Blütezeit feierte. Verlässlich, aber eben alt.

Der Puma müsse sich erst als „stabil“ erweisen, sagte Lambrecht nun. Die Truppe müsse sich darauf verlassen können, dass „Waffensysteme auch im Gefecht robust und standfest sind“. Am Wochenende war bekannt geworden, dass Schützenpanzer bei einer Übung des Panzergrenadierbrigade 37 ausgefallen waren. Nicht nur einer, sondern alle 18. Lambrecht spricht von einem „herben Rückschlag“. Der Bestand einsatzfähiger Puma-Panzer schrumpft weiter. Fachleute überrascht das nicht.

Ministerin Christine Lambrecht (SPD) beim Besuch in der Slowakei. Die Chefin der Bundeswehr ist unter Druck.
Ministerin Christine Lambrecht (SPD) beim Besuch in der Slowakei. Die Chefin der Bundeswehr ist unter Druck. © dpa | Kay Nietfeld

„Zeitenwende“: Bei der Bundeswehr hat sich wenig getan

Ende Februar, drei Tage nach dem Einmarsch russischer Truppen in die Ukraine, steht Bundeskanzler Olaf Scholz am Rednerpult des Bundestags und spricht historische Sätze: „Wir erleben eine Zeitenwende. Und das bedeutet: Die Welt danach ist nicht mehr dieselbe wie die Welt davor.“

Mehr als neun Monate, einen Angriffskrieg und ein Puma-Desaster später ist die bittere Bilanz: Die Welt der Bundeswehr ist dieselbe wie davor. Die alte Welt der Pannen und Engpässe, der Mängel und der überbordenden Bürokratie. Die Wucht der „Zeitenwende“-Rhetorik zerfloss in der Gemengelage zwischen Beschaffungsplänen, Fachausschüssen, Ausschreibungen und Parteien-Gerangel.

200 Puma-Panzer? Nix da

Der Schützenpanzer steht beispielhaft für das Rüstungschaos, schon spöttisch „Pannenpanzer“ genannt. Erst verzögerte sich über Jahre die Auslieferung, seitdem sind nur Teile der Flotte einsatzfähig. Probleme mit der Elektronik, mit brennenden Kabeln, mit dem Gewicht. In dieser Woche wollte das Ministerium eigentlich einen Vertrag abschließen über die Nachrüstung der bestehenden Pumas – endlich war alles Geld da, alles genehmigt, alles gebilligt vom Parlament. Dann die Panne bei der Übung, Krisensitzung. Der Vertrag liegt jetzt erstmal auf Eis.

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Genauso die Bestellung weiterer Puma. Ursprünglich wollte die Bundesregierung die Truppe mit mehr als 200 der modernen Panzern nachrüsten, dann hieß es, man reduziere auf gut 100 Stück. Später, aufgrund der Kostensteigerung, blieb ein Wunsch von 50 Pumas. Und auch dieses Vorhaben für 2023 nun: auf Eis.

Lieferketten sind komplex, die Lieferzeiten betragen Jahre

Es ist zu einfach, mit dem Finger allein auf Ministerin Lambrecht zu zeigen. Die Bestellung von Panzern, Waffen und Munition war über viele Jahre eine Fußnote der deutschen Politik. In Friedenszeiten immer ein Thema mit Geschmäckle. Lieber nicht zu viel über Rüstung reden.

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Mit fatalen Folgen: Deutsche Unternehmen konzentrierten ihr Geschäft auf das Ausland. Jetzt – in Kriegszeiten – sind die Bücher der Konzerne voll. Nur eben weniger mit Bestellungen der Bundesregierung. Eine Produktion von Hightech-Waffen aber lässt sich nicht hochfahren wie eine Papierfabrik. Lieferketten sind komplex, die Lieferzeiten betragen Jahre.

Deutschland: Die zahlreichen Baustellen der Bundeswehr

Der Krieg zwingt die Regierung zum Handeln. Doch der Puma ist nicht die einzige Baustelle. Ersatzteile für Geräte fehlen, Fahrzeuge müssen ausgemustert werden, Munition ist im Ernstfall nur für ein paar Tage da. Vor kurzem muss Scholz zum „Munitionsgipfel“ ins Kanzleramt einladen, wieder ein Krisengipfel. Wieder ernüchternde Ergebnisse.

Ein gerade erstellter interner Bericht des Verteidigungsministeriums über die Einsatzbereitschaft der Truppe bestätigt Schwachstellen. Beim wichtigen Einsatz in Litauen zur Abschreckung an der Nato-Ostflanke ist Deutschland auf Hilfe von Partnerländern angewiesen, die Flugabwehr könne nicht gestellt werden. Für den Einsatz der Truppe bei der UN-Mission im Libanon fällt die Korvette „Oldenburg“ kurzfristig aus, für den deutschen Seeraum fehlen Schlepper.

Es heißt in dem Bericht jedoch, dass Deutschland seine Verpflichtungen im Nato-Verteidigungsbündnis erfülle, „ohne Wenn und Aber“. Auch das war ein Versprechen von Kanzler Scholz und seiner Zeitenwende.

Kanzler Olaf Scholz bei seiner Rede zur „Zeitenwende“ im Bundestag. Kann er sein Versprechen halten? Die Zweifel wachsen.
Kanzler Olaf Scholz bei seiner Rede zur „Zeitenwende“ im Bundestag. Kann er sein Versprechen halten? Die Zweifel wachsen. © dpa | Bernd von Jutrczenka

Nato-Beitrag: Deutschland verpasst Ziel

Ist das so? Zwei Prozent des Bruttoinlandprodukts als Beitrag für die Nato wird Deutschland im Jahr des Ukraine-Krieges nicht erreichen, anders als versprochen sind es rund 1,6 Prozent. Und gegenüber dem Vorjahr sinkt der Etat des Verteidigungsministeriums 2023 sogar um 287 Millionen Euro.

Allerdings ist ohnehin das Geld bei der Zeitenwende nur eine Seite des Problems. Über Jahrzehnte ist die „Beschaffung“ für die Bundeswehr zu einem verschachtelten System mit Inspekteuren und Kontrolleuren, mit Firmen und Fachausschüssen gewachsen. Das ist viel Bürokratie. Auch weil es um Milliarden an Steuergeld geht. Weil es um Investitionen in tödliche Kriegswaffen geht. Ohne Prüfung und Debatte geht es nicht.

Bundeswehr: System ist der Zeitenwende-Wucht nicht gewachsen

Für Scholz aber bedeutet das: Die Zeitenwende-Wucht trifft auf ein System, das dieser gar nicht gewachsen ist. Warum das so ist, dafür lohnt ein Blick auf das zentrale Element dieses Systems: dem Bundesamt für Ausrüstung, Informationstechnik und Nutzung der Bundeswehr, „kurz“ BAAINBw. Nicht ein paar Hundert Angestellte sind mit dem Kauf von Waffen und Munition, Uniformen und Handschuhen befasst, von Antennen, Dichtungen, sondern gut 11.000.

Nun muss die Behörde, die schon vor dem Ukraine-Krieg Schelte von Fachleuten wie Soldaten für Behäbigkeit und Bürokratie kassierte, ein Sondervermögen verwalten, ein 100-Milliarden-Booster trifft auf ein BAAINBw, das erstmal etliche Dienstposten nachbesetzen muss und nach Wunsch von FDP und Grünen ohnehin erst einmal grundlegend reformiert werden soll.

Bei Kosten über 25 Millionen Euro entscheiden die Fachausschüsse im Bundestag

Vor einigen Tagen verkündete das Beschaffungsamt den Abschluss eines Liefervertrags: Die Bundeswehr bekommt neue Soldatenfunkgeräte. Der Weg dahin begann vor Jahren. Wie bei anderen Großprojekten auch melden Inspekteure der Teilstreitkräfte Bedarf an, das geht zum Generalinspekteur. Bei Kosten über 25 Millionen Euro erarbeitet die Regierung eine Vorlage für die Fachausschüsse im Bundestag. Parallel beginnen langfristige Ausschreibungen, für die Funkgeräte schon Ende 2020.

Die Parlamentarier kontrollieren die Großeinkäufe, oftmals mit Kritikpunkten. Spätestens ab da wird ein Rüstungsauftrag Teil eines Konkurrenzkampfes der Parteien. Zwar stellen sich viele Abgeordnete hinter die Parole der „Zeitenwende“ – und haben doch unterschiedliche Vorstellungen davon.

Der Druck auf dieses komplexe System wächst: Seit Februar gibt Deutschland Waffenbestände an die Ukraine ab, Panzerhaubitzen, Flugabwehrraketen, Gepard-Panzer. Material, das für die Zeitenwende der Bundeswehr fehlt.

Schützenpanzer Puma: modern, aber mit Schwächen.
Schützenpanzer Puma: modern, aber mit Schwächen. © Getty Images | Sean Gallup

Neue Kampfflugzeuge ab 2028 – wenn alles gut geht

Vorige Woche geben die Parlamentarier die „Ausschussdrucksache 20 (12) 319“ frei. Es ist der Auftrag für die Funkgeräte, das Beschaffungsamt kann den vorbereiteten Vertrag zeichnen. Erste Geräte kommen bald, bis Ende 2026 soll die Lieferung abgeschlossen sein. Sechs Jahre nach der Ausschreibung. Und es geht um Funkgeräte, nicht um Hightech-Schützenpanzer. Der Fall zeigt, wie wenig das langwierige Liefergeschäft mit Waffen für schnelle Debatten und wuchtige Ansagen taugt.

Zusagen des Parlaments kamen nun auch für den Einkauf von amerikanischen Kampfjets vom Typ F-35, die den alten Bundeswehr-Tornado ersetzen sollen. Zehn Milliarden Euro kosten die 35 Kampfflugzeuge, die ersten großen Summen aus dem „Sondervermögen“. Der Vertrag mit dem US-Hersteller werde „in naher Zukunft“ unterzeichnet. Erste Maschinen sollen 2028 einsatzbereit sein. Wenn alles gut geht.

Grüne mahnen eine restriktivere Politik bei Rüstungsexporten an

Im Zusammenhang mit der Umsetzung der Verteidigungspolitik infolge der „Zeitenwende“ mahnte die stellvertretende Fraktionsvorsitzende und Verteidigungsexpertin der Grünen im Bundestag, Agnieszka Brugger, zu einer restriktiveren Politik bei Rüstungsexporten an. „Vor dem Hintergrund beschränkter Produktionskapazitäten und der dringend notwendigen Unterstützung der Ukraine wäre eine weitere Lockerung der Rüstungsexportregeln auch für schnelle Lieferung an die Bundeswehr ein Problem, da bei den Engpässen zunehmend Konkurrenzen entstehen und so weitere Verzögerungen drohen“, sagte Brugger unserer Redaktion.

Die Bundesregierung sollte bei der heimischen Industrie dafür sorgen, dass „die Bestellungen für die Bundeswehr und unsere engsten Verbündeten Vorrang haben“. Brugger hob hervor: „Rüstungsexporte an Staaten, die autokratisch oder außenpolitisch aggressiv sind oder Menschenrechte verletzen, sollten eingeschränkt und nicht weiter ausgeweitet werden.“ Als Beispiele nannte die Grünen-Politikerin Waffenexporte an Staaten wie Saudi-Arabien, aber auch aktuell das Nato-Mitglied Türkei.

Der verteidigungspolitische Sprecher der Unionsfraktion im Bundestag, Florian Hahn (CSU), hat dagegen scharfe Kritik an der Politik von Bundeskanzler Olaf Scholz und Verteidigungsministerin Christine Lambrecht (beide SPD) geübt: „Scholz und Lambrecht brüsten sich mit Entscheidungen, die nur zäh und unter größtem Druck zustande kommen. Immer wieder wird groß angekündigt und immer wieder werden neue Ausreden für fehlendes Handeln gefunden“, sagte Hahn unserer Redaktion.

So habe erst „auf Druck der Union der Gipfel“ zur Munitionsbeschaffung vor einigen Wochen im Kanzleramt stattgefunden, „das ist in keinster Weise verantwortungsbewusstes Regierungshandeln“, sagte Hahn. Anstatt die Zeichen der Zeit „endlich zu erkennen, fährt die SPD ihren destruktiven und verantwortungslosen Kurs weiter“, so der CSU-Politiker. „Statt wichtige Weichen für die Zukunft unserer Landes- und Bündnisverteidigung zu stellen, herrscht in der politischen Führung des Ministeriums lähmender Stillstand.“

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