Berlin. Eine Gruppe Grüner fordert einen drastischen Kurswechsel in der Flüchtlingspolitik. Damit stoßen sie in der Partei auf Widerstand.

Der Flüchtlingsgipfel von Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) ist vorüber, doch die Grünen haben ihre eigene, innerparteiliche Migrationsdebatte gerade erst begonnen. Anlass ist ein Memorandum, verfasst von einer Gruppe aus Parteimitgliedern – bekanntester Mitzeichner ist der Tübinger Oberbürgermeister Boris Palmer.

In dem siebenseitigen Papier kritisieren sie die deutsche Migrationspolitik als verfehlt, in der Bevölkerung sinke deshalb die Akzeptanz. Sie bringen zehn Ideen ein, die zur leichteren Integration von Flüchtlingen und Steuerung von Migration führen soll. Vorgesehen sind unter anderem sogenannte Auffangzentren an den Außengrenzen der Europäischen Union und zügigere Abschiebungen, wenn Asylbewerber nicht am Aufnahmeverfahren mitwirken.

Tübingens Oberbürgermeister Boris Palmer gehört zu den Unterzeichnern des Manifests der Gruppe «Vert Realos».
Tübingens Oberbürgermeister Boris Palmer gehört zu den Unterzeichnern des Manifests der Gruppe «Vert Realos». © Marijan Murat/dpa

Flucht: Hannovers Oberbürgermeister kritisiert „toxische Grundhaltung“

Aus der Grünen-Parteizentrale möchte man sich auf Nachfrage unserer Redaktion nicht zu dem Papier aus den eigenen Reihen äußern. Nach unseren Informationen gab es bisher auch keinen Kontakt zu den Unterzeichnern. Gegenwind kommt vom Belit Onay (Grüne). Der Hannoveraner Oberbürgermeister kritisiert eine „toxische Grundhaltung“ in der Migrationsdebatte.

„Das Papier beschäftigt sich mit Phantomdebatten. Die Auffangzentren an den EU-Außengrenzen der EU sind rechtlich nicht umsetzbar, zudem ziehen die betroffenen Staaten nicht mit“, sagte Onay. Auch Mitnahmeeffekte bei Sozialleistungen erlebe er nicht. „Man sollte das Asylbewerberleistungsgesetz abschaffen und stattdessen Leistungen nach Sozialgesetzbuch II anwenden.“

Integration: Grüner Stadtchef fordert mehr Hilfe vom Bund

Anders als die Autoren des Memorandums sieht der Stadtchef die Willkommenskultur in Deutschland noch nicht als erschöpft an. „Ich erlebe das in Hannover anders.“ Es brauche aber bundesweit mehr Anstrengung und mehr Unterstützung für die kommunale Ebene. „Nötig ist die Gesamtverantwortung der staatlichen Ebenen und damit eine andere Struktur bei der Lastenverteilung.“

Als Beispiel nennt der Grünen-OB die Kinderbetreuung: Hier würden vom Bund Ansprüche an die Kommunen formuliert, die nicht ausreichend und nachhaltig finanziert seien. Außerdem forderte Onay eine „Professionalisierung in der Flüchtlingspolitik“, wenngleich das ehrenamtliche Engagement wichtig und löblich sei. Die Aussagen des Grünen-Papiers träfen seiner Einschätzung nach nicht auf breite Unterstützung in der Partei. Für Debatten dürften sie jedoch ohne Zweifel sorgen.