Brunsbüttel. Deutschland ist um einen Gasmangel im Winter herumgekommen. Aber wie sieht es für die Zukunft aus? Um die Gaspläne gibt es Streit.

Der große Magnet am gelben Kran im Hafen von Brunsbüttel hebt locker das fünf Tonnen schwere Rohr vom Güterwaggon. Der Kranfahrer bugsiert das 18 Meter lange Stahlrohr sicher auf einer eigens vorbereiteten Ablage. Bundesverkehrsminister Volker Wissing lässt sich einen Blick hindurch vor laufenden Kameras nicht nehmen. Es ist die letzte Fuhre, die den hohen Besuch im Elbehafen anlockt. 3.000 Stahlrohre liegen schon ein paar hundert Meter weiter auf Halde. Die Salzgitter AG hat sie in Rekordzeit hergestellt und mit der Deutschen Bahn an die Küste gebracht.

Denn in Brunsbüttel kommt inzwischen der Hoffnungsträger für die Energieversorgung an: Liquefied Natural Gas, kurz LNG, also verflüssigtes Erdgas. Und irgendwie muss der Brennstoff ins deutsche Gasnetz. Dafür soll die neue Pipeline sorgen, die aus den Stahlrohren zusammengebaut wird. „Wir dürfen uns nicht noch einmal einseitig abhängig machen“, sagte Wissing bei seinem Besuch in der vergangenen Woche. Statt vorrangig aus Russland soll das Gas aus vielen Quellen kommen.

In aller Eile wurde dafür schon drei LNG-Terminals eingerichtet, in Brunsbüttel, Lubmin und Wilhelmshaven. Am Dienstag legte erstmals ein LNG-Tanker in Brunsbüttel an. Noch in diesem Jahr soll ein Terminal in Stade in Betrieb gehen. Weitere sollen folgen. So will etwa der Energiekonzern RWE ein schwimmendes Erdgasterminal vor der Küste Sellins auf Rügen installieren und das Flüssiggas über eine 38 Kilometer lange Pipeline nach Lubmin leiten – es wäre nach aktuellem Planungsstand das größte Terminal in Deutschland.

Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP, von rechts nach links) nahm in der vergangenen Woche zusammen mit Schleswig-Holsteins Energieminister Tobias Goldschmidt (Grüne), Gasunie-Geschäftsführer Jens Schumann, der DB-Vorständin für Güterverkehr Sigrid Nikutta, und dem Konzerngeschäftsleiter der Salzgitter AG, Sebastian Bross, die letzte Fuhre Rohre in Augenschein.
Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP, von rechts nach links) nahm in der vergangenen Woche zusammen mit Schleswig-Holsteins Energieminister Tobias Goldschmidt (Grüne), Gasunie-Geschäftsführer Jens Schumann, der DB-Vorständin für Güterverkehr Sigrid Nikutta, und dem Konzerngeschäftsleiter der Salzgitter AG, Sebastian Bross, die letzte Fuhre Rohre in Augenschein. © dpa | Marcus Brandt

Gasversorgung ist für diesen Winter gesichert

Von der noch im vergangenen Sommer befürchteten Gaskrise ist nur bei den anhaltend hohen Preisen noch viel zu spüren. Die Versorgung mit dem Rohstoff scheint mit Blick auf die Daten vorerst gesichert. „Es ist unwahrscheinlich, dass es in diesem Winter noch zu einer Gasmangellage kommt“, stellt die Bundesnetzagentur fest. In dieser Woche sind die Gasspeicher noch zu mehr als 70 Prozent gefüllt. Der Winter ist damit rechnerisch überstanden. Denn die Kapazitäten bei vollen Speichern decken ein Viertel des Jahresbedarfs. „Wenn Gas eingespart wird, kann es bis zu einem Drittel sein“, erläutert der Chef des norddeutschen Netzbetreibers Gasunie, Jens Schumann.

Doch für den kommenden Winter 2023/24 gilt die Entwarnung bisher nicht. Dabei hat die Bundesregierung im Eiltempo für Ersatz der ausgefallenen Gaslieferungen aus Russland gesorgt, das vor dem Ukraine-Krieg mehr als die Hälfte der Importmengen nach Deutschland pumpte. Gas kommt aus vielen Ländern, vor allem aus Norwegen, den Niederlanden und Belgien. Das Flüssigas LNG landet zum Beispiel aus den USA kommend in den Häfen an, spielt aber mengenmäßig noch keine große Rolle. Das wird sich nach Einschätzung des Verbands Zukunft Gas bald ändern. Künftig könnten allein in Wilhelmshaven bis zu 8,5 Prozent des Gasbedarfs angelandet werden.

Womöglich braucht es in Zukunft noch weitere Speicher

Weitere Gasspeicher werden nach Einschätzung von Schumann einstweilen nicht benötigt. Das könnte sich ändern, wenn in Zukunft Wasserstoff als Brennstoff auf Vorrat gehalten werden muss. Da Wasserstoff eine geringere Energiedichte aufweist als Erdgas, wird für die Speicherung der gleichen Energiemenge ein größeres Raumvolumen benötigt. Entsprechend sprach sich bereits im vergangenen Jahr auch Bundesnetzagentur-Chef Klaus Müller für den Bau neuer Gasspeicher aus.

Doch das ist noch Zukunftsmusik. Und Gas lässt sich auch nicht ohne Weiteres überall bevorraten. Dafür werden bestimmte geologische Formationen benötigt. Gas wird vornehmlich unterirdisch gespeichert. 40 dieser Untertage-Speicher gibt es bundesweit. Damit gehört Deutschland zu den größten Speichernationen weltweit und stellt ein Viertel der EU-Kapazitäten. Aufbewahrt wird das Gas entweder in so genannten Kavernen, also künstlich geschaffenen Hohlräumen in Salzstöcken. Oder es wird in Porenspeichern gelagert, die natürlich entstanden sind. In Frage kommen beispielsweise ehemalige Gas- und Öllagerstätten. Vor allem in Norddeutschland sind die in Frage kommenden Formationen verbreitet vorzufinden.

Kommentar: LNG-Terminals: Bitter, dass dafür ein Krieg nötig war

Ausbaupläne sind womöglich überdimensioniert

Der geplante Umstieg von Erdgas auf Wasserstoff als Energieträger würde noch Angaben der Initiative Erdgasspeicher einen erheblichen Ausbau der Speicherkapazitäten erfordern. Denn Porenspeicher sind für Wasserstoff nicht geeignet. In Kavernenspeichern müsste für die gleiche Energiemenge fünf Mal so viel Gas eingelagert werden. An möglichen Lagerstätten mangelt es Schumann zufolge immerhin nicht. Noch stecken die Pläne dafür in den Anfängen, auch weil der tatsächliche künftige Bedarf an Wasserstoff gar nicht feststeht.

Das Gasnetz wiederum wird den veränderten Importwegen angepasst. So wie in Brunsbüttel werden neue Pipelines benötigt. Denn bisher kamen die Lieferungen aus dem Osten, nun eher aus dem Westen. Es muss den Weg aus den Häfen in das deutschlandweite Verbundnetz finden. Derzeit wird der regelmäßig aktualisierte Gas-Netzentwickungsplan erstellt. Die Stellungnahmen dazu zeigen, dass die bisherigen Pläne dafür womöglich überdimensioniert sind.

Die „Höegh Esperanza“ ist als erstes schwimmendes Flüssiggasterminal im vergangenen Jahr in Wilhelmshaven in Betrieb genommen worden.
Die „Höegh Esperanza“ ist als erstes schwimmendes Flüssiggasterminal im vergangenen Jahr in Wilhelmshaven in Betrieb genommen worden. © dpa | Hauke-Christian Dittrich

Verbraucherschützer warnen vor zusätzlichen Kosten

So warnt der Bundesverband der Verbraucherzentralen (vzbv) vor zusätzlichen Kosten, wenn LNG-Leitungen gebaut würden, die am Ende gar nicht oder nur kurzfristig benötigt werden. Auch mahnt der vzbv realistische Bedarfsprognosen an. Schließlich werde Wasserstoff zukünftig vor allem von der Industrie verbraucht, nicht von den privaten Haushalten. „Daher muss der Aufbau der Wasserstoffnetze auch von der Industrie finanziert werden“, fordern die Verbraucherschützer.

Ob alle Pläne für Flüssiggasimporte realisiert werden, erscheint mit Blick auf die Ausmaße ambitioniert. Nach den drei bereits bestehenden Terminals sollen weitere acht an der Küste entstehen. Die Standorte profitieren davon, wie sich der Chef des Brunsbütteler Hafens, Frank Schnabel, freut: „Hier ist eine Boomsituation entstanden.“