Washington. Viele Ökonomen sind zuversichtlich: Ein Wirtschaftsabschwung könnte ausbleiben. Bei der Weltbank teilt man diesen Optimismus nicht.

Ukraine-Krieg, Energiekrise, immer noch ruckelnde Lieferketten durch die Corona-Pandemie und nun auch noch höhere Zinsen, die den aufstrebenden Wachstumsunternehmen zusetzen: An Risiken mangelt es der globalen Wirtschaft derzeit wahrlich nicht. Auch in Deutschland ruckelte es zuletzt. Überraschend sank das Bruttoinlandsprodukts (BIP) im Schlussquartal 2022 um 0,2 Prozent, wie das Statistische Bundesamt am Montag mitteilte – zuvor war es noch von einer Stagnation ausgegangen. Im Jahr 2022 wuchs die deutsche Wirtschaft nach vorläufigen Zahlen damit insgesamt um 1,9 Prozent.

Angesichts der globalen Risiken mutete der jüngste Optimismus umso überraschender an. Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) attestierte jüngst bei der Vorstellung des Jahreswirtschaftsberichts der deutschen Wirtschaft aller Krisen zum Trotz einen „milden Verlauf“ – die erwartete Rezession fällt hierzulande in diesem Jahr wohl aus, stattdessen wird ein Mini-Plus bei der Wirtschaftsentwicklung erwartet. Auch in den USA, wo eine Rezession lange als ausgemacht galt, werden Ökonomen zuversichtlicher. Ist alles also halb so schlimm?

Ukraine-Krieg und Energiekrise: Weltbank sieht globale Risiken für die Konjunktur

Michael Krake möchte den neuen Optimismus noch nicht teilen. Der 50-Jährige ist seit April 2022 deutscher Exekutivdirektor bei der Weltbank in Washington. Einst gegründet, um den Wiederaufbau nach dem Zweiten Weltkrieg zu finanzieren, ist die Weltbank seitdem eine der wichtigsten Geldgeberinnen in Entwicklungsprojekten. Mehr als 12.000 Projekte wurden seit der Gründung von der 189 Mitglieder zählenden Entwicklungshilfeorganisation finanziert. Das Spektrum reicht vom Bau von Schulen und Krankenhäusern über die Förderung erneuerbarer Energien bis hin zur Entwicklung von Bankensystemen.

Michael Krake ist Exekutivdirektor der Weltbank.
Michael Krake ist Exekutivdirektor der Weltbank. © World Bank Group | World Bank Group

Im Gespräch mit unserer Redaktion macht Krake, der zuvor leitende Positionen im Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) hatte und nun in dem 25 Mitglieder zählenden Direktorium der Weltbank sitzt, deutlich, dass er an der erhofften „weichen Landung“ der Wirtschaft zweifelt. Gerade erst hat die Weltbank ihre Prognose für das weltweite Wachstum nach unten korrigiert. Von der Konjunkturschwäche „werden vor allem die USA, Europa und auch China betroffen sein, die alle Motoren für die Weltwirtschaft sind“, warnt Krake.

Weltbank: Bis 2030 könnten 600 Millionen Menschen in extremer Armut leben

Aus der Sicht seiner Organisation, so Krake, sei aber vor allem von Bedeutung, was die Schwäche bei den großen Wirtschaftsmächten für die weniger wohlhabenden Staaten bedeutet. „Wenn nämlich die USA und Europa einen Husten haben, dann haben die armen Länder womöglich schon eine Lungenentzündung“ sagt Krake. Die Gründe dafür seien zahlreich: Als Folge selbst einer Rezession, die in den Industrienationen auf ersten Blick nicht so schlimm ist, kann es bei den ärmeren Staaten zu deutlich geringerer Investitionstätigkeit, einem starken Rückgang der Exporte, Kapitalabflüssen und somit auch erschwerten Finanzierungskonditionen kommen.

Die Folgen sind schon jetzt spürbar – in Form eines deutlichen Anstiegs der extremen Armut auf der Welt. Als „extrem arm“ definiert die Weltbank Menschen, die von weniger als 2,15 Dollar pro Tag leben müssen. „Wir haben als Weltgemeinschaft in den letzten 20 Jahren mehr als eine Milliarde Menschen aus der extremen Armut befreit. Das ist ein großer, entwicklungspolitischer Erfolg“ sagt Krake.

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Seit der Corona-Pandemie aber ist die Zahl der Ärmsten wieder gestiegen, und mittlerweile schätzt die Weltbank, dass bis 2030 bis zu 600 Millionen Menschen, also 7 Prozent aller Erdenbürger, in extremer Armut leben werden. Laut Krake müsse diese Ungerechtigkeit an mehreren Fronten angepackt werden. „Dazu zählen die Schaffung von Einkommensmöglichkeiten und der Ausbau sozialer Sicherungssysteme. Auch müssen die ärmsten Länder verstärkt in internationale Handelsgeflechte integriert werden“, so der Entwicklungs-Experte. Ein großer Teil der Armut wurde aber auch durch Konflikte und geopolitische Fragilität ausgelöst. „Da kann die Weltbank weniger tun, da sind vor allem politische Lösungen in den Ländern notwendig“.

Weltbank: Wiederaufbau der Ukraine wird 349 Milliarden Dollar kosten

Helfen allerdings kann die Weltbank, wenn es um Fragen wie den Wiederaufbau von solchen Ländern geht – und damit auch im Falle der Ukraine. Laut Krake werden für den Wiederaufbau der Ukraine als Folge des russischen Angriffskriegs Dollarbeträge in dreistelliger Milliardenhöhe notwendig sein. „Seit Kriegsbeginn hat die Weltbank bereits 18 Milliarden Dollar an Hilfe beschlossen, das ist weltweit mehr als die Hälfte aller nicht-militärischen Unterstützung“ stellt der Volkswirt fest. Er betont aber, dass in den kommenden Monaten und Jahren sehr viel Geld mehr wird fließen müssen, um die zerstörte Infrastruktur zu reparieren und der Wirtschaft wieder auf die Sprünge zu helfen.

Als positiv hebt Krake hervor, „dass der ukrainische Haushalt für dieses und das nächste Jahr – auch mit der Hilfe der EU – schon durchfinanziert ist“. Gleichwohl würden nach ersten Schätzungen der Weltbank längerfristig 349 Milliarden Dollar notwendig sein. Auch sei zu erwarten, dass der Finanzierungsbedarf über die nächsten 20 Jahre weiter steigen wird. Kiew werde die Gelder auch tatsächlich erhalten, ist er überzeugt, denn „das Kapital ist zweifellos vorhanden, und ich gehe fest davon aus, dass die Solidarität der internationalen Staatengemeinschaft während des Krieges und darüber hinaus ungebrochen sein wird“.