Hajo Schumacher über Anmach-Roboter.

Die geht aber ran, die Renate, 58, Abteilungsleiterin, naturverbunden, lebenslustig. Erst am Vormittag hatte ich mich als Naturbursche ausgegeben, der gern ein paar Nächte Mac-Gyver-mäßig im Unterholz zubringt, meditiert und Tiere beobachtet. Das hatte Renate offenbar erregt. „So richtig tief im Wald“, schrieb sie, das sei genau ihr Ding. Renate war natürlich einfühlsam, so wie alle anderen Kandidatinnen auch. Elisabeth, die Lehrerin, Hanna, die Grafikerin, Ines, die Architektin, Geschäftsführerin Sophie. Einige der Damen hatten mir ungefragt Bilder geschickt, vermutlich beim Essen, mit Sonnenuntergang oder sportlich hyperaktiv. Kann ich leider nicht sehen. Erst müsste ich einen Premium-Account eröffnen, dessen Preis mein jährliches Bier-Budget übersteigt. Dafür bekomme ich mehr Anträge als in meinem ganzen bisherigen Leben zusammen.

In Zeiten des Hausarrests kommt man ja auf seltsame Ideen. Corona lasse Dating-Plattformen boomen, hatte ich gelesen. Weil ich noch nie – ich schwöre – in einer digitalen Partnerbörse unterwegs war, wollte ich wissen, was da so los ist, wenn man sich nicht im Café treffen kann. Das Schöne am Journalistensein: Man kann Gelüste als Recherche tarnen. Deswegen habe ich mich angemeldet, kostenlos, unverbindlich, mit Erlaubnis der Gattin.

Bei „Interessen“ hatte ich mich kultureller gemacht, bei „Aktivitäten“ aktiver, bei „Erotik“ etwas schärfer. Äußerlichkeiten seien mir egal, solange die inneren Werte stimmten, hatte ich geflunkert. Außerdem tränke ich nie. Als erste meldete sich eine einfühlsame Justizbeamtin, 56. Sind das die mit den Handschellen? Interessant. Weitere Anfragen: Einkaufsleiterin aus Mecklenburg. Da ist kaum Corona, das gibt Pluspunkte. Marketingfachfrau Olga, 58, schickt mir ein Lächeln. Lehrerin, 48, die einen Witz versucht. Juristin, 57, die „Guten Tag“ sagen will. Das Prinzip ist immer gleich: Name, Beruf, drei Eigenschaften, eine davon „einfühlsam“, deutliches Interesse und etwas Lockstoff: Lächeln, Winken, Bilder. Innerhalb von 24 Stunden hat praktisch die gesamte weibliche Führungselite Deutschlands um ein Video-Date ersucht, allesamt hochbegabt und makellos, exakt so, wie ich mich selbst beim Anmelden beschrieben habe.

Auch wenn der Gedanke verlockt, dass die heftige Nachfrage mit der Schönheit meiner Seele zu tun hat – irgendwie kommt mir die Nummer zu perfekt vor. Schieben wir all die Emotionen und Sehnsüchte mal einen Moment zur Seite und schauen uns das Milliardengeschäft des digitalen Datings durch die Business-Brille an: Ziel eines Wirtschaftsunternehmens ist es ja nicht, glückliche Beziehungen zu stiften, sondern Menschen wie mich möglichst voll automatisiert, also ohne teure Arbeitskräfte, um bis zu 100 Euro im Monat zu erleichtern.

Wie würde ich nun eine Maschine programmieren, die möglichst viele einsame Seelen zum Dauerauftrag animiert? Genau so. Ich würde den Interessenten, der sich mit dem Ausfüllen des umfänglichen Fragebogens ja schon mal als hungriges Herz erwiesen hat, mit einem Feuerwerk der Anmach-Mails blenden und dabei prüfen, bei welchen Berufen er genauer hinschaut, welche Altersklasse ihn reizt, welche Eigenschaften. Diplom-Sozialpädagogin oder Diplom-Ingenieurin – da entstehen ja sehr verschiedene Kopfbilder.

Ich würde die Software also trainieren auf die Bedürfnisse des Kandidaten. Kombiniert mit Daten von Millionen bisheriger Kunden werden meine Wünsche kalkuliert bis zum Dauerauftrag getrieben. Was nach Flirten aussieht, ist eiskalte Mathematik. Bleibt die Frage, ob all die top-attraktiven Frauen tatsächlich Interesse an mir haben oder womöglich nur Bots sind, vollautomatische Anmach-Roboter? Meine Vermutung: Alle elf Bots meldet sich ein richtiger Mensch.