Hirschberg. Die Hirschbergerin Stefanie Wohl forscht mit einem Team in einem eigenen Labor an der Universität New York zu Netzhauterkrankungen.

Die Hirschbergerin Stefanie Wohl lebt seit 2012 in den USA. Die 41-Jährige hat nach dem Abitur am Gymnasium Dr. ­Konrad Duden in Schleiz an der Friedrich-Schiller-Universität in Jena Biologie studiert und 2011 im Fachbereich Neurobiologie/Zellbiologie promoviert. Ab 2012 war sie als Postdoc an der University of Washington in Seattle tätig. Im Jahr 2018 trat sie eine Stelle als Assistant Professor an. Im eigenen Labor an der Staatlichen Universität New York, College für Optometrie, forscht sie mit ihrem Team zu Netzhauterkrankungen.

Frau Wohl, im Frühjahr 2020 haben viele deutsche Fernsehzuschauer besorgt nach New York ins Coronavirus-Epizentrum der USA geschaut. Schauen Sie jetzt umgekehrt besorgt in Ihre alte Heimat, denn Europa ist zum Hotspot geworden, der Saale-Orla-Kreis zählte bei der Sieben-Tage-Inzidenz lange Zeit zu den Top-10 in Deutschland?

Ich bin um meine Familie und Freunde besorgt, ja. Aber die Corona-Krise besteht weltweit. Das Einzige, was man tun kann, ist den Regeln zu folgen und sich zu schützen so gut wie es geht. Meine Familienmitglieder halten sich alle streng an die Vorgaben und nehmen das Ganze sehr ernst. Ich hoffe, dass alle, die sich schützen möchten, bald den Impfschutz erhalten können und weniger Besorgnis und Unsicherheit herrschen wird. Besorgniserregend sind der grenzenlose Egoismus und der Widerwille mancher Leute, Gefährdete und Schwächere zu schützen. Das ist, was mich irritiert und für mich absolut nicht nachvollziehbar ist.

Bekommt man das Geschehen in Deutschland in den US-Medien überhaupt mit, denn für diese galt bei der Nachrichtenauswahl schon vor Trump das Motto America first?

Schon vor Herrn Trump hat die USA mehr oder weniger in einer Bubble, also Blase gelebt mit relativ wenig Informationen aus anderen Teilen der Welt. Man darf allerdings hierbei auch nicht vergessen, wie groß das Land ist. Ich denke daher weniger, dass dies auf America first zurückzuführen ist. Ich erhalte meine Infos über Deutschland hauptsächlich online über bestimmte Portale und über Social Media. Über den Saale-Orla-Kreis informieren mich Freunde und Familie.

Für viele Menschen ist New York eine Traumstadt. Wie hat sich das Leben in Big Apple seit März verändert?

Vor Corona war die Stadt, und ich meine speziell Manhattan, zu jeder Jahreszeit überfüllt mit Menschen, vornehmlich Touristen; die Straßen voll mit kaum fahrenden, hupenden Autos vor allem Taxis wie man es aus Film und Fernsehen kennt. Ab Ende März 2020 waren kaum Menschen und Autos unterwegs, die Subway und Haltestationen waren leer. Die leere Stadt habe ich nicht als gespenstisch empfunden, nur sehr seltsam und ungewohnt. Die Stadtluft war rein, kein Smog, kein Lärm, man konnte ungehindert mit raschem Schritt gehen und die Straßen problemlos überqueren. Um es mit den Worten eines ehemaligen Mitschülers zu sagen „Wie in Herschberch um halb viere“ – also „wie daham“.

Seit Sommer ist es wieder belebter, aber es ist noch nicht wieder so verrückt wie es war. Ich lebe in Queens und arbeite in Manhattan, zwei Blocks vom Times Square entfernt, dem Epizentrum der Verrücktheit. Jeder, der schon einmal da war, weiß, was ich meine: man kann sich in normalen Zeiten kaum bewegen und wird von den Massen regelrecht geschoben. Mit der Subway, also der Schnellbahn, die in Manhattan unterirdisch und in allen anderen Stadtteilen oberirdisch fährt, komme ich täglich zur Arbeit. Bislang ist es noch angenehm und der Sicherheitsabstand möglich. Etliche New Yorker, auch einige meiner Freunde, sind aufs Land gezogen, was zu Wohnungsleerstand führte.

Die Schließung der Restaurants, Museen, Theater et cetera war und ist für all die Leute, die ihre Jobs verloren haben, entsetzlich. Einige Café- und Restaurantbesitzer haben dann ab Sommer eine Lösung gefunden und eine Art Terrasse meistens auf Gehwegen und Straßen angebaut. Ein Bild, das an Cafés und Restaurants in Paris erinnert.

Wenn Sie mit Ihrem Vater, dem Bürgermeister von Hirschberg telefonieren oder skypen, sagen Sie ihm dann, was in New York besser, aber auch schlechter läuft als in Deutschland?

Ich möchte mir nicht anmaßen, dass ich einschätzen kann, was besser ist, läuft oder nicht. Es gibt Situationen, in denen man vergleicht und feststellt, dass manche Abläufe und Prozesse ähnlich sind. Diese betreffen aber eher die USA und Deutschland als Ganzes. Viele Entscheidungen, vor allem in Zeiten von Covid-19 bezüglich Maskenpflicht, Ausgangssperre et cetera wurden durchgesetzt wie in Deutschland auch.

Diese Verordnungen wurden vom Gouverneur des Staates New York, Andrew Cuomo, erlassen und widersprachen oftmals den Verlautbarungen von Präsident Trump. Ignorantes Verhalten gibt es auch hier, weniger America first, sondern Ich zuerst. Ein wesentlicher Unterschied ist, Deutschland hat Sozialsysteme, die USA in dieser Form nicht. Beispielsweise haben nicht alle Menschen hier eine Krankenversicherung und das ist zu Zeiten von Covid-19 verheerend.

Woran forschen Sie derzeit in New York?

Ich habe 2018 eine Stelle als Assistant Professor, die der deutschen W1-Professur entspricht, angenommen und mein eigenes Labor namens Wohl Lab aufgebaut. Mein Team ist international. Kollegen aus Südamerika, Afrika, Asien und Europa treffen in Nordamerika aufeinander. Wir forschen an der Netzhaut mit zwei wesentlichen Fragestellungen: Wie können wir die Folgen von Netzhauterkrankungen beeinflussen, um Erblindung zu verhindern und wie können wir die Netzhaut mit Zellersatz-Therapien regenerieren? Mein Labor ist an der Staatlichen Universität New York (SUNY), College für Optometrie, im Herzen von Manhattan.

Haben sich die Forschungsbedingungen für Sie als ausländische Wissenschaftlerin in den Trump-Jahren verändert und wenn ja inwieweit?

Die Forschungsbedingungen haben sich für alle Wissenschaftler in den Trump-Jahren verändert, da Herr Trump nicht viel für Wissenschaft und Innovation übrig hat. Die Abwahl brachte großes Aufatmen bei allen wissenschaftlichen Kollegen.

Sie dürfen in den USA ja nicht wählen, aber was sagen Ihre amerikanischen Freunde und Kollegen dazu, dass in dieser schwierigen Situation ausgerechnet zwei Männer im fortgeschrittenen Rentenalter zur Präsidentenwahl antraten?

Vielleicht sollte man an dieser Stelle einmal sagen, dass Rentenalter hier kein geläufiger Begriff ist. Ein Rentensystem wie in Deutschland gibt es in den USA nicht. Ich habe Professorenkollegen, die über 70 Jahre alt sind. Auch in anderen Bereichen findet man Arbeitnehmer, die über 65 Jahre sind, als Firmenchefs, Shuttle-Fahrer, Reinigungskräfte et cetera. Ein anderes Beispiel ist Ruth Ginsburg, Richterin des US-Verfassungsgerichts.

Sie verstarb leider vergangenes Jahr an Krebs, hat aber bis zum letzten Atemzug für Recht und Ordnung gekämpft. Sie war 87 Jahre alt und ist eine Heldin und Ikone. In den USA fragt keiner nach dem Alter, das Geburtsdatum steht nicht im Lebenslauf, das wäre Altersdiskriminierung. Es zählt Leistung und Einsatz.

Die Präsidentschaftskandidaten werden in Vorverfahren ausgewählt. Meinen Bekannten zufolge ist Joe Biden der einzige und qualifiziert genug, um das Land wieder aufzubauen und zu einen. Ich habe keinen Kommentar zum Alter gehört, auch in den US-Medien nicht.

Glauben Sie, dass der neue US-Präsident Joe Biden nach einiger Zeit abtritt und der deutlich jüngeren Vize-Präsidentin Kamala Harris den Vortritt lässt?

Das glaube ich nicht. Der Mann wurde wegen seiner Fähigkeiten und jahrelanger Expertise gewählt.

Unter welchen Voraussetzungen würden Sie wieder nach Europa oder Deutschland zurückkehren?

Ich lebe jetzt seit acht Jahren in den USA, sechs Jahre in Seattle an der Westküste und zwei Jahre in New York City an der Ostküste. Geplant war das nicht, aber es kommt, wie es kommt. Dinge und Umstände ändern sich stetig und so dann auch Entscheidungen.