Berlin/Schkeuditz. Die CDU ist auf Selbstfindungskurs. Bringt Friedrich Merz die Partei zurück an die Macht? Auf diese drei Faktoren kommt es jetzt an.

„Jetzt können wir endlich über hundert Prozent CDU sprechen“, sagt Parteichef Friedrich Merz an einem kalten Frühlingsabend in einer Messehalle in Schkeuditz bei Leipzig. Etwa 580 CDU-Mitglieder aus Sachsen und den angrenzenden Bundesländern sind gekommen, sie wollen ihren Beitrag zum neuen Grundsatzprogramm einbringen, das für die Christdemokraten als Kompass für die kommenden Wahlen gelten soll. Aber schon bei dieser dritten von insgesamt vier Regionalkonferenzen wird klar, dass das Parteiprogramm nur ein Zwischenschritt ist: „Ohne uns soll nach der nächsten Bundestagswahl nicht regiert werden“, sagt Merz auf dem Podium.

Der neue Wertekompass ist nur eine Stufe auf dem Weg zurück in die Regierungsverantwortung, das Kanzleramt ist Merz’ erklärtes Ziel. All sein Handeln, seit er zum neuen Vorsitzenden der CDU gewählt wurde, ist darauf ausgerichtet. Die aktuellen Umfragewerte scheinen den Kurs des 67-Jährigen zu bestätigen: Je nach Institut liegt die CDU bundesweit in der Sonntagsfrage bei etwa 30 Prozent.

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Keine der drei Regierungsparteien erhält solche Zustimmungswerte. Die monatelange Uneinigkeit in der Ampel, die zuletzt in einen über 30-stündigen Beratungsmarathon im Kanzleramt gipfelte, trifft bei den Bürgern auf Unverständnis und Ermüdung. Die relative Beliebtheit der CDU dürfte sich aktuell in Teilen also auch aus der Abneigung gegen die Koalition aus SPD, Grünen und FDP speisen.

Faktor eins: Merz – oder doch ein anderer? Die Machtfrage schwelt noch

Ganz anders steht es um Merz selbst. In der Rangfolge der beliebtesten Politiker liegt er regelmäßig hinter Kanzler Olaf Scholz (SPD), den Grünen Annalena Baerbock und Robert Habeck sowie mitunter sogar hinter dem Chef der Schwesterpartei, Markus Söder (CSU). Selbst in der Riege der Unionspolitiker steht Merz nicht unangefochten auf dem ersten Platz: In einer INSA-Umfrage Ende 2022 lag Söder vorne und der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Hendrik Wüst rangierte noch vor dem Parteichef.

NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU)
NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) © dpa | Roland Weihrauch

Merz, der Zwei-Meter-Mann aus dem Sauerland, ist alles andere als ein Sympathieträger und müsste als Kanzlerkandidat auch Wählerschichten außerhalb der eigenen Mitgliederschaft umgarnen. Es gibt Stimmen in der Union, die deshalb Wüst für die modernere Alternative halten. Sie hoffen, der junge (Landes-)Vater erschließe breitere Wählerschichten.

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Obwohl in der Union keiner über die Kanzlerkandidatenfrage reden will, nennen Amtsträger und Parteivordere auf die Frage nach potenziellen Kandidaten mindestens drei Namen – Merz, Wüst, Söder. Die offizielle Version lautet allerdings: „Die Bundestagfraktion steht fest hinter Friedrich Merz. Wenn er Kanzlerkandidat werden will, dann wird er es.“ Das sagt zum Beispiel der Vize-Vorsitzende der CDU, Carsten Linnemann. Der ehemalige Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble lobt: „Was Friedrich Merz im Plenum liefert, ist einsame Spitze.“

Inoffiziell gilt Merz – im Moment – als unstrittiger Parteichef, „aber ein CDU-Vorsitzender ist erst dann wirklich unangefochten, wenn er die Kanzlerschaft holt“, sagt einer, der mehr als fünf Parteivorsitzende miterlebt hat. Die ungeklärte Machtfrage hat der Union schon einmal die Kanzlerschaft gekostet: als der offene Wettstreit zwischen Armin Laschet und Markus Söder im April 2021 mit all den Vertrauensbrüchen im Hintergrund das halbe Land beschäftigte.

Faktor zwei: Mitglieder wollen über Migration reden, Merz über Klimaschutz

Merz weiß, dass er so eine Situation nicht entstehen lassen darf. „2021 wird sich nicht wiederholen, darauf haben Sie mein Wort als Parteivorsitzender“, beruhigt er deshalb ein CDU-Mitglied bei einer der Regionalkonferenzen. Mit dem bayerischen Amtskollegen Söder demonstrierte Merz wenige Wochen nach seiner Wahl zum CDU-Chef Einigkeit. Seitdem sich Söder im bayerischen Landtagswahlkampf befindet, betont er, sein Fokus liege auf der Heimat. Doch wer den Franken kennt, weiß, dass er sich diesen freiwilligen Verzicht auf die Kanzlerschaft nicht einmal selbst glaubt.

CSU-Chef Markus Söder (links) und CDU-Chef Friedrich Merz demonstrieren während eines Spaziergangs am Ufer des Kirchsees, südlich von München, traute Einigkeit.
CSU-Chef Markus Söder (links) und CDU-Chef Friedrich Merz demonstrieren während eines Spaziergangs am Ufer des Kirchsees, südlich von München, traute Einigkeit. © dpa | Peter Kneffel

Aber zurück in die fernsehtauglich dekorierte Messehalle nahe des Leipziger Flughafens: Die Erfolgszutaten für das Grundsatzprogramm sollen neu gemischt werden. Per Handyabstimmung können die Mitglieder zeigen, was ihrer Meinung nach das wichtigste Thema ist – „Migration“ wird der meistgenannte Begriff. Doch der Parteivorsitzende spricht an diesem Tag nicht über Zuwanderung, sondern redet stattdessen über Klimaschutz und Wirtschaftsfaktoren.

Faktor drei: Wahlbeteiligung kann den Unterschied machen

Für die großen Gesellschaftsthemen wie Rente, Pflege und Familienpolitik haben die Parteivorderen bislang keine fertigen Lösungen parat. CDU-Vize Linnemann sagt, es sei eine „Gratwanderung“: „Einerseits ist es ein Grundsatzprogramm, andererseits wollen wir so konkret wie möglich werden.“ In fünf bis zehn Eckpunkten will er bis zum Parteitag im kommenden Jahr deutlich machen, wofür die CDU steht und was sie von anderen Parteien unterscheidet. Nach 16 Jahren Großer Koalition sind solche Anhaltspunkte dringend nötig.

Die letzte Variable, die über Merz’ Erfolg entscheiden könnte, ist die Wahlrechtsreform: Die Ampel-Parteien haben die Regeln so geändert, dass es im Bundestag eng werden könnte für die CSU. Setzt sich der seit Jahrzehnten anhaltende Zweitstimmen-Verlust bei der CSU fort, könnte sie aus dem Parlament fliegen. Bei der Bundestagswahl 2021 erhielt die CDU-Schwesterpartei bundesweit nur noch 5,2 Prozent der Stimmen.

Entscheidend ist 2025 auch die Wahlbeteiligung: Die Anzahl der Wählerstimmen, die für die fünf Prozent der CSU auf Bundesebene nötig sind, steigt bei reger Teilnahme. Mit anderen Worten: Es gibt noch viele Ungewissheiten – bei Merz’ Traum vom Kanzleramt.

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