Berlin. Das Superwahljahr 2024 wird entscheidend für Europa, Olaf Scholz und das Land. Besondere Rollen spielen die AfD und Sahra Wagenknecht.

Alle Jahre wieder steht ein „Superwahljahr“ vor der Tür: Der Titel wird vergeben, wenn besonders häufig gewählt wird. Oder die Urnengänge als besonders wichtig erachtet werden. Auch das Jahr 2024 gehört in diese Kategorie. Dafür müssen wir nicht nach Russland, Indien, Südafrika oder die USA blicken, wo in den kommenden Monaten die Bürgerinnen und Bürger ihre Stimme abgeben. Deutschland erlebt sein eigenes Superwahljahr. An dessen Ende könnte die politische Realität mancherorts eine vollkommen neue sein. Die Abstimmungen dürften außerdem einen deutlichen Hinweis darauf geben, wie es mit der Ampel-Koalition und Bundeskanzler Olaf Scholz weitergeht.

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Neben der Europawahl am 9. Juni finden im Mai und Juni in mehreren Bundesländern Kommunalwahlen statt. Im September folgen die Landtagswahlen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg. Die Wahl zum Europaparlament gilt als nationaler Stimmungstest auf dem Weg zur Bundestagswahl 2025. Wird europaweit mit einem Erstarken rechter Parteien und EU-Gegner gerechnet, könnte dieser Trend auch Deutschland erfassen. Die AfD liegt in bundesweiten Umfragen derzeit auf dem zweiten Platz hinter der Union. Bei der letzten Wahl zum Europaparlament 2019 hatte die Partei noch als vierstärkste Kraft abgeschnitten.

Europawahl: Ampel-Parteien befürchten Quittung

In der Ampel-Koalition wird nicht nur wegen der aktuellen Stärke der AfD mit Sorge auf die Europawahl geblickt: SPD, Grüne und FDP befürchten eine Quittung für ihre turbulente Regierungsführung im Bund. Schneiden die drei Koalitionspartner einzeln und in Summe schwach ab, könnte die Wahl den Anfang vom Ende des Ampel-Bündnisses in der Regierung einleiten. Denn die unruhige bisherige Regierungszeit der Koalition lässt daran zweifeln, ob es den Partnern in dem dann bis zur Bundestagswahl verbleibenden Jahr gelingt, das Ruder entscheidend herumzureißen.

Chefreporter Politik Jan Dörner.
Chefreporter Politik Jan Dörner. © FUNKE / Foto Services | Reto Klar

Olaf Scholz muss also fürchten, trotz seines Überraschungssiegs bei der vergangenen Bundestagswahl und entgegen all seiner Pläne das Kanzleramt nach nur einer Legislaturperiode schon wieder verlassen zu müssen. Nun gehören abgewählte Koalitionen und Wechsel an der Regierungsspitze zur Demokratie. Das Jahr 2024 könnte dennoch zwei beunruhigende Neuerungen bringen: Die eine ist, dass die AfD auf den unteren Ebenen der Politik zunehmend in Ämter gelangt. Die andere ist die Zersplitterung stabiler politischer Mehrheiten.

Wagenknecht-Partei könnte Regierungsbildungen erschweren

War die AfD in den ersten zehn Jahren ihres Bestehens lange Zeit eine Protestpartei ohne größere Aussicht auf politische Verantwortung, feierte die inzwischen in mehreren Bundesländern vom Verfassungsschutz als gesichert rechtsextrem eingestufte Partei in diesem Jahr mehrfach in kommunale Ämter gewählte Kandidaten, zuletzt im sächsischen Pirna. Die Kommunalwahlen 2024 könnten der Partei weitere Erfolge dieser Art bringen. Schon jetzt sorgt sich die deutsche Industrie wegen des Erstarkens der Partei um die wirtschaftliche Zukunft des Landes.

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Mit den drei Landtagswahlen im Osten droht schließlich, dass die Stärke der AfD und die Schwäche der anderen Parteien die Bildung stabiler Regierungsmehrheiten verhindern, wie es bereits in Thüringen der Fall ist. Verschärfen dürfte sich diese Entwicklung, falls die neue Partei von Sahra Wagenknecht ebenfalls bei den Wahlen mitmischt. Das Wahljahr 2024 droht somit, zum Stresstest für unsere Demokratie und den gesellschaftlichen Zusammenhalt zu werden.