Erfurt. Die einst großen Parteien verlieren in Thüringen zur Europa- und Kommunalwahl viele Stimmen. Im Bund schwächelnd, triumphiert die AfD im Land, derweil die Grünen wachsen. Das ist die Basis für die Landtagswahl.

Der einzige linke Ministerpräsident, den es in Deutschland gibt, war gestern zum Hausbesuch in Manebach, einem freundlichen Dorf im Wald, das zu Ilmenau gehört. Bodo Ramelow begleitete eine Ärztin, die von der Stiftung gefördert wird, mit der die medizinische Versorgung auf dem Land aufrechterhalten werden soll.

Doch natürlich beschäftigte ihn vor allem das Leiden seiner eigenen Partei. Seit Ramelow vor etwa zwei Jahrzehnten eintrat, war Thüringen so etwas wie das Kernland der zur Linken gewordenen PDS.

Und nun das: Bei der Europawahl am Sonntag rutschte die Landespartei um 8,7 Prozentpunkte auf 13,8 Prozent. Und bei den Kommunalwahlen landete sie bei 13,7 Prozent – das ist ein Minus von 8,2 Prozentpunkten.

Die Frage, wie lange Ramelow noch Ministerpräsident sein wird, stellt sich mithin noch etwas drängender als bisher. Schließlich wird bereits in fünf Monaten, am 27. Oktober, ein neuer Landtag gewählt – und die Abstimmungen in Europa und den Kommunen dienten in der Vergangenheit als recht verlässlicher Seismograph für das, was kurz darauf mit dem Landesparlament passierte. Selbstverständlich möchte es Ramelow nicht zu dramatisch sehen. „Es war eine ernüchternde Wahl für meine Partei“, sagt Ramelow ins Telefon. Für die Landtagswahl stehe die Linke nun vor der Herausforderung, „die Themen so zu vermitteln, dass die Bürger das Gefühl haben, sie werden verstanden“.

Dann zeigt Ramelow auf die Linke insgesamt. „Wir waren eher pflichtgemäß unterwegs und konnten nicht ausreichend erklären, welche Vorteile Europa konkret für die neuen Länder bedeutet.“ So sei es nicht gelungen, „unseren massiven Einsatz für einen Erhalt der EU-Fördermittel als linkes Projekt“ dazustellen. „Hinzu kam, dass nach meinem Eindruck die Bundespartei mit diesem Teil der Themen gefremdelt hat.“

Egal, wer nun die Schuld trägt: Es herrscht ein ziemliches Durcheinander in Thüringen. Die AfD ist bei der Europawahl in Ost- und Südostthüringen dominant, im Altenburger Land, im Ilm-Kreis sowie in den Kreisen Sonneberg, Saalfeld-Rudolstadt und Saale-Orla-Kreis. In Gera deklassiert sie mit fast 30 Prozent die Konkurrenz. Ansonsten liegt die CDU vorne, mal knapper, mal deutlicher, bis auf die Ausnahme Jena. In der einzigen echten Universitätsstadt des Landes haben die Grünen klar mit gut 20 Prozent gewonnen und halten die AfD mit 12,7 Prozent auf Abstand.

Das ist aber auch Mike Mohring. Der CDU-Landes- und Fraktionschef will Ramelow bekanntlich ablösen – und macht aber erst einmal seine Bundespartei für das eher übersichtliche Abschneiden im Land verantwortlich. Der Umgang mit den Schülerdemonstrationen „Fridays for Future“ und dem Youtuber Rezo bezeichnet er als „Kommunikationsdesaster“, mit dem sich die Union „blamiert habe“. CDU und CSU, sagt Mohring, hätten die Menschen auch nicht mit ihren Botschaften erreicht. Es sei „Wohlstand für alle“ plakatiert worden, aber die Menschen hätten mit steigenden Mieten und Gesundheitskosten zu kämpfen und müssten sich damit abfinden, dass von der Rente weniger übrig bleibt, weil sie besteuert werde. „Damit verliert man Zustimmung.“

Hinzu komme, dass sich SPD und Union in der Koalition im Bund gegenseitig blockierten. Deshalb komme man bei der Abschaffung des Solidarzuschlags und der Einführung der Grundrente nicht voran. „Versprechen in die Welt zu setzen und sie nicht zu erfüllen, führt am Ende zu einem Vertrauensentzug“, sagt Mohring.

Ganz anders klingt gestern der AfD-Landes- und Fraktionschef Björn Höcke. Er dürfte, wenn er denn wollte, mitleidig auf die schwächelnde Bundespartei herabblicken. Zwar liegt seine Landespartei nicht wie in Sachsen oder Brandenburg vor der CDU. Aber die Distanz ist so kurz wie nie bisher.

Und so nennt Höcke das Ergebnis eine Bestätigung seines nationalistischen und teils sozialistischen Kurses, den er aber lieber als eine Mischung aus „Solidarität und Patriotismus“ bezeichnet. Dies gebe „Rückenwind“ für die Landtagswahl.

Besonders erfreulich will Höcke die Ergebnisse der Kommunalwahlen betrachtet haben. So sei seine Partei in den Kreistagen und Stadträten aus dem Stand zweitstärkste Kraft geworden. Dies, sagt er, werde „zweifelsohne für eine weiter steigende Akzeptanz unserer Partei sorgen“.

Tatsächlich ist das Durcheinander in den Kommunen noch einmal größer (siehe Grafik Seite 1). Zwar behauptet sich die CDU in den Kreistagen und den großen Stadträten klar als stärkste Kraft, doch die Verluste sind teils erheblich. Während die Linke ein Drittel ihrer Anteile verliert, steigt die AfD von nahezu null auf 18 Prozent.

Hinzu kommt, dass die lokalen Unterschiede immer größer werden. In Jena liegt die Linke knapp vor den Grünen, in Weimar liegen wiederum die Grünen knapp vor CDU und Linken. Und in Eisenach schlägt die Linke die CDU, weil deren Verluste dort noch höher ausfallen als die eigenen. Und dann ist da noch Gotha, die rote Insel im Meer des sozialdemokratischen Jammers. Die SPD wird neben der CDU stärkste Fraktion im örtlichen Kreistag – und zwar sogar mit leichten Zugewinnen. Das Ego des SPD-eigenen Innenministers Georg Maier, der die lokale Kandidatur als Probelauf für seine Landtagskandidatur ansieht, dürfte damit nochmals ordentlich gewachsen sein.

Bodo Ramelow formuliert deshalb diese Erkenntnis in Ilmenau: „Wo die Kandidaten stimmen, werden sie auch gewählt.“ Das gelte für die Kommunen, aber auch für die Landeswahl in Bremen, wo die Linke erstmals im Westen an einer Regierung beteiligt sein könnte. „Insofern“, sagt er, „bleibe ich mit Blick auf die Landtagswahlen optimistisch.“

So sieht es auch der Jenaer Politikwissenschaftler Torsten Oppelland. „Im Herbst“, sagt er, „wird es eine ganz andere Situation sein.“ Dann würden die Parteien mit voller Wucht Wahlkampf führen. Und dann werde die Linke einen „sehr personalisierten, auf den Ministerpräsident zugeschnittenen Wahlkampf“ führen.

Oder, wie es Ramelow sagt: Nur weil seine Partei am Sonntag verloren habe, gehe er noch lange „nicht in die Knie“.