Berlin. Minister Lauterbach will die elektronische Patientenakte ab 2024 zum Standard in Praxen und Kliniken machen. Was man jetzt wissen muss.

Digitalwüste Deutschland: Weniger als ein Prozent der Versicherten nutzt derzeit die elektronische Patientenakte, viele niedergelassene Ärzte haben damit noch nie gearbeitet. Das soll sich jetzt ändern: Nach dem Willen von Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) wird die elektronische Patientenakte ab 2024 automatisch zum Standard in Arztpraxen und Kliniken. Patienten, die das nicht wollen, müssen ausdrücklich widersprechen.

Seit vergangenem Herbst arbeiten Lauterbachs Fachleute an den entsprechenden Gesetzen – jetzt gibt es einen konkreten Vorschlag: „Ende kommenden Jahres wird die elektronische Patientenakte für alle verbindlich“, sagte Lauterbach in der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“. „Jeder, der nicht ausdrücklich widerspricht, ist automatisch mit dabei.“ Seinen Vorschlag will Lauterbach an diesem Montag dem Bundeskabinett vorstellen. Auch das elektronische Rezept, das wie die Patientenakte in der aktuellen Form ein digitaler Rohrkrepierer ist, soll dann unkompliziert nutzbar werden.

Elektronische Patientenakte: Mit wenigen Klicks Überblick über Krankengeschichte

In der elektronischen Patientenakten soll künftig alles das gespeichert werden, was für Diagnose und Behandlung wichtig ist – zum Beispiel Laborwerte und andere Untersuchungsergebnisse, Medikamentenpläne oder auch bisherige Therapien. Wer den Arzt wechselt oder bei mehreren Ärzten in Behandlung ist, muss nicht mehr fürchten, dass wichtige Gesundheitsdaten fehlen. Röntgenbilder auf CD, Papierakten und Faxe sollen überflüssig werden. Mediziner, Physiotherapeuten, Pflegekräfte und Hebammen sollen sich mit wenigen Klicks ein Bild vom Gesundheitszustand ihrer Patienten machen oder eine Krankengeschichte lückenlos einsehen können. Als freiwilliges Angebot für die 74 Millionen gesetzlich Versicherten gibt es die elektronische Patientenakte seit Januar 2021.

Mit der elektronischen Akte werde der Patient Herr seiner Daten, warb der Minister. „Er bekommt eine geordnete Übersicht über Arztbriefe, Befunde, Medikamente.“ Das helfe auch bei der Behandlung. „Sein Arzt kann schnell erkennen, welches Medikament er zusätzlich verordnen kann, ob es Wechselwirkungen gibt. Außerdem sieht er, ob ein Kollege schon vorher dasselbe untersucht hat.“ Technisch will Lauterbach pragmatisch vorgehen. „Wir warten nicht, bis es für alle Befunde eine standardisierte Datenstruktur gibt.“ Für den Anfang werde es möglich sein, PDF- oder Word-Dateien einzuspeisen.

Datenschutzbedenken wegen „Opt-Out-Verfahren“

Lauterbachs Ziel ist es nicht nur, die Versorgung effektiver und besser zu machen – etwa, indem Mehrfachuntersuchungen unnötig werden. Auch Forscher sollen in Deutschland bessere Bedingungen für die Entwicklung neuer Medikamente oder Therapien bekommen. Dazu sollen die Daten der Versicherten künftig pseudonymisiert für Wissenschaftler und Pharmaunternehmen bereitgestellt werden. Perspektivisch ist es zudem denkbar, dass Krankenkassen mit Hilfe der digitalen Patientenakte gezielt vor Krankheitsrisiken warnen können, um auf diese Weise schwere Erkrankungen und teure Behandlungen rechtzeitig zu verhindern.

Bei mehreren Fragen schwelt jedoch noch Streit über den Datenschutz. Der Bundesdatenschutzbeauftragte Ulrich Kelber hat sich etwa kritisch zu dem angestrebten Verfahren geäußert, auf die Akte nur zu verzichten, wenn die Patienten aktiv widersprechen. Gemeint ist das sogenannte „Opt-Out-Verfahren“: In der Diskussion ist, dass Versicherte abgestuft bestimmen können, ob sie der digitalen Akte überhaupt zustimmen, und wenn ja, wie weit der Kreis der Nutzer sein soll.

Krankenkassen unterstützen Lauterbachs Pläne für digitale Patientenakte

Denkbar ist etwa, dass ein Patient nur bestimmten Ärzten Einsicht in sämtliche Daten gewährt und die Nutzung durch Forscher oder Industrie komplett ablehnt. Großen Widerstand aus der Ärzteschaft gegen die elektronische Patientenakte erwartet der Minister offenbar nicht: „Es sind nur ganz wenige Ärzte, die damit ein Problem haben“, sagte er der „FAS“. „Ein paar lautstarke Kritiker wird es immer geben.“

Unterstützung kam bereits vom Spitzenverband der gesetzlichen Krankenkassen (GKV). „Wir freuen uns über den angekündigten Rückenwind für die Digitalisierung des Gesundheitswesens“, sagte Verbandssprecher Florian Lanz in Berlin. „Es ist höchste Eisenbahn, dass es weiter vorangeht.“ Der Verband unterstütze das Vorhaben, die elektronische Patientenakte „künftig jedem Versicherten obligatorisch zur Verfügung zu stellen“, sagte Lanz. Die Akte habe „das Potenzial, zum Herzstück eines modernisierten Gesundheitswesens zu werden“.