Erfurt. Wie der Thüringer Ministerpräsident das Land auf eine völlig neue Krisensituation vorzubereiten versucht – und sich selbst korrigiert.

Am Dienstag, nach der regulären Kabinettssitzung, hatte die Landesregierung im Angesicht der Corona-Pandemie noch ziemlich geschäftsmäßig gewirkt. Es wurden Hilfsmaßnahmen für die Unternehmen verkündet und Veranstaltungen mit 500 bis 1000 Teilnehmern verboten, Schutzausrüstungen und Testmöglichkeiten ausgebaut.

Ansonsten, hieß es, werde überlegt, Schwerpunktkrankenhäuser auszuweisen. Die Schulen und Kindergärten werde man aber nicht schließen, das Ansteckungsrisiko wäre da gar nicht so hoch. Am Donnerstag fuhr dann Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke) zum Krisengipfel ins Berliner Bundeskanzleramt – und kam verändert wieder.

Tags darauf danach schaltete die Regierung abrupt in den Krisenmodus um. Plötzlich war die Schließung der Schulen und Kindergärten ab kommendem Dienstag beschlossen. Und plötzlich waren Veranstaltungen mit mehr als 50 Menschen verboten.

Ramelow: „Ich habe meine Meinung korrigiert.“

Am Samstagnachmittag sagt Ramelow: „Ich habe meine Meinung korrigiert.“ Er hat zu einem spontanen Pressegespräch in die Staatskanzlei geladen, um den Ernst der Lage zu demonstrieren – aber auch die Handlungsbereitschaft seiner Regierung. Nach den Gesprächen in Berlin, sagt er, wisse er vor allem eines: „Wir haben das medizinisch nicht im Griff.“ Wirksame Mittel gegen das Corona-Virus werde es in diesem Jahr nicht geben, und eine Impfung erst recht nicht. Er müsse daher von ausgehen, dass sich in Thüringen binnen der nächsten zwei Jahre bis zu 1,5 Millionen Menschen an Covid-19 anstecken dürften.

Und: Etwa 60.000 davon, und hier vor allem die Älteren, könnten schwer erkranken. Es gehe, sagt der Ministerpräsident, eigentlich nur noch darum, die „Ansteckungsketten zu minimieren“, um „Zeit zu kaufen“. Zeit, um die Betten auf den intensivmedizinischen Stationen von derzeit 650 auf 1400 zu erhöhen. Zeit, um mehr Beatmungsgeräte anzuschaffen. Zeit, um Corona-Zentren in den Krankenhäusern einzurichten.

Die gültigen Pandemiepläne seien in Kraft gesetzt, sagt Ramelow, alle Behörden und Institutionen arbeiteten entsprechend. Ansonsten stehe das Land kurz davor, den Katastrophenfall auszurufen und den dann vorgesehenen Krisenstab im Innenministerium einzurichten. Wann dies nötig ist, möchte der Ministerpräsident am Samstag nicht sagen: „Wir fahren hier Bevölkerungsschutz auf Sicht.“

Bereits am Dienstag, zur nächsten regulären Kabinettssitzung, könnte die Vorentscheidung fallen. Ansonsten wolle die Landesregierung täglich ein Bulletin herausgeben, in der alle aktuellen Zahlen und Maßnahmen zusammengefasst werden.

Auch der Thüringer Ministerpräsident versucht erkennbar, auf dem schmalen Grat zu gehen, auf dem sich alle Beteiligten gerade befinden. So warnt er ausdrücklich vor Panik und Hamsterkäufen – aber eben auch davor, die Epidemie als normale Grippewelle zu betrachten: „Thüringen darf nicht wie in Norditalien in die Situation geraten, dass schwersterkrankte Menschen nicht mehr behandelt werden können, weil die Kapazitäten fehlen.“

Ramelow wirkt an dieser Stelle angefasst, seine Frau stammt aus Parma. „Wir befinden uns, was die Verbreitung von Corona betrifft, nur neun Tage vor Italien“, sagt er. Diese Tage gelte es nun zu nutzen. Dabei, das sagt der Ministerpräsident immer wieder, wolle er sich nicht von bürokratischen Regularien aufhalten lassen. Das gelte auch für die Wirtschaft. „Wir müssen das Alltagsleben herunterfahren und gleichzeitig die Unternehmen schonen.“

Ob nun es nun um die Abrechnung von Fördermittelbescheide, Liquiditätshilfen oder Härtefallzahlungen gehe: Dies alles betrachtet er „unabweisbare Kosten“, für die es notfalls nicht einmal der Zustimmung des Landtags bedarf. Das Land, sagt er, verfüge aktuell über Rücklagen von 1,5 Milliarden Euro. Und trotzdem: Er, Ramelow, bleibe optimistisch. „Wir hatten ein Leben vor Corona“, sagt er. „Und wir werden ein Leben nach Corona haben.“ Jetzt gehe es darum, dass Leben mit der Epidemie so zu organisieren, dass so wenig Menschen wie möglich darunter leiden.

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