Nach der Wahl des Thüringer FDP-Chefs Thomas Kemmerich zum Ministerpräsidenten stehen er, aber auch die Thüringer CDU massiv in der Kritik. Kanzlerin Merkel spricht sich für Neuwahlen aus.
Nicht nur der neu gewählte Thüringer Ministerpräsident Thomas Kemmerich (FDP), sondern auch die Thüringer CDU gerät nach der Wahl mithilfe der AfD massiv unter Druck.
Merkel für Neuwahlen: Wahl mit AfD-Stimmen ist „unverzeihlich“
Kanzlerin Angela Merkel hat die Wahl des FDP-Politikers Thomas Kemmerich zum Thüringer Ministerpräsidenten mit Stimmen der AfD und der CDU als „unverzeihlich“ kritisiert. Das Ergebnis dieses Vorgangs müsse rückgängig gemacht werden, verlangte die CDU-Politikerin am Donnerstag. „Es ist die Rede von Neuwahlen in Thüringen. Das ist eine Option“, sagte sie laut dpa.
CDU-Chefin Kramp-Karrenbauer droht mit Konsequenzen
Parteichefin Annegret Kramp-Karrenbauer drohte zuvor den Parteifreunden in Erfurt mit Konsequenzen, falls sie mit dem neuen Regierungschef Thomas Kemmerich (FDP) zusammenarbeiten sollten. „Dieser Ministerpräsident hat keine parlamentarische Mehrheit, er muss sich immer auf der AfD abstützen“, sagte sie im ZDF. Insofern wäre eine Zusammenarbeit mit Kemmerich ein Verstoß gegen die Parteilinie, die jede Kooperation mit der AfD ausschließe - „mit den entsprechenden Folgen“.
Söder fordert schnelle Korrektur des „Unfalls“
CSU-Chef Markus Söder erklärte ebenfalls. „Es braucht eine rasche, eine schnelle und eine konsequente Korrektur dieses Missgeschicks von Thüringen und danach eine Festlegung, wie dauerhaft damit umzugehen ist. Denn so etwas darf sich nicht mehr wiederholen“, sagte der bayerische Regierungschef am Donnerstag am Rande einer Landtagssitzung in München. Der Vorgang sei inakzeptabel.
Kemmerich war am Mittwoch im Thüringer Landtag überraschend mit den Stimmen von Liberalen, CDU und AfD zum Regierungschef gewählt worden. Der Kandidat der FDP, die im Herbst nur knapp den Sprung in den Landtag geschafft hatte, setzte sich gegen den bisherigen Regierungschef Bodo Ramelow von den Linken durch. Es war das erste Mal, dass die AfD einem Ministerpräsident ins Amt half.
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Das rief bei SPD, Grünen, Linken, aber auch bei CDU und CSU massive Empörung hervor. Kemmerich will nun eine Minderheitsregierung mit CDU, SPD und Grünen bilden. SPD und Grüne haben aber bereits abgesagt. Die Thüringer CDU erklärte sich am Mittwochabend trotzdem zu Gesprächen mit Kemmerich bereit. „Voraussetzung dafür ist aber, dass jede Zusammenarbeit mit der AfD ausgeschlossen sein muss“, betonte CDU-Generalsekretär Raymond Walk nach einer Sitzung des Landesvorstandes. Die CDU-Bundesspitze fordert dagegen eine Neuwahl in Thüringen. „Und ich finde, es wäre richtig, wenn dieser Ministerpräsident zurücktreten würde“, sagte Kramp-Karrenbauer.
Thüringer Linke, SPD und Grüne denken über Misstrauensvotum nach
In Thüringen selbst sondieren Linke, SPD und Grüne die Möglichkeit eines Misstrauensvotums gegen den umstrittenen FDP-Ministerpräsidenten Thomas Kemmerich. Aus Kreisen der Linken-Fraktion und der SPD hieß es am Mittwoch, das Thema solle bei Gremiensitzungen zur Sprache kommen. Auch Grünen-Fraktionschef Dirk Adams signalisierte, dass diese Variante im Gespräch sei. Laut Thüringer Landesverfassung kann das Parlament einem Ministerpräsidenten das Misstrauen aussprechen. Dafür ist aber eine absolute Mehrheit nötig - in Thüringen wären das 46 Stimmen. Linke, SPD und Grüne kommen zusammen auf 42 Stimmen.
Ministerpräsidenten-Wahl belastet Große Koalition in Berlin
Die Entwicklung in Thüringen belastet auch die große Koalition in Berlin. Die SPD wertet die Wahl mit Stimmen der AfD als „Dammbruch“ und verlangt ein Machtwort von Kramp-Karrenbauer. Für Samstag wurde kurzfristig ein Treffen des Koalitionsausschusses angesetzt. Die Thüringer SPD forderte die Parteispitze auf, die große Koalition in Berlin aufzukündigen, „wenn keine unmissverständliche Klärung des Verhältnisses der Bundes-CDU zur AfD erfolgt und daraus Konsequenzen bei der CDU Thüringen erfolgen“.
FDP in Bedrängnis: Kemmerich lehnt Neuwahlen in Thüringen ab
FDP-Chef Christian Lindner wollte am Donnerstagvormittag mit der Landes-FDP in Erfurt über weitere Schritte beraten, wie die Deutsche Presse-Agentur erfuhr. Nach Informationen des „Tagesspiegels“ will Lindner Kemmerich zum Rückzug bewegen. FDP-Vize Wolfgang Kubicki sprach sich denn auch für eine Neuwahl aus. Kemmerich bekräftigte im ARD-„Morgenmagazin“ aber, er sei gewählt und eine Neuwahl würde nur zu einer Stärkung der Ränder führen. „Die Arbeit beginnt jetzt“, sagte er. FDP-Generalsekretärin Linda Teuteberg hat sich ebenfalls für eine Neuwahl ausgesprochen, falls die geplante Zusammenarbeit mit anderen Parteien nicht funktioniert.
Thüringer Wirtschaft für Rücktritt Kemmerichs und Neuwahl
Kritik kommt auch von führenden Wirtschaftsvertretern in Thüringen. „Der gestrige Tag war keine Sternstunde der Demokratie für Thüringen“, erklärte Stephan Fauth, Hauptgeschäftsführer des Verbandes der Thüringer Wirtschaft am Donnerstag. Eine handlungsfähige Regierung sei nicht in Sicht. „Zu Recht stellt sich deshalb die Frage nach Neuwahlen.“ Unternehmer aus der Optik- und Photonik-Branche forderten Kemmerich zum Rücktritt auf - „um weiteren Schaden von unserem Bundesland und der Thüringer Wirtschaft abzuwenden“.
„Diese Wahl war offenkundig nur mit Unterstützung einer rechtsextremen Partei möglich, deren Positionen von Nationalismus und Fremdenfeindlichkeit geprägt sind“, erklärten Branchenvertreter. „Wir akzeptieren nicht, dass diese Positionen einen entscheidenden Einfluss auf die Thüringer Landespolitik nehmen.“ Ähnlich äußerte sich die Wirtschaftsförderungsgesellschaft Jena. Das Ansehen Thüringens habe durch die Wahl Kemmerichs zum Ministerpräsidenten mit Hilfe einer rechtsextremen Partei einen unabsehbaren und womöglich irreparablen Schaden erlitten. Jena ist eines der wichtigsten Industriezentren in Thüringen und ein Zentrum der Wissenschaft.
Kemmerich: Wahl mit Bundesspitze beraten
Kemmerich machte zudem deutlich, er habe die Lage vorher mit dem FDP-Chef beraten. „Ich war mit Christian Lindner permanent im Kontakt. Wir haben auch besprochen, was wir hier in Thüringen beschlossen haben“, sagte Kemmerich. „Er hat gesagt, die Entscheidung trifft letztlich der Thüringer Verband.“Das Onlineportal „Business Insider“ berichtete unter Berufung auf „Insider“, Lindner habe zwei Tage vor der Wahl grünes Licht für eine Kandidatur Kemmerichs gegeben. Es sei auch die Möglichkeit erörtert worden, dass dann die AfD für ihn stimmen könnte. Die FDP dementierte den Bericht auf Twitter. Zu keinem Zeitpunkt habe Lindner „intern oder öffentlich eine wie auch immer geartete Kooperation mit der AfD gebilligt“.
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Rücktrittsforderungen auch aus der FDP
Die Parteispitze in Schleswig-Holstein forderte den Rücktritt Kemmerichs und Neuwahlen. Ähnlich äußerte sich stellvertretende Vorsitzende der Bundestagsfraktion, Alexander Graf Lambsdorff. Der rheinland- pfälzische FDP-Chef Volker Wissing twitterte: „Einen Ministerpräsidenten von Gnaden der AfD kann und darf es nicht geben. Wenn demokratische Kräfte die Zusammenarbeit ablehnen, braucht Thüringen Neuwahlen.“
Parteichef Lindner erklärte: „Die FDP verhandelt und kooperiert nicht mit der AfD.“ An CDU, SPD und Grüne appellierte Lindner, das Gesprächsangebot Kemmerichs anzunehmen. Sollten sich diese „fundamental verweigern, dann wären baldige Neuwahlen zu erwarten und aus meiner Sicht auch nötig“. FDP-Präsidiumsmitglied Sabine Leutheusser-Schnarrenberger sprach sich auf Twitter für den Rücktritt Kemmerichs aus. „Der Spuk in Thüringen muss sofort beendet werden, bevor er zum Albtraum wird“, twitterte die frühere Bundesjustizministerin.
Tausende Menschen aus Protest auf der Straße
Aus Protest gegen die Wahl gingen am Mittwochabend in Thüringen, aber auch deutschlandweit tausende Menschen auf die Straße. In Berlin bekundeten Hunderte Demonstranten vor den Parteizentralen von FDP und CDU ihren Unmut. Dazu aufgerufen hatten verschiedene linke Gruppen.
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Vor der Thüringer Staatskanzlei versammelten sich etwa 1000 Menschen und bildeten eine Menschenkette. Einige skandierten: „Wer hat uns verraten? Freie Demokraten!“ und „Nicht mein Ministerpräsident!“ Vor dem Eingang des Gebäudes brannten Kerzen, Demonstranten hielten ein Transparent „FDP und CDU: Steigbügelhalter des Faschismus“.